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Landschaft – ein Gedicht von Margarete Hannsmann

Blick vom Mädlesfelsen (774 Meter ü. NN.) in die Landschaft mit Achalm und Albvorland

Blick vom Mädlesfelsen (774 Meter ü. NN.) in die Landschaft mit Achalm und Albvorland

Landschaft

Aber es werden Menschen kommen
denen das Zeitauf Zeitab
der Fabriken gleichgültig ist
sie wollen nicht auf den Supermärkten
einkaufen aber sie fragen nach dem
Millionen Jahre alten Wind
ob ihr noch Vögel
Fische
Füchse
Sumpfdotterblumen
aufgehoben habt
wenn anderswo
alle Wälder zerstückelt sind
alle Städte über die Ränder getreten
alle Täler überquellen vom Müll
Könnt ihr noch Wetterbuchen liefern?
einen unbegradigten Fluss?
Mulden ohne schwelenden Abfall?
Hänge ohne Betongeschwüre?
Seitentäler ohne Gewinn?
habt ihr noch immer nicht genug
Einkaufszentren in die Wiesen gestreut
Möbelmärkte zwischen Skabiosen
nicht genug Skilifte ohne Schnee
Nachschubstraßen für Brot und Spiele
Panzerschneisen hügelentlang
wenn ihr die Schafe aussterben lasst
stirbt der Wachholder
Silberdisteln
Bald wird man diese Namen aussprechen
wie Joringel Jorinde als Kind
zu den Ammoniten im Steinbruch
wird man wie nach Eleusis gehen
eure Geschichtslosigkeit war ein Windschatten
abseits
der Erosion des Jahrtausends
könnt ihr denen die zu euch kommen
eine Wacholderstunde anbieten
erdalterlang
falls ihr den Augenblick
euren
nicht zementiert?

Margarete Hannsmann

Achalm

Vor ein paar Tagen haben uns die Freunde I. und W. auf eine schöne Wanderung auf die Schwäbische Alb mitgenommen. Von Unterhausen bei Pfullingen ging es auf den Übersberg, von dort zum Mädlesfelsen, dann runter, rauf, rüber zum Ursulahochberg und am Ende wieder nach Unterhausen. Knapp 13 Kilometer, 500 Höhenmeter und das alles in der Landschaft im Naturschutzgebiet Hohenäcker-Imenberg. Die Tour bietet herrliche Ausblicke vom Mädlesfelsen Richtung Achalm und Albvorland und vom Ursulahochberg zum Schloss Liechtenstein. Daneben findet man auf den geschützten Wiesen jede Menge seltener Pflanzen und Schmetterlinge.

Beim Blick auf den Zeugenberg Achalm fällt einem natürlich sofort der Holzschneider HAP Grieshaber ein, der dort am Fuß der Achalm gewohnt und gearbeitet hat. Einen Text von Grieshaber über „Die Rauhe Alb“ findet man in dem Band „Wundersame Blaue Mauer“, dessen Vorgängerausgabe („Albgeschichten“) wir im Reklamekasper vor einer Weile vorgestellt haben.

Mitwanderer am Ursulahochberg

Mitwanderer am Ursulahochberg

Nach der Wanderung zum Mädlesfelsen habe ich das Buch mal wieder rausgenommen und bin auf das beeindruckende Gedicht „Landschaft“ von Margarete Hannsmann gestoßen, das 1981 erstmals erschienen ist. 1981 war auch das Todesjahr von HAP Grieshaber, und dessen Lebensgefährtin war seit 1967 eben Margarete Hannsmann. Hannsmann wurde am 10. Februar 1921 in Heidenheim an der Brenz geboren und starb am 29. März 2007 in Stuttgart. Sie schrieb Prosa, Gedichte, Hörspiele und Reisebeschreibungen. Auf der Homepage des Stuttgarter Schriftstellerhauses findet man eine kurze Würdigung zu ihrem 100. Geburtstag. Hannsmann engagierte sich auch in der Umweltbewegung. Das Gedicht „Landschaft“ bringt das deutlich und gekonnt zum Ausdruck.

Der Grantler von der Achalm

Wer sich näher mit dem Künstler Grieshaber, den manche auch den Grantler von der Achalm nannten, befassen möchte, kann dies in einer aktuellen Ausstellung im Reutlinger Kunstmuseum im Spendhaus tun. „Die Liebe ist ein Hemd aus Feuer – Liebespaare bei HAP Grieshaber“ heißt die Ausstellung, die gerade eröffnet wurde und bis 25. September 2022 zu sehen ist. Alle Infos dazu hier.

So Freunde, jetzt raus ins Offene!

NK | CK

Auch ein Liebespaar: Hornklee-Widderchen am Ursulahochberg bei Pfullingen

Auch ein Liebespaar: Hornklee-Widderchen am Ursulahochberg bei Pfullingen

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Marilyn Monroe – an ihre Liebhaber

Marilyn Monroe: Grab | Foto: Jürgen Graf, Public Domain, Wikimedia Commons

Marilyn Monroe: Grab | Foto: Jürgen Graf, Public Domain, Wikimedia Commons

Ein langes Leben wünschen sich wohl die meisten von uns. Das Älterwerden ist dann aber doch nicht immer einfach und lustig. Die Frühverstorbenen wie James Dean oder Janis Joplin, um nur zwei Beispiele zu nennen, bleiben für immer jung – aber das haben sie teuer bezahlt.

Maßlos unterschätzt

Auch Marilyn Monroe, eine Ikone des 20. Jahrhunderts ist viel zu früh gestorben. Gerade mal 36 Jahre alt wurde Norma Jeane Mortenson, so ihr Geburtsname, die am 1. Juni 1926 in Los Angeles auf die Welt kam und am 4. August 1962 starb. Es ist müßig, hier etwas über Marilyn Monroe zu schreiben. Es gibt hunderte von Büchern, dazu Dokumentarfilme, Lieder und natürlich die Filme, in denen sie selbst spielte.

Kritiker übrigens halten Marilyn Monroe in vielerlei Hinsicht für maßlos „unterschätzt“ und leider immer wieder auf eine Klischeefigur reduziert. Anders Lee Strasberg, in dessen legendärem Actor’s Studio Marilyn Monroe Schauspielunterricht nahm. Sein Urteil. „Sie gehörte zu den zwei oder drei sensibelsten und talentiertesten Menschen, die ich je gesehen habe.“

Ungeschminkte Tragik

Wir freuen uns, dass wir anlässlich des Geburtstags von Marilyn Monroe ein Gedicht von Mechthild Paul hier bringen dürfen. Mechthild Paul, die in Dettingen/Erms am Fuße der Uracher Alb lebt, schreibt und malt und hat sich mit viel Empathie und dichterischem Können in die Person Marilyn Monroe hineinversetzt. Auf gerade mal dreizehn Zeilen gelingt es der Künstlerin, die ganze Tragik und das vergebliche Sehnen dieses Lebens hineinzupacken.

Marilyn

An meine Liebhaber

Wäre schön gewesen,
wenn einer von euch,
mich auch ungeschminkt
ertragen hätte,
mir durch meine gestylte Mähne
gestrichen, mir die Schminke
vom Mund geküsst,
unter den dichten Wimpern meine
Falten zum Lächeln gebracht hätte,
mir einen Herbst gegönnt
in meinen Farben,
mit mir im Fallen getanz hätte,
ohne auf mich zu treten.

Mechthild Paul

Mechthild Paul, Dichterin und Malerin

Mechthild Paul, Dichterin und Malerin

Das Gedicht ist in dem Band „Blattwerk“ enthalten, der 2020 erschienen ist.

Buchinformation

Mechthild Paul
Blattwerk – Gedichte und Grafik
Hardcover, 88 Seiten, 20 Euro zzgl. Versandkosten
Dettingen/Erms, 2020
Das Buch kann direkt bei der Künstlerin bestellt werden: Mechthild.Paul@gmx.de

CK | NK

PS: Da wir aus rechtlichen Gründen keine Fotos von Marilyn Monroe hier bringen dürfen, verlinken wir jetzt noch auf ein Video, das mit dem Song „Like a Candle in the Wind“ von Elton John unterlegt ist. Das Lied kam 1973 raus, ein Ohrwurm, dessen trauriger Inhalt sich uns damals noch nicht erschlossen hat. Heute treibt es einem das Wasser in die Augen, ebenso wie das wunderbare Gedicht von Mechtild Paul.

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Sommerfest: Stauden, Kräuter, Schöne Postkarten

„Blume ist Kind von Wiese“, heißt ein Buch von Helga Glantschnig

„Blume ist Kind von Wiese“, heißt ein Buch von Helga Glantschnig

Garten-Liebe

„Ich liebe meine Frau. Und ich liebe unseren Garten. In dieser Reihenfolge. Eindeutig. Bei meiner Frau bin ich mir über die Reihenfolge nicht immer ganz so sicher.“ (Peter Würth)

Es ist jedes Jahr dasselbe. Zuerst hat man den Eindruck, es wird gar nicht mehr Frühling, nichts treibt aus, kaum eine Blüte in Sicht. Aber dann, nach ein paar feuchten und wärmeren Tagen, explodiert die Natur förmlich, und jetzt Ende Mai kommt man kaum noch hinterher. Garten und Balkon fordern unseren vollen Einsatz.

Und auch das ist jedes Jahr dasselbe: Man nimmt sich vor, den Garten mehr zu genießen, anstatt immer nur den Rücken krumm zu machen. Aber dann findet sich doch noch ein Plätzchen für eine bienenfreundliche Staude oder für ein paar Kräuter, deren Duft einen in Nullkommanichts in die Provence versetzt.

Sommerfest in der Staudengärtnerei Tübingen (28.5.)

Gärtnerinnen und Gärtner, die sich diesen Samstag inspirieren lassen wollen, empfehlen wir das Sommerfest in der schönen Staudengärtnerei von Erika Jantzen in Tübingen (Anfahrt hier). Gärtnerei und Gartencafé sind am Samstag, den 28. Mai von 10 – 18 Uhr geöffnet. Es gibt Stauden, Kräuter, Blumen, alte Möbel, Nützliches für Drinnen und Draußen, Nostalgisches im Glashaus und Schöne Postkarten mit vielen neuen Motiven.

Gärtnern macht glücklich

Schon vor Corona haben Studien gezeigt, dass Gartenarbeit den Menschen guttut. Dabei muss es kein großer Garten sein, es reicht auch eine Terrasse oder ein Balkon.

Schöne Postkarte Nr. 7: Unkraut jäten macht glücklich. © Schöne Postkarten

Schöne Postkarte Nr. 7: Unkraut jäten macht glücklich. © Schöne Postkarten

Säen, düngen, gießen und ernten macht offensichtlich zufrieden, schreibt Spektrum der Wissenschaft. Es ist daher wenig überraschend, dass gärtnernde Menschen mit der Pandemie besser zurechtkamen.

Postkarten wurden übrigens während Corona auch mehr geschrieben als sonst. Warum? Weil Postkarten, und besonders schöne Postkarten, einfach mehr Wertschätzung ausdrücken als eine schnöde WhatsApp. Oder wie es Cornelius Pollmer im SZ-Magazin auf den Punkt brachte:

„Postkarten sind eine Umarmung auf Abstand“

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Schöne Postkarte Nr. 240 · Kipling: Gardens are not made by singing

Schöne Postkarte Nr. 240 · Kipling: Gardens are not made by singing

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Another Massacre

·

Man ist sprachlos angesichts des erneuten Amoklaufs in den USA. 19 Kinder wurden gestern (24. Mai 2022) an einer Grundschule in Uvalde im Bundesstaat Texas von einem 18-jährigen erschossen.

After Another Massacre

Night comes even
with evening.

Our cat lies
purring,
a supplication.

We will say
a prayer
for the cold rain.

for the trees
going skeletal.

Jack Ridl

Buchinformation

Jack Ridl
Saint Peter and the Goldfinch
Wayne State University Press, 2019
Paperback, 128 Seiten
ISBN: 9780814346464

”When are we gonna do something?“

Der Basketball-Coach der Golden State Warriors San Francisco, Steve Kerr, hat eine bemerkenswerte Rede bei einer Pressekonferenz Stunden vor einem Spiel gehalten. Er klagt gezielt Senatoren an, die sich gegen strengere Waffengesetze aussprechen. Ein beeindruckender, sehenswerter Auftritt.

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Tag für Tag

Clematis „The President“ vor der Blüte

Clematis „The President“ vor der Blüte, bestaunt von einer Ameise

„Ich will nur friedlich vor mich hinleben und darauf achten, was Tag für Tag passiert.“

Diesen Zitat stammt aus dem Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ von Kent Haruf. Ein wunderbarer Autor, von dem man jedes Buch lesen sollte. Leider ist er viel zu früh verstorben. Wir haben hier Harufs Roman „Kostbare Tage“ besprochen; bestimmt nicht das letzte Buch von ihm, das wir hier vorstellen.

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Heilig und heiter ist mir sein Ende

Das Tübinger Gambrinusgässle ist nur 50 Meter lang und verbindet Rathausgasse mit Marktgasse

Das Tübinger Gambrinusgässle ist nur 50 Meter lang und verbindet Rathausgasse mit Marktgasse

Ehmals und jetzt

In jüngeren Tagen war ich des Morgens froh,
Des Abends weint ich; jetzt, da ich älter bin,
Beginn ich zweifelnd meinen Tag, doch
Heilig und heiter ist mir sein Ende.

Dieses Gedicht von Friedrich Hölderlin entstand vermutlich im Jahr 1799. Hier kann man es in der Stuttgarter Ausgabe von 1826 sehen.

„Hölderlin ist Wir und die Gegenwelt, er ist das Fremde und die Heimat, die Sehnsucht und die Herkunft.“

Das schrieb die Historikerin Hedwig Richter am 20. März 2020 in der Wochenzeitung DIE ZEIT in einem Beitrag zum 250. Geburstag des Dichters, und sie bescheinigt Hölderlin die Fähigkeit zur „Stärkung unserer kleinmütigen Seelen“. Ja, Stärkung können wir gut gebrauchen, schließlich trümmert und wankt es gerade, wohin man blickt, um es mit Hölderlin zu sagen.

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Schöne Postkarte Nr. 49 · Marktgasse mit Blick auf den Marktplatz

Schöne Postkarte Nr. 49 · Marktgasse mit Blick auf den Marktplatz

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Haiku – Gedichte aus fünf Jahrhunderten

Das Betrachten der Kirschblüte (Hanami) und das Haiku gehören in Japan zusammen

Das Betrachten der Kirschblüte (Hanami) und das Haiku gehören in Japan zusammen

Kann man sich vorstellen, einen deutschen Dichter oder eine deutsche Dichterin im Thermalbad kennenzulernen, unbekleidet versteht sich? Eher nicht. In Japan hingegen scheint dies weniger außergewöhnlich. Passiert ist dies der japanischen Dichterin und Übersetzerin Masami Ono-Feller im Jahr 2011 während einer Trekkingtour auf der Insel Kyūshū.

„Ich saß, wie in Japan üblich, unbekleidet in einem großen, aus Natursteinen gebauten Becken und fragte die beiden mitbadenden Damen, was sie hergeführt habe. Es stellte sich heraus, dass sie Haiku-Dichterinnen waren, die sich hier mit anderen Dichtern für zwei Tage versammelt hatten, um in alter Tradition gemeinsam zu dichten.“

Die beiden Damen gehörten zur Haiku-Gruppe „Sugi“, die 1970 von Mori Sumio gegründet worden war. Nach dem Bad wird Ono-Feller zu einem Ku-kai eingeladen, eine abendliche Runde, zu der jede Teilnehmerin ein paar Gedichte mitbringt.

Haiku aus fünf Jahrhunderten

So beginnt das Vorwort zu dem Haiku-Band „Haiku – Gedichte aus fünf Jahrhunderten“, der 2017 im Reclam-Verlag erschienen ist. 305 Haiku hat die Herausgeberin Masami Ono-Feller ausgewählt. Für die Übersetzung, Kommentare und das Nachwort zeichnet Eduard Klopfenstein verantwortlich, der von 1989 bis 2005 als Professor für Japanologie an der Universität Zürich lehrte. Klopfenstein hat sich erfreulicherweise bei der Übertragung nicht sklavisch an die vorgegebene Silben-/Zeilenregel (5-7-5) gehalten. Soweit man das als Nicht-Japanologe beurteilen kann, sind seine Übertragungen sehr stimmig und schön zu lesen. Beiden, Ono-Feller und Klopfenstein, gebührt ein großes Lob für dieses Werk.

Bei uns im Regal stehen einige Haiku-Bände, aber dieses Buch ist eine Schatztruhe. Es würdigt nicht nur die großen, auch in Europa bekannten Haiku-Meister Bashō, Issa, und Buson, sondern 144 weitere Haiku-Dichterinnen und -Dichter. Den Anfang macht Yamazaki Sōkan (Geburtsdatum unbekannt, gestorben 1539):

Die Hände am Boden
intoniert er in großer Pose
seinen Gesang – der Frosch

Nicht nur Bashō hat den Fröschen ein Haiku gewidmet

Nicht nur Bashō hat den Fröschen ein Haiku gewidmet

Das letzte Haiku im Buch stammt von Minayoshi Tsukasa, der 1962 geboren wurde und dichtete:

Der Juli ist da!
Den Apfel wasche ich
unter der Dusche

Beeindruckende Bandbreite

Mal ganz abgesehen davon, dass dieses Buch handwerklich sehr schön ausgestattet ist (großes Format, Leineneinband, Prägedruck, zwei Lesebändchen) – wirklich begeisternd sind:

  1. die Bandbreite der abgedruckten Haiku – von der Elektrosäge bis zum ersten Beischlaf des Jahres (eine wichtige Sache in Japan) wird alles thematisiert
  2. die ausführlichen, erläuternden und feinen Kommentare von Eduard Klopfenstein
  3. die Seitengestaltung, auf der wir einmal das Haiku auf Japanisch finden, einmal auf Deutsch und einmal in Transliteration, also die Umsetzung der japanischen Aussprache in lateinische Buchstaben und
  4. die Tatsache, dass in dieser Auswahl auch viele Haiku-Dichterinnen vertreten sind

Gerade letzter Punkt ist hervorzuheben, gewinnt man doch in Deutschland oft den Eindruck, dass Haiku dichten eine rein männliche Angelegenheit ist. Was natürlich nicht stimmt!

Das Blütenschau-Kleid
lege ich ab – und stehe umschlungen
von vielfarbigen Bändern

Dieses Haiku hat die Dichterin Sugita Hisajo (1890 – 1946) im Jahr 1919 geschrieben. Es hält, so der Übersetzer, den Moment fest, als die Frau nach ihrer Rückkehr von der Kirschblütenschau den festlichen Kimono ablegt; was angesichts der komplexen Umschnürung gar nicht so einfach zu sein scheint. Man kann sich diesen kurzen Augenblick mit den leuchtenden Bändern wirklich bildlich vorstellen, fast wie ein Foto. Und die farbigen Bänder nehmen raffiniert den ästhetischen Genuss der Kirschblütenschau (Hanami) auf.

Humor, Selbstironie und Trost

Eines meiner Lieblingshaiku in diesem Band stammt von der Dichterin Abe Midorijo (1886 – 1980), „seit den zwanziger Jahren eine führende Vertreterin des Frauen-Haiku“. Midorijo veröffentlichte nachstehendes Haiku im Alter von 91 (!) Jahren.

Was noch bleibt
mit 90 Jahren ….. vergiss es
erwarte den Frühling

Ist das nicht bewunderswert, diese Gelassenheit gepaart mit der unschätzbaren Fähigkeit, sich im Hier und Jetzt über den Frühling zu freuen!

Noch ein Beispiel? Gerne:

Auf Wein verzichten?! Wie?
Was bleibt mir an Begierden
noch zum Spielen übrig?

Der Autor Kaneko Tōta (geb. 1919), hat in diesem Gedicht, das er im Alter von 75 Jahren schrieb, auf humorvolle, selbstironische Weise die Folgen seiner Gichtkrankheit beschrieben, wie wir im Kommentar lesen dürfen. Humor und und Selbstironie kommen im Haiku, bei allen Leiden und Mühen, die das Leben für uns bereithält, nicht zu kurz. Auch das macht diese Lyrikform so lesenswert.

305 Haiku, exzellent übertragen und kommentiert. Dieses Buch ist ein Schatz!

305 Haiku, exzellent übertragen und kommentiert. Dieses Buch ist ein Schatz!

Fazit

Dieser Sammelband ist ein verdienstvolles Geschenk des Reclam-Verlags für alle, die sich näher mit dem kürzesten aller Gedichte befassen wollen; darüber hinaus ist er eine starke Anregung, es vielleicht selbst einmal mit einem Haiku zu versuchen.

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Buchinformation

Haiku – Gedichte aus fünf Jahrhunderten. Japanisch/Deutsch
Ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Eduard Klopfenstein und Masami Ono-Feller
Gebundene Ausgabe, Format 16 × 24 cm, 422 Seiten
ISBN: 978-3-15-011387-5
Reclam-Verlag Ditzingen, neue Auflage 2022

Im Nachwort gibt Eduard Klopfenstein einen Überblick über die Haiku-Dichtung von den Anfängen bis heute. Dazu gibt es ein ausführliches Literaturverzeichnis, Kurzbiographien der Haiku-Dichter:innen und ein alphabetisches Verzeichnis aller Haiku.

PS: Für den Fall, dass der Reclam-Verlag hier mitliest, wünsche ich mir mehr solcher exzellent gemachten Haiku-Sammelbände über diese dichten, intensiven Gedichte.

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„Alles prüfe der Mensch“ – Druckabnahme

„Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen“ (Friedrich Hölderlin)

„Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen“ (Friedrich Hölderlin)

Gut zum Druck

„Bei der Druckabnahme, bzw. Druckfreigabe, hat der Auftraggeber die letzte Möglichkeit, Korrekturen – gleich welcher Art – vorzunehmen. Stellt er keine Fehler mehr fest, erklärt er die Publikation für druckreif (auch: Gut zum Druck GzD), woraufhin die Druckerei mit der endgültigen Produktion beginnt.“ (Wikipedia)

Immer wieder zieht der Drucker zur Prüfung einen Bogen aus der Maschine

Immer wieder zieht der Drucker zur Prüfung einen Bogen aus der Maschine

Letzten Montag waren wir zur Druckabnahme bei der Druckerei Enssle in Metzingen, mit der wir seit vielen Jahren vertrauensvoll zusammenarbeiten. 24 neue Motive haben wir in den letzten Monaten für unsere Serie Schöne Postkarten fotografiert und gestaltet. Und obwohl wir schon viele Druckabnahmen für die unterschiedlichsten Druckobjekte gemacht haben, ist es doch immer wieder etwas Besonderes, wenn die eigene Arbeit nach langer Zeit auf die Druckmaschine geht. Dazu die Atmosphäre einer Druckerei: der Geruch der Druckfarben, die Hintergrundgeräusche der Druckmaschinen, die konzentrierten Drucker an der Maschine.

Hölderlin wäre schwindlig geworden, so schnell rauscht das Papier durch die Maschine

Hölderlin wäre schwindelig geworden, so schnell rauscht das Papier durch die Maschine

Die Wirkung der Farben am Computerbildschirm ist übrigens etwas ganz Anderes als auf dem fertigen Druckbogen, den der Drucker zur Prüfung aus der Maschine nimmt. Also wird genau hingeschaut und korrigiert: hier ein wenig Yellow rausgenommen, dort ein wenig Magenta dazugegeben, bis es dann endgültig heißt: Gut zum Druck.

Voilà! Schöne Postkarte Nr. 75, frisch gedruckt und bald erhältlich

Voilà! Schöne Postkarte Nr. 75, frisch gedruckt und bald erhältlich

Im Moment liegen unsere Postkarten noch in der Druckerei zum Trocknen, bevor sie auf das endgültige Format geschnitten, verpackt und zu uns geliefert werden.

In diesem Sinne: demnächst mehr!

CK | NK

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