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Proust, Schmidt, Cassidy

Der Strand von Cabourg (Normandie), das bei Marcel Proust Balbec heißt

Der Strand von Cabourg (Normandie), das bei Marcel Proust Balbec heißt

„Dort hat jeder Sommer ein eigenes Gesicht gehabt, die Form eines Wesens und eines Landes, aber noch mehr die Form eines Traumes, in dem ich alles miteinander – Wesen und Land – vermischte.“ Marcel Proust

Proust

Keine Sorge, das wird hier keine Besprechung der siebenbändigen „Recherche“, wie auch deutsche Leserinnen und Leser Prousts Mammutwerk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ salopp nennen – wenn sie den siebten und letzten Band geschafft haben. Ob man Proust gelesen haben muss? Das sollte jeder selbst entscheiden. Hat man sich dazu entschieden, die Pilgerschaft durch die mehrere tausend Seiten anzutreten, sind drei Dinge hilfreich, so viel kann ich schon sagen. Erstens: sich nicht zu viele Seiten pro Tag vornehmen; zweitens: auf diese Expedition unbedingt einen kundigen, humorvollen Führer mitnehmen; und drittens: unbedingt in der Nachsaison in die Normandie reisen.

Letzteres haben wir gerade gemacht und sind noch immer verzaubert – von fast leeren, weiten Stränden, dem Kreischen der Möwen, dem (mitunter auch an den Nerven zerrenden) Krachen der Brandung und von den sanften, grünen Hügeln des Hinterlandes. Natürlich hatten wir Proust dabei, und natürlich waren wir auch in Cabourg, dem Ort, den sowohl Proust als auch sein Erzähler so geliebt haben. Im Roman heißt der Ort übrigens Balbec und das Grand Hotel, in dem Proust wohnte, wenn er in der Normandie war, steht noch an der unfassbar langen Uferpromenade im vollem Glanz der Belle Epoque.

Besonders sehenswert in Cabourg ist die „Villa du Temps retrouvé“, ein Museum, das uns zum einen Marcel Proust und seine Zeit näherbringt. Das Museum ist ziemlich neu und wirklich hervorragend gemacht, in Frankreich kann man so was. Dazu sind unsere Nachbarn in der beneidenswerten Lage, dass sie so ein Museum ohne Probleme mit original Kunstwerken aus der Zeit bestücken können: Monet, Manet, Boudin, Rodin. Neben den Bildern, Möbeln, original Manuskripten wird man als Besucherin auch mithilfe der Musik, die im Werk Prousts eine große Rolle spielt, in die Zeit der Belle Epoque versetzt.

Schmidt

„Ich hatte geplant, ein halbes Jahr jeden Tag zwanzig Seiten Proust zu lesen, (…)“ schreibt Jochen Schmidt in seinem Buch „Schmidt liest Proust“, das 2021 in einer veränderten Neuausgabe bei Voland & Quist erschienen ist. Schmidt ist der ideale Expeditionsleiter durch die sieben Bände. Ich bin aktuell in der Mitte des dritten Bandes (Guermantes) und ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich es ohne Schmidt packen würde. Proust perlt ja nicht auf jeder Seite wie Champagner, sondern mutet seinen Leserinnen und Lesern immer wieder Passagen zu, die an abgestandenen Cidre erinnern, den man dann halt auch verdauen muss. Da ist es ziemlich tröstlich, dass auch der Autor Schmidt „Schon am zweiten Tag Zweifel am Unternehmen“ hat. Michael Maar, selbst ein eminenter Proust-Kenner, hält Schmidts Buch für eines der besten Bücher über Proust (SZ 22.4.2009). Dass der Verlag Voland & Quist dieses Buch verlegt hat, dafür sollte man den Leuten dort die Goldene Madeleine überreichen, mindestens, und Jochen Schmidt sowieso.

Cassidy

Wie schon erwähnt, spielt die Musik sowohl in Prousts Werk als auch in seinem Leben eine wichtige Rolle. Letzteres gilt wahrscheinlich für die meisten von uns. Kaum hören wir eine Musik, die wir kennen, vielleicht noch aus unserer Kindheit, trägt uns unsere Erinnerung für einen Moment (oder auch länger) zurück in die Situation, in der wir dieses Lied zum ersten Mal gehört haben. Und damit sind wir bei Eva Cassidy, eine Sängerin, die bis vor wenigen Wochen in unserem Haushalt kein Begriff war; aber das muss nichts heißen.

Es war die Schriftstellerin Natascha Wodin, die in einem Interview meinte, Eva Cassidys Version von „Autumn Leaves“ wäre die schönste überhaupt. Man mag da nicht widersprechen:

Eva Cassidy war eine amerikanische Sängerin mit einer unglaublichen Stimme. Sie wurde am 2. Februar 1963 geboren und starb an einem Krebsleiden am 2. November 1996 im Alter von nur 33 Jahren; und richtig berühmt wurde sie erst nach ihrem viel zu frühen Tod. Ich habe ein wenig recherchiert und im Deutschlandfunk eine schöne Würdigung dieser einzigartigen Künstlerin gehört, die während ihrer ganzen Karriere praktisch nur Songs von anderen Künstlern gesungen hat. Diese aber hat sie so gut interpretiert, dass zum Beispiel Sting meinte, Cassidys Fassung von „Field of Gold“ sei besser als seine eigenen. „Jeder muss einmal im Leben Eva Cassidy gehört haben“, meint die Redakteurin Kerstin Poppendieck in dem hörenswerten Beitrag, den man hier findet.

Macht’s gut, bis zum nächsten Mal!

NK | CK

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Für die Freiheit

Mit allen brutalen und menschenverachtenden Mitteln versucht derzeit das diktatorische Regime im Iran, die Proteste in der Islamischen Republik nach dem gewaltsamen Tod der Studentin Mahsa Amini zu unterdrücken. Instagram, WhatsApp, zum Teil Mobilfunkprovider werden lahmgelegt. So weit, so schlimm.

Trotzdem rauscht gerade ein Protestsong aus dem Iran unaufhaltsam durch das freie Internet. Es ist das Lied des iranisches Sängers Shervin Hajipour «baray-e azadii» («Für die Freiheit»), der dafür verhaftet wurde und jetzt gegen Kaution wieder freigelassen wurde. Das Video haben wir hier bei der Deutschen Welle erstmals gesehen. Das Lied wurde gerade auch für einen Grammy vorgeschlagen, berichtet der Deutschlandfunk.

For Woman, Life, Liberty

Die iranisch-amerikanische Singer-Songwriterin Rana Mansour hat das Lied ins Englische übersetzt und inhaltlich auf ihre eigene Lebenssituation adaptiert und einen bewegenden Song zur Unterstützung der Protestbewegung im Iran eingespielt. Den Text haben wir bei ihr auf Youtube kopiert und unter das Video gestellt. Die deutsche Fassung von Shervin Hajipours Lied liegt uns leider nicht vor.

„Ich habe gelernt, dass Mut nicht die Abwesenheit von Furcht ist, sondern der Triumph darüber. Der mutige Mann ist keiner, der keine Angst hat, sondern der, der die Furcht besiegt.“ (Nelson Mandela)

Wie mutig müssen die Männer und Frauen im Iran sein, die dort gegen das Regime protestieren, wissend, dass eine Festnahme ihr Todesurteil bedeuten kann.

NK | CK

For dancing in the allies and the streets,
For the thrill and the fear of getting caught kissing
For my sister, my brother, and unity
For all the times we tried to change their minds and stale beliefs
For the loss of pride, and poverty
For the dream of just a normal life for you and me
For all the children who are starving for a loaf of bread
For the greed of politics and all the lies they spread
For all the mass-polluted air we breathe,
For all the litter in the streets and all the dying trees
For all the animals who suffer from elimination
For all the cats and dogs who love us without no conditions
For all the tears that seem to never end
For all the images that keep on turning in our heads
For a simple smile, for just a little while
For the future generations fighting for their time
For empty promises of heaven in the after-life
For all the imprisonment of beautiful minds
For all the babies who are born and for the ones who died
For all the times you told the truth, and all the times you lied
For all the speeches that we heard about a million times
For all the shacks and shelters that were sold to make a dime
For just a glimpse of a peaceful life,
For the rising of the sun after an endless night
For all the pills we pop just to get some sleep
For all mankind, for our country
For all the boys and girls who never knew equality
For woman, for life, liberty.

Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=HCUfgHHkLcA

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„Auf, zu, crapaud!“ – Pilgerfahrt in die Vergangenheit

„Damals in den 1970er Jahren war das Becken selbstverständlich nicht beheizt“

„Damals in den 1970er Jahren war das Becken selbstverständlich nicht beheizt“

„Die Dichter behaupten, daß wir für Augenblicke das in uns wiederfinden, was wir einst gewesen sind, wenn wir in ein bestimmtes Haus, einen bestimmten Garten treten, in denen wir unsere Jugend verbracht haben. Doch sind dies höchst gewagte Pilgerfahrten, in deren Verlauf man ebenso viele Enttäuschungen wie Erfüllungen erlebt.“

(Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit 3, Guermantes)

Lange Zeit wussten wir dieses Jahr nicht, wohin wir in Urlaub fahren sollten. Klar war, wir mussten mal wieder raus, aber es fehlte uns schlicht die Übung, daher sollte es nicht zu weit weg und auch nicht zu fordernd sein. Andererseits sollte es uns Abwechslung zum Alltag bringen. Irgendwann haben wir dann doch gespürt, was uns schon länger am meisten fehlte: das Meer. Nicht kleine, romantische Buchten sollten es sein, sondern die große Weite von Himmel und Meer.

So kamen wir auf die Normandie, die wir von einigen Reisen schon kannten, die aber bisher immer verbunden war mit viel Familie und Gepäck und einem bereits klar strukturiertem Tagesablauf. Diesmal waren wir zu zweit, ohne Kinder und Hund. Da Corinna als Kind und Jugendliche viele Ferien im Sommerhaus ihrer französischen Großeltern an der normannischen Küste verbracht hatte, wählten wir bewusst einen anderen Ort, um nicht ständig Erinnerungen aufkommen zu lassen. Proust warnt ja zurecht vor den gewagten Pilgerfahrten an die Orte der eigenen Vergangenheit.

Schließlich fanden wir ein kleines Appartment direkt am Meer. Aus allen drei Fenstern sahen wir einzig das Meer und den Himmel. Es war zauberhaft. Aber natürlich haben wir dann doch ein paar der Orte aufgesucht, die vor allem Corinna aus ihrer Vergangenheit schon kannte. Und so fuhren wir an einem eher kühlen, wolkenverhangenen Morgen nach Villers-sur-Mer und fanden dort das alte Schwimmbecken an der Strandpromenade, in dem Corinna schwimmen gelernt hat. „Und mit einem Mal war die Erinnnerung da.“ Das ist ihre Geschichte:

„Auf, zu, crapaud!“

Die langen Sommerferien, die wir im kleinen Sommerhaus der französischen Großeltern in der Normandie verbrachten, boten allen Familienmitgliedern die Gelegenheit zu besonderen Freizeitbeschäftigungen und dem Erlernen mancher Sportarten. Als wir noch Kleinkinder waren, hatte sich Papa gar ein Segelboot gekauft. Es hieß „windflower“, hatte ein orangefarbenes „w“ auf dem weißen Segel, und wackelte gefährlich – klein und leicht wie es war, in den großen Wellen des Ärmelkanals. Keine Frage, solange wir nicht schwimmen konnten, durften wir Kinder nicht in das Boot.

Als meine Schwester Ninia neun und ich sechs Jahre alt waren, meldete uns unsere Mutter bei einem Schwimmkurs an. Ich nehme an, es hatte mit diesem Segelboot zu tun, dass ich ausnahmsweise zusammen mit Ninia etwas erlernen sollte. Normalerweise war Ninia als Älteste von uns drei Mädchen die erste, die ein neues Feld der Großen erkundete. Ich wurde regelmäßig später zusammen mit meiner um zwei Jahre jüngeren Schwester Alexandra zu einem Kurs angemeldet. Alexandra und ich bildeten daher lange Zeit ein Paar, wir waren die „Puzzeles“, was wohl auf das schwäbische „Butzele“ zurückging. Da Ninia das „B“ aber wie ein „P“ aussprach, dachte ich lange, wir seien kleine Puzzle-Teilchen, die einfach aus Sicht der Älteren, die über uns entschieden, für so Vieles noch zu klein schienen. Ninia mochte wohl diese Abgrenzung, denn sie wollte von der Gewohnheit, uns so zu bezeichnen, noch lange nicht Abstand nehmen. Vielleicht profitierte ich in diesem Sommer aber auch von Ninias Qualen unter einer strengen Schwimmlehrerin in der Grundschule. Wollte man mir, die ich bald zur Schule gehen sollte, das ersparen?

Das Schwimmbad befand sich unmittelbar an der Strandpromenade im Stadtzentrum des kleinen Städtchens. Es war ein reines Lehr-Schwimmbecken ohne Dach. Darüber befindliche Stufen luden Spaziergänger zum Verweilen ein. Damals in den 1970er Jahren war das Becken selbstverständlich nicht beheizt und zudem, weil Schutzwände fehlten, dem ständigen Wind in der Normandie ausgesetzt. Damit der Familien-Tagesablauf durch die Schwimmstunden nicht gestört wurde, hatte unsere Mutter die tägliche Lektion zudem für den frühen Vormittag vereinbart.

In zwei sehr engen Kabinen zogen wir uns um, um gleich wieder einen Pullover über den Badeanzug anzuziehen, da wir erst auf ein Zeichen des Schwimmlehrers warten mussten, bevor wir ins Becken steigen durften. Ich konnte die violett-blauen Lippen der anderen Kinder im Wasser sehen, und es war schwer zu sagen, ob ich diese wegen der Tortur bemitleidete oder sie vielmehr beneidete, weil deren Ende nahte. Bei sonnigem Wetter hätte die hellblaue Farbe des Wassers vielleicht noch etwas Einladendes haben können. Da der normannische Himmel jedoch oft gänzlich von Wolken bedeckt ist, wirkte das Blau kalt und abweisend. Die Beckenwände fühlten sich rau an und hatten unangenehme Kanten. Ich wäre in diesen Minuten des Wartens wohl viel lieber ein Puzzele gewesen, um nicht ins Becken steigen zu müssen.

Über viele Jahre waren es immer dieselben zwei Schwimmlehrer, die dort unterrichteten, an ihre Namen erinnere ich mich nicht. Wir unterschieden sie als Kinder ohnehin nur an der immer selben Farbe ihrer Badehosen. Ninia hatte den mit der roten Badehose als Lehrer bekommen, ich den mit der blauen; beide schienen sie uns gleich streng. Nein, heimlich dachte ich, der mit der roten Hose sei vielleicht noch etwas strenger, denn er hatte die Angewohnheit, scharf und kurz zu pfeifen, wenn seine Schüler nicht folgten.
Die ersten Stunden waren die schlimmsten, denn mit all dem, was ich noch außerhalb des Beckens anzulegen hatte, konnte ich mich kaum mehr bewegen. Um den Bauch bekam ich einen Schwimmgurt, der aus einem schwarzen Gürtel mit einigen abnehmbaren, harten, gelben Luftdosen bestand. Darüber wurde ein breiter, schwarzer Ring um die Brust gestülpt, und mit den Armen musste ich mich an einem Brett festhalten. Dieses Brett hatte ein Loch, durch welches der Schwimmlehrer seine lange Metallstange führte und einen so durch das Wasser zog.

Verstehen konnte ich seine Anweisungen nicht, dazu genügte mein Französisch damals nicht. Ich war auf Mama als Übersetzerin angewiesen. Daher war es besonders schlimm, wenn Mama noch etwas in der Stadt erledigen wollte und sich vom Schwimmbad entfernte. Ich wollte nicht den Unmut des Schwimmlehrers auf mich ziehen, indem ich seinen Anweisungen nicht nachkam. Deshalb ließ ich meinen Schwimmlehrer nicht aus den Augen, damit mir keine seiner Gesten entging.

Von Anfang an, also ohne dass ich schwimmen konnte, musste ich den Kopfsprung üben. In voller Montur ließ mich der Lehrer aus dem Becken steigen und mich auf dem mit nassem Tuch bedeckten Brett am tieferen Ende des Beckens niederknien. Dann waren die Arme nach oben auszustrecken und hinter die Ohren zu legen. So galt es, zunächst die übereinander gelegten Hände, dann den Kopf und schließlich den Oberkörper langsam zum Wasser hinzubewegen, bis man nach vorne überkippte. Alle paar Tage wurde die Aufgabe schwieriger, denn dann musste ich das Ganze aus der Hocke und anschließend im Stehen ausführen. Gelangte nicht der Kopf als erstes ins Wasser, musste man die Übung so lange wiederholen, bis er es tat.

Die Schwimmstunde dauerte wahrscheinlich nicht länger als 20 Minuten, aber diese erschienen mir unendlich lang. Wenn das ersehnte Handzeichen zum Ende des Unterrichts vom Lehrer kam, konnte ich, einmal dem Becken entstiegen, mich kaum mehr bewegen. Sowohl beim Ablegen der Schwimm-Montur als auch beim Anziehen musste mir meine Mutter helfen. Sie flösste uns heißen Tee ein, an dem wir uns Lippen und Zunge verbrannten. Eingehüllt in sämtliche Kleidung, die zur Verfügung stand, begannen Ninia und ich zu schlottern. Ein paar Mal, erinnere ich mich, kam Opa Michel zum Zuschauen, und er kaufte uns heiße Crêpes mit viel Zucker und zerlaufener Butter.

Den ganzen Tag übte ich meine Schwimmbewegungen – im Trockenen, versteht sich, wahlweise auf dem rosafarbenen Teppich des Wohnzimmers oder auf der Schaukel. Dazu wiederholte ich mir immer wieder die von Mama beschriebene Abfolge der Beinbewegungen: Auf – zu – crapaud, auf – zu – crapaud. „Crapaud“ heißt auf französisch Kröte, und noch heute kann ich keine Krötenbeine betrachten, ohne an meine ersten Schwimmstunden zu denken.

Fast jeden Tag entfernte der Lehrer eine der gelben Luftdosen vom schwarzen Gürtel, und immer hatte ich sogleich das Gefühl, wieder stärker nach unten zu sinken. Auf einem alten Film, den Papa gedreht hat, ist zu sehen, wie ich den Kopf weit in den Nacken lege, um wenigstens mein Gesicht aus dem Wasser zu halten.

Zehn unendlich lange Tage dauerte es, dann hieß es, sämtliche Schwimmhilfen abzulegen, die Handflächen wie zum Gebet vor die Brust zu nehmen und das Becken hin und zurück zu durchqueren. So haben wir schwimmen gelernt.

Corinna Kern

Der wolkenverhangene Charme der Nachsaison

Der wolkenverhangene Charme der normannischen Nachsaison

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Freitagsfoto: Sommerhimmelweit

So weit, so schön: der Sommerhimmel bei Ecussols im südlichen Burgund

So weit, so schön: der Sommerhimmel bei Ecussols im südlichen Burgund

Sommerhimmelweit
wünscht’ ich, ach!
unsere Herzen

Heute, am 23. September 2022 ist auf der Nordhalbkugel das sogenannte Herbstäquinoktium, Tag und Nacht sind gleich lang. Der Herbst beginnt offiziell. Und weil kein Mensch weiß, was im Herbst und Winter auf uns zukommt, bleibt zu hoffen, dass wir als Einzelne und als Gesellschaft in jeder Beziehung offen bleiben.

NK | CK

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„Die Wurmlinger Kapelle“ – Nikolaus Lenau

„Freundlich schmiegt des Herbstes Ruh“ (Lenau) sich an die Wurmlinger Kapelle

„Freundlich schmiegt des Herbstes Ruh“ sich an die Wurmlinger Kapelle

Lenaus Weltschmerz

Vor zwei Wochen hatten wir in einem Beitrag eine Zeile aus Nikolaus Lenaus Gedicht über die Wurmlinger Kapelle drin. Auf Wunsch bringen wir deshalb heute das ganze Gedicht Lenaus.

Ich bin sicher, dass wir in der Schule Lenau durchgenommen haben, die Erinnerungen daran sind aber leider bis zur Unkenntlichkeit verblasst. Bei Wikipedia lesen wir, dass der Österreicher Nikolaus Lenau (13. August 1802 – 22. August 1850) als wichtigster deutschsprachiger Dichter des Weltschmerzes und des Pessimismus gilt – was man in seinem Gedicht über die Wurmlinger Kapelle auch deutlich anmerken kann. Lenau, der jung an den Folgen eines Schlaganfalls starb, hat, wie auch Ludwig Uhland, mit seinem Gedicht zur Bekanntheit der Wurmlinger St. Remigius Kapelle beigetragen.

Die Wurmlinger Kapelle

Luftig, wie ein leichter Kahn,
Auf des Hügels grüner Welle
Schwebt sie lächelnd himmelan,
Dort die friedliche Kapelle.

Einst bei Sonnenuntergang
Schritt ich durch die öden Räume,
Priesterwort und Festgesang
Säuselten um mich wie Träume.

Und Marias schönes Bild
Schien vom Altar sich zu senken,
Schien in Trauer, heilig mild,
Alter Tage zu gedenken.

Rötlich kommt der Morgenschein,
Und es kehrt der Abendschimmer
Treulich bei dem Bilde ein;
Doch die Menschen kommen nimmer.

Leise werd ich hier umweht
Von geheimen, frohen Schauern,
Gleich als hätt ein fromm Gebet
Sich verspätet in den Mauern.

Scheidend grüßet hell und klar
Noch die Sonn in die Kapelle,
Und der Gräber stille Schar
Liegt so traulich vor der Schwelle.

Freundlich schmiegt des Herbstes Ruh
Sich an die verlaßnen Grüfte;
Dort, dem fernen Süden zu,
Wandern Vögel durch die Lüfte.

Alles schlummert, alles schweigt,
Mancher Hügel ist versunken,
Und die Kreuze stehn geneigt
Auf den Gräbern – schlafestrunken.

Und der Baum im Abendwind
Läßt sein Laub zu Boden wallen,
Wie ein schlafergriffnes Kind
Läßt sein buntes Spielzeug fallen. –

Hier ist all mein Erdenleid
Wie ein trüber Duft zerflossen;
Süße Todesmüdigkeit
Hält die Seele hier umschlossen.

NK | CK

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Dürre Zeiten für die Gießkanne

Es gibt Gießkannen, und es gibt die schöne Schneiderkanne

Es gibt Gießkannen aus Plastik, und es gibt die verzinkte Schneiderkanne

Hält fast ewig: Schneiderkanne

Viel liest man in diesen Tagen über das sogenannte Gießkannenprinzip. Bei diesem nimmt der Staat Entlastungen oder Subventionen ohne Prüfung des tatsächlichen Bedarfs an die Empfänger vor. Aus verfahrenstechnischen Gründen mag das einfacher sein, ob es sinnvoll ist, sei dahingestellt.

Sinnvoll und optisch wohltuend ist es auf jeden Fall, mit einer guten Gießkanne zu wässern und dabei zu bedenken, welche Pflanze wann wieviel Wasser braucht. Mit zu den schönsten und langlebigsten Gießkannen zählen ganz ohne Zweifel die legendären Schneiderkannen. Das Unternehmen Schneider hat diese vollverzinkten Kannen ab 1876 in Stuttgart-Feuerbach in verschiedenen Größen und Formen hergestellt.

Eine echte Schneiderkanne erkennt man entweder an der eingeprägten Messingmarke (sehr alt!) oder an dem eingeprägten Schriftzug. Früher hat man Schneiderkannen auf jedem Friedhof gesehen, eben weil sie fast ewig halten, was ja irgendwie zu dem Ort passt. Heute hängen auch auf Friedhöfen diese grässlichen, bunten Plastikkannen an Schlössern rum. Weil es Leute gibt, die selbst dort noch Dinge entwenden. Anstand gehört wohl definitiv heute zu den Fremdwörtern… Schneider hat die Produktion der Schneiderkanne übrigens seit Ende der 1980er Jahre eingestellt. Die Plastikonkurrenz war zu stark. Schade!

Hält nicht ewig: Gletschereis

Letzte Woche hat die ARD eine Themenwoche zum Thema Wasser ausgerufen. Anlass war die extreme Dürre in diesem Jahr, die Grund zu großer Sorge gibt. Ein Blick auf den Dürremonitor zeigt das. Zum Auftakt wurde der SWR-Dokumentarfilm „Die große Dürre“ von Daniel Harich gezeigt. Der Film ist eine Bestandsaufnahme in Sachen Wasser in Deutschland und befasst sich mit den Folgen der Klimakrise für den Wasserhaushalt.

Der Film ist unbedingt sehenswert, exzellent recherchiert und gespickt mit Fakten, von denen viele bisher nur Expertinnen und Experten geläufig waren. Wir wussten zum Beispiel nicht, dass der Rhein sich zu rund 60 Prozent aus Gletscherwasser aus den Alpen speist. Was aus dem Rhein, einer der wichtigsten Wasserstraßen der Welt, wird, wenn die Gletscher endgültig abgeschmolzen sind, mag man sich gar nicht vorstellen.

Wie manche Politker, die wir Bürgerinnen und Bürgern ernst nehmen sollen, angesichts dieser dramatischen Situation noch Witze über Duschgewohnheiten oder über Waschlappen machen können, ist uns absolut schleierhaft.

NK | CK

Gießkannen-Kunst in der Staudengärtnerei Erika Jantzen, wo man auch unter der Dürre leidet

Gießkannen-Kunst in der Staudengärtnerei Erika Jantzen, wo man auch unter der Dürre leidet

 

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Bewahrt das Licht

„Luftig, wie ein leichter Kahn“ (Lenau) schält sich die Wurmlinger Kapelle aus einem der ersten Herbstnebel im Ammertal

„Luftig, wie ein leichter Kahn“ (Nikolaus Lenau) schält sich die Wurmlinger Kapelle aus dem Frühnebel

Bewahr’ das Licht aus diesem Sommertag
Für den Wintertag, der getrost kommen mag

Diese Zeilen singt Reinhard Mey in seinem schönen Lied „So viele Sommer“, das man hier auf Youtube anhören kann. Den ganzen Text mit Noten findet man auf der Seite von Reinhard Mey.

Ja, dieser Sommer war nicht nur sehr groß, sondern auch sehr heiß und sehr trocken. Aber jetzt wird es ein wenig kühler, und diese Woche gab es die ersten Frühnebel im Ammertal. Gut, dass wir nicht nur den Hund, sondern auch die Kamera auf der Runde dabei hatten.

Genießt die kühleren Tage, die frühen Nebel und bewahrt das Licht und, ganz wichtig, den Humor.

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Auch Wegrandschönheiten wie die Lampionblume (Physalis alkekengi) wollen bewundert sein

Auch Wegrandschönheiten wie die Lampionblume (Physalis alkekengi) wollen bewundert sein

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Kind of Blue – Blaugrau

Kind of Blue: Blaugraue Stimmung auf der Halbinsel Crozon in der Bretagne

Kind of Blue: Blaugraue Stimmung auf der Halbinsel Crozon in der Bretagne

Blaugrau

Immer mal wieder durchkämmen wir unser Bildarchiv und stoßen dabei auf Fotos, die eine Schönheit oder eine bestimmte Stimmung ausdrücken, die einem beim Fotografieren gar nicht aufgefallen ist. So ging’s uns bei diesem Foto, das an einem wolkenverhangenen, blaugrauen Tag auf der Halbinsel Crozon in der Bretagne entstand. Und wie das so geht, fällt einem zum blaugrauen Meer Miles Davis und seine Platte „Kind of Blue“ ein.

Kind of Blue: ein sehnsüchtiges Leuchten

Das wohl bekannteste und laut Wikipedia kommerziell erfolgreichste Jazzalbum aller Zeiten ist „Kind of Blue“. Es war das 22. Studioalbum der Trompeterlegende Miles Davis (26. Mai 1926 – 28. September 1991) und entstand im Frühjahr 1959. Vor vielen Jahren hat uns der Freund und Jazzkenner F. auf dieses großartige Album aufmerksam gemacht, das auch Menschen begeistert, die sonst nicht viel mit Jazz am Hut haben.

„Das wohl ist ein Hauptgrund für den anhaltenden Erfolg von ‚Kind of Blue‘: der melodische Erfindungsreichtum der Musiker, Miles Davis‘ Fähigkeit vor allem, mit einer Hand voll Tönen, wie aus dem Nichts heraus, ein sehnsüchtiges Leuchten zu schaffen.“

So schrieb Tobias Lehmkuhl am 17. Mai 2010 in der Süddeutschen Zeitung anlässlich des 50. Jahrestags des Erscheinens von „Kind of Blue“. Der Artikel ist interessant, man kann ihn hier noch nachlesen. Welche Jazz-Giganten, außer Miles Davis, an dem Album mitgewirkt haben, steht hier ausführlich.

So what

So heißt das erste Stück auf der Platte, und dies ist das offizielle Video. Das ganze Album selbst ist unbedingt hörenswert!

Genießt die schönen Dinge!

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Zusammenstehen mit Schiller

Friedrich Schiller, geboren am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, gestorben am 9. Mai 1805 in Weimar

Friedrich Schiller, geboren am 10. November 1759 in Marbach am Neckar, gestorben am 9. Mai 1805 in Weimar

„Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden.“

Seit mir dieses Zitat aus dem „Wilhelm Tell“ von Friedrich Schiller vor ein paar Tagen im Internet begegnet ist, geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Es klingt wie eine schöne Utopie angesichts einer Gesellschaft, die sich in immer mehr Interessengruppen aufspaltet. Interessengruppen, die sich nicht selten unversöhnlich gegenüberstehen, zu keinem Dialog mehr bereit sind, stur auf der eigenen Sichtweise beharrend und gerne den eigenen Opferstatus wie eine Monstranz vor sich her tragend.

Was für eine beschämende Situation angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die wir als Land und als Weltgemeinschaft endlich energisch angehen müssten: Klimakatastrophe, Kriege, Hunger, Pandemien, Armut (auch im reichen Deutschland), und nicht zu vergessen, die Demokratiefeinde, die das gesellschaftliche Klima (online und analog) mit ihrem Hass und Falschnachrichten vergiften, sehr zur Freude autokratischer Regime.

Und jetzt? Vielleicht wieder mal die Klassiker lesen, statt atemlos Horrornachrichten in hektischen Häppchen konsumieren? Den Tell zum Beispiel oder Montaigne oder Marc Aurel…

Was lest ihr gerade?

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Schillers Schreibtisch im Wohnhaus an der Esplanade in Weimar: hier schrieb er den Tell

Schillers Schreibtisch im Wohnhaus an der Esplanade in Weimar: hier schrieb er den Tell

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