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Freitagsfoto: Eichhörnchen

Eichhörnchen im Schönbuch bei Hagelloch

Eichhörnchen im Schönbuch bei Hagelloch

Das Eichhörnchen
verjagt munter
trübe Gedanken

Haiku für Georges Hartmann, der vergangenen Montag Geburtstag hatte. Georges, ein Haiku-Künstler aus dem Westerwald, macht wie sein Vorbild Issa kein Aufhebens aus seiner Wortkunst. Wir haben Georges Hartmann hier im Blog vor einer Weile vorgestellt.

Und weil es mit dem Reisen gerade nicht so einfach ist, hier noch ein schönes Haiku von Georges Hartmann, das mich in 15 Silben auf die Autoroute westlich des Rheins versetzt: Mulhouse, Montbéliard, Besançon, Beaune, Maçon, Lyon, tanken, Valence, Montélimar Nord, Montélimar Sud, Orange, und irgendwann raus Richtung Carpentras, links der Mont Ventoux – und endlich das Vaucluse: Thymian, Rosmarin, Rosé, Merguez, Pastis, Petrarca.

Nach der französischen Grenze
die Melodie
des Asphalts

aus: Georges Hartmann, Almkuh, 48 Haiku, erschienen im bon-say-Verlag.

After the French border
the melody
of the tarmac

Après la frontière française
la mélodie
de l’asphalte

À bientôt

NK & CK

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Ringeltauben im Frühling

Ringeltauben-Frühlingssymphonie Teil 1

Wie laut
die Tauben balzen –
Der Frühling kommt!

How loud
the pigeons mate –
Spring is on its way!

Haiku

Ringeltauben-Frühlingssymphonie Teil 2

Was für ein Krach dachte ich vor ein paar Tagen beim Umsetzen des Komposthaufens, als ich plötzlich zwei Ringeltauben entdeckte, die ganz offensichtlich von Frühlingsgefühlen überwältigt wurden. Mehrere Minuten dauerte das laute, leidenschaftliche Ritual in einem alten Birnbaum, unterbrochen von kurzen Pausen und luftakrobatischen Balztänzen.

Frühlingsgefühle der Ringeltauben Teil 3

Ist es nicht schön zu sehen, dass es Mitbewohner auf unserem Planeten gibt, die gänzlich unbeeindruckt sind von der allgemeinen Lethargie in dieser bleiernen Zeit? Ich weiß, das ist purer Anthropomorphismus, wenn ich hier den Tieren menschliche Eigenschaften wie Frühlingsgefühle zuschreibe. Auf der anderen Seite: Was wissen wir schon?

Haltet Augen und Ohren offen!

NK & CK

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Freitagsfoto: Ein unwissendes Kraut

„Hier blüht wohl einiges auf“: Schneeglöckchen (Galanthus) auf einem Haufen Tübinger Lehmboden

„Hier blüht wohl einiges auf“: Schneeglöckchen (Galanthus) auf einem Haufen Tübinger Lehmboden

Gedicht gegen Weltschmerz

Vor ein paar Tagen habe ich dieses Foto von den Schneeglöckchen auf einem Dreckhaufen (Tübinger Lehmboden, auch Letten genannt) in unserem Garten gemacht. Der Haufen ist entstanden, als wir letzten Herbst ein größeres Loch graben mussten, um ein paar Rohre zu sanieren. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls hätte der Haufen längst weggeschafft werden sollen … trotz temporärer Lockdown-Lähmung fragt man sich ja manchmal, wo die Zeit bleibt.

Wir waren jedenfalls gerührt, als die ersten Schneeglöckchen mit der ihnen eigenen, zarten Beharrlichkeit aus dem schweren Tübinger Lehmboden rausgeschaut haben. Ja, und da ist mir das Gedicht von Rilke eingefallen, wo aus stummem Absturz ein unwissendes Kraut singend hervorblüht. Mein kluger Freund S. und ich haben dieses Gedicht vor mehr als 40 Jahren auswendig gelernt und in unseren Jugendzimmern zu düsterer Musik (Nights in White Satin) und Vanilletee rezitiert. Warum? Wahrscheinlich weil wir uns in unserem unglücklichen Verliebtsein trösten wollten. Und ist es nicht so, dass man sich als Jugendlicher so oft ausgesetzt fühlt auf den Bergen des Herzens, und nur Steingrund unter den Händen, und die Angebetete unerreichbar für einen? Wer erinnert sich nicht an diesen Weltschmerz, den man mit 14, 15 oder 16 ertragen musste und der dann mit einem passenden Gedicht wenigstens ein bisschen erträglicher wurde? Ach!

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens

Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du’s?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl
einiges auf; aus stummem Absturz
blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. – Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens…

Rainer Maria Rilke, aus dem Nachlaß

Wer sich näher mit diesem Gedicht beschäftigen will, dem empfehlen wir einen Text von Dr. Johannes Heiner, dessen interessante Deutung man hier nachlesen kann.

Am Montag, den 1. März, ist übrigens meteorologischer Frühlingsanfang, und an diesem Tag öffnet in Tübingen wieder die Staudengärtnerei von Erika Jantzen ihre Pforten. Und auch da blüht manches Kraut singend hervor, und die wissenden Gärterinnen beraten gerne die, die zu wissen beginnen.

Genießt den Frühling und die Blumen!

NK & CK

Schöne Postkarte Nr. 119 · Licht, Farben, Monet · © www.schoenepostkarten.de

Schöne Postkarte Nr. 119 · Licht, Farben, Monet · © www.schoenepostkarten.de

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Der Salzpfad – 1.000 Kilometer, 35.000 Höhenmeter

Star Point Lighthouse am South West Coast Path in Devon

Star Point Lighthouse am South West Coast Path in Devon

Ins Licht

„Wir standen an der Haustür, die Gerichtsvollzieher auf der anderen Seite warteten schon ungeduldig darauf, das Schloss auszuwechseln, uns aus unserem alten Leben auszusperren. Gleich würden wir das spärlich beleuchtete, jahrhundertealte Haus verlieren, das zwanzig Jahre unser Kokon gewesen war. Wenn wir durch diese Tür traten, würden wir niemals zurückkehren können. Wir hielten uns an den Händen und gingen ins Licht.“

Drama Teil I

Klingt ziemlich dramatisch, was die britische Autorin Raynor Winn, Jahrgang 1962, da auf den ersten Seiten ihres Buches „Der Salzpfad“ (The Salt Path) schreibt – und ist es auch. Raynor und ihr Mann Moth sind mehr als 30 Jahre verheiratet, haben neben ihren beiden Kindern auf ihrer Farm in Wales Schafe und Hühner großgezogen und viele Jahre lang Urlaubern Erholung vom Stadtleben geboten. All das ist nun, am Anfang dieses spannenden Reiseberichts, vorbei. Raynor und Moth haben, so naiv wie unglücklich, in die Firma eines alten Freundes investiert. Dabei haben sie übersehen, dass sie mit ihren Einlagen auch für die Schulden dieser Firma haften. Sie verlieren den Gerichtsprozess und somit ihre gesamten Ersparnisse und ihr geliebtes Haus.

Drama Teil II

Als ob der Verlust der eigenen vier Wände nicht schon dramatisch genug wäre, wartet auf Raynor und Moth ein paar Tage später der nächste Schicksalsschlag: Kortikobasale Degeneration, CBD. Diese unheilbare neurodegenerative Erkrankung wird bei Moth diagnostiziert. Die langsam voranschreitende Krankheit geht einher mit starken Schmerzen, Parkinson-Symptomen und dem Nachlassen der kognitiven Fähigkeiten. Wie lange er noch hat, möchte Moth vom Arzt wissen:

„Also, normalerweise würde ich sagen, sechs bis acht Jahre nach dem Ausbruch. Aber in Ihrem Fall scheint die Krankheit sehr langsam voranzuschreiten, da Ihre ersten Probleme bereits vor sechs Jahren auftraten.“

Odyssee statt Kopf in den Sand

Was macht man, wenn einen gleich zwei derartige Schicksalsschläge ereilen? Wie geht man mit so was um? Den Kopf in den Sand stecken? Von der nächsten Brücke springen? Oder vielleicht doch lieber eine große Reise unternehmen? Das Motto, das die Autorin ihrem Buch voranstellt, ist aus Homers Odyssee:

Muse, erzähl mir vom Manne,
dem wandlungsreichen,
den es oft abtrieb vom Wege …

An dem Tag, an dem der Gerichtsvollzieher zur Pfändung kommt, beschließt Raynor, mit ihrem kranken Mann Moth auf Wanderschaft zu gehen. Die beiden haben buchstäblich nichts mehr zu verlieren: die Farm ist weg, die Ersparnisse auch, Einkommen nicht in Sicht. Warum also nicht weggehen und umherwandern?

Von ihrem letzten Geld kaufen sie sich Rucksäcke, billige Schlafsäcke, Kochgeschirr und was man sonst noch braucht auf dem 630 Meilen langen South West Coast Path, der von Minehead in Somerset am Bristol Kanal um die südwestliche Küste Englands bis nach Poole in Dorset führt. Mit im Rucksack ein DIN-A5-Notizbuch und die Übersetzung des angelsächsischen Heldenepos „Beowulf“ des irischen Dichters Seamus Heaney. Auf diesem längsten Wanderweg Englands wollen Raynor und Moth Abstand zu ihrem alten Leben gewinnen und zu sich und vielleicht einer neuen Lebensidee finden. Mehr als 1.000 Kilometer, 35.000 Höhenmeter, meist an Klippen entlang, teils ziemlich ausgesetzt auf sehr schmalen Wegen. Eine Herausforderung, schon wenn man nicht an einer unheilbaren Krankheit leidet.

Mutmach-Lektüre

Wir haben „Der Salzpfad“ vor ein paar Monaten von der Freundin U. geschenkt bekommen. Das Buch hat sich als spannende und unterhaltsame Mutmach-Lektüre in diesen ermüdenden Corona-Zeiten herausgestellt. Und dazu war es, wo wir ja nicht reisen dürfen, eine wunderbare Gelegenheit, mal rauszukommen und die englische Küstenlandschaft zu genießen.

Mehr als 300 Seiten lang wandern wir mit Ray und Moth bergauf, bergab, frieren mit ihnen in den zu dünnen Schlafsäcken, hungern mit ihnen, wenn die 50 Euro Ausgleichsrente mal wieder zu schnell aufgebraucht sind, genießen ein Pint mit ihnen und leiden mit ihnen, wenn die Schmerzen für Moth mal wieder zu stark werden, und Raynor das ganze Projekt in Frage stellt. Wynns Erstling war in England nach Erscheinen ein großer Erfolg und hat es bei uns auf die Spiegel-Beststeller-Liste geschafft. Warum?

Hoch und runter, runter und hoch, Meile für Meile auf schmalen Pfaden

Hoch und runter, runter und hoch, Meile für Meile auf schmalen Pfaden

Die Autorin erzählt in einer authentischen, ehrlichen Sprache und lässt uns an ihrem schweren Schicksal teilhaben, ohne dass sie auf Tränendrüsen drückt. Ihr Stil ist knapp, die Schilderungen der immer wieder spektakulären englischen Küstenlandschaft und der Natur sind ebenso gelungen wie die zahlreichen Porträts der vielen sympathischen und unsympathischen Typen, denen die beiden begegnen, darunter Farmer, Wirte, Surfer, Soldaten, Spießer mit perfekter Wander-Ausrüstung und Obdachlose wie sie selbst.

„Das Gelände stieg und fiel, schob uns Felsblöcke in den Weg, scharfkantige, schier unpassierbare Steine. Wir kletterten hinauf, mitten hindurch, um sie herum, über sie drüber, hinter ihnen entlang. Der Himmel verschmolz mit dem Land, wir verschmolzen mit dem Himmel.“

Den Obdachlosen widmet Wynn gleich zu Beginn ihres Buches ein eigenes kurzes  Kapitel, in dem sie die Situation der Obdachlosen heute in Großbritannien mit Zahlen belegt schildert, aber auch Beispiele aus der Geschichte bringt. Bettler, Landstreicher und Obdachlose hatten und haben es schwer in unserer technisierten Leistungsgesellschaft, die die Abgehängten, seien wir ehrlich, am liebsten irgendwohin verbannen würde, wo man sie nicht sieht.

Wildpferde auf dem South West Coast Path bei Salcombe in Devon

Wildpferde auf dem South West Coast Path bei Salcombe in Devon

Den beiden obdachlosen Wanderern gelingt es, im Laufe ihrer Tour die anfängliche Scham abzulegen und sich im wahrsten Sinne des Wortes freizulaufen. Am Ende ihrer 630 Meilen langen Odyssee entlang der englische Küste haben sie ihr Leben und den Respekt vor sich selbst zurückgewonnen.

„Am Ende verstand ich, was die Obdachlosigkeit für mich getan hatte. Sie hatte mir alle materiellen Dinge genommen und mir das nackte Leben gelassen, mich in eine leere Seite in einem noch nicht zu Ende geschriebenen Buch verwandelt. Und sie hatte mich vor die Wahl gestellt, diese Seite entweder leer zu lassen oder der Geschichte eine hoffnungsvolle Wendung zu geben. Ich wählte die Hoffnung.“

Der South West Coast Path ist übrigens wirklich so schön, aber auch so anstrengend, wie ihn Raynor Winn in ihrem lesenswerten, menschlichen Reisebericht schildert.

Vor ein paar Jahren sind wir mal ein paar Stunden auf diesem Pfad gewandert. Und wenn dieser Corona-Mist mal vorbei ist dann werden wir dort bestimmt noch den einen oder anderen Abschnitt erwandern.

NK & CK

Buchinformation

Raynor Winn
Der Salzpfad
Dumont Verlag, 336 Seiten, broschiert
ISBN: 978-3-7701-6688-6

Auf der sehr informativen Homepage South West Coast Path kann man sich ausführlich über diesen legendären Wanderweg informieren. Dort gibt’s auch eine interaktive Karte, mit der man die Strecke von Raynor und Moth nachvollziehen kann.

Das obere Foto ist auch auf dem South West Coast Path entstanden | © Schöne Postkarte Nr. 143

Das obere Foto ist auf dem South West Coast Path bei Darthmouth entstanden | © Schöne Postkarte Nr. 143

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Freitagsfoto: Ice Storm · Eissturm

Winterlandschaft bei St. Georgen im Schwarzwald, 2.2.2005, noch analog fotografiert

Winterlandschaft bei St. Georgen im Schwarzwald, 2.2.2005, noch analog fotografiert

Eissturm

Da sitzt jemand auf der Couch, neben sich den alten Hund und spürt plötzlich eine merkwürdige Dankbarkeit, während draußen ein Eissturm tobt. Dieser steht in scharfem Kontrast zu der Szene drinnen. Denn drinnen (vermutlich eine verglaste Veranda; porch in den USA) gibt es Bücher, Kissen, den alten Hund, viel Zeit und – dieses Gefühl der Dankbarkeit. Es gibt nichts zu vermissen, nichts zu tun – außer vielleicht die Wärme an Körper und Seele zu genießen, die durch den Eissturm noch verstärkt wird. Darum geht’s in dem fast meditativ zu nennenden Gedicht Ice Storm des amerikanischen Dichters Jack Ridl, das zu den Temperaturen da draußen passt.

Ice Storm

Here on the couch with my old dog I find
I’m feeling gratitude, an odd gratitude,
an old gratitude, one I thought had gone

for good down a long back road
that led away from the years when
I felt glad, felt what I believed

was an abiding gratitude: to be,
to be warm, and grateful to be
warm, to have some pillows

and a dozen books and all afternoon.
To be alone without even a sideswipe
of loneliness. To be on page 47,

or 114, or page one and there
was nothing missing. The ice
storm made things warm,

time irrelevant, made the sleeping
dog an Amen to a prayer never
needing to be said.

– Jack Ridl

Packt euch warm ein, genießt die Wärme und die Kälte oder beides!

NK & CK

Buchinformation

Jack Ridl
Saint Peter and the Goldfinch
Wayne State University Press, 2019
Paperback, 128 Seiten
ISBN: 9780814346464

Schöne Postkarte Nr. 23 · Im Winternebel nur noch zu erahnen: die Wurmlinger Kapelle bei Tübingen · © www.schoenepostkarten.de

Im Winterweiß noch zu erahnen: Wurmlinger Kapelle · © www.schoenepostkarten.de · Nr. 23

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Freitagsfoto: Das Wunder der Schönheit

Der Blaue Pfau (Pavo cristatus) gilt als der älteste Ziervogel und wird schon in der Antike erwähnt

Der Blaue Pfau (Pavo cristatus) gilt als der älteste Ziervogel und wird schon in der Antike erwähnt

„Das Wunder ist (…), dass es überhaupt Schönheit gibt.“

Das schreibt die 1945 geborene US-Amerikanierin Annie Dillard in ihrem Klassiker des Nature Writing „Pilger am Tinker Creek“. Das Buch hat Dillard mit 30 geschrieben, und es ist ein lesenswertes Buch über die Wunder, die Schönheit und die Schrecken der Natur, denen Dillard im Jahr 1972 begegnet, als sie sich an den Fluss Tinker Creek zurückzieht.

Jörg Magenau schreibt in seiner Kritik im Deutschlandfunk:

Dillards Blick ist unsentimental, neugierig und niemals kitschig. Dennoch – oder gerade deshalb – vermag sie auch all die grandiosen Schönheiten zu würdigen und zu gewahren, die es doch auch gibt. Schönheit ist für sie keine Geschmacksfrage, sondern etwas „objektiv Gegebenes“, und es ist die Schönheit ihrer poetischen Sprache, mit der sie es erfasst.

Das Buch ist ein Augenöffner, den ich genossen habe! Dillard schärft uns den Blick für die Vielfalt der Natur, die es beileibe nicht nur in den Blue Ridge Mountains in Virginia zu bestaunen gibt. Auch ein Pfau im Schwärzlocher Hof in Tübingen kann einen mit seiner verschwenderischen Schönheit zum Staunen bringen.

Schönes Wochenende!

NK & CK

Buchinformation

Annie Dillard
Pilger am Tinker Creek
Matthes & Seitz, Berlin 2015, 348 Seiten
ISBN: 978-3-95757-334-6

Schöne Postkarte Nr. 80 · Posierender Pfau in der Wilhelma © www.schoenepostkarten.de

Schöne Postkarte Nr. 80 · Posierender Pfau in der Wilhelma · © www.schoenepostkarten.de

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Der Weg des Tees

Im Nebel der Gerüchte verbirgt sich die Wahrheit um den Selbstmord des Teemeisters Rikyū

Im Nebel der Gerüchte verbirgt sich die Wahrheit um den Selbstmord des Teemeisters Rikyū

Der Tod des Teemeisters

Der große japanische Teemeister Sen no Rikyū hat sich im Jahr 1591 im Alter von 69 Jahren auf Befehl des Fürsten und Kriegsherrn Toyotomi Hideyoshi in einem ritualisierten Selbstmord (Seppuku), das Leben genommen. Mit den Geschehnissen und den unlösbaren Fragen rund um diesen Selbstmord befasst sich der Roman des Japaners Yasushi Inoue „Der Tod des Teemeisters“. Inoue (1907 – 1991) zählt in Japan zu den Klassikern und gilt als einer der meistgelesenen japanischen Autoren außerhalb Japans.

Im allgemeinen braucht man über den Weg des Tees von jeher keine Schriften. Es genügt, die alten chinesischen Gerätschaften zu kennen, Umgang mit tüchtigen Teemeistern zu pflegen und Tag und Nacht mit ihnen die Teezeremonie zu üben. Sie sind es, die die Teekunst weitergeben.

Die Erzählung Inoues basiert auf den fiktiven Tagebuchaufzeichnungen des Mönchs Honkaku. Dieser hat dem Rikyū neun Jahre als Schüler gedient und kann den Tod seines Meisters auch nach vielen Jahren immer noch nicht fassen.

Mit einunddreißig Jahren wurde ich als Teegehilfe in Meister Rikyūs Dienste geschickt und gelangte so in den Genuß, von ihm in der Kunst der Teezeremonie unterwiesen zu werden. Als mein Meister den Befehl erhielt, sich zu töten, war ich erst vierzig und – wenngleich von ihm persönlich im Teeweg unterrichtet – weit davon entfernt, mich einen Chajin einen »Teemenschen« nennen zu dürfen.

Die Aufzeichnungen von Honkaku beginnen im Jahr 1597 und enden 1622, gut zwanzig Jahre nachdem der Meister seinen letzten, „ehrenvollen“ Weg gegangen ist. Nach dem Tod Rikyūs zieht sich Honkaku in die Einsamkeit einer Mönchsklause zurück. Seinen bescheidenen Lebensunterhalt bestreitet er damit, dass er Kaufleute aus Kyōto beim An- und Verkauf von Teegerätschaften berät. Sein zurückgezogenes Leben bekommt eine unerwartete Wendung, als er den alten Mönch Tōyōbō trifft, der selbst ein Freund von Rikyū war. Tōyōbō lädt Honkaku zu einer Teezeremonie ein, um mit ihm über Rikyū und dessen unverständlichen Tod zu sprechen.

Im Verlauf des Romans trifft Honkaku auf weitere Weggefährten, Schüler, Krieger und am Ende auf den Enkel des verstorbenen Meisters. Mit allen redet er über Rikyū. Alle wollen, wie Honkaku, die wahren Gründe für den Freitod von Rikyū herausfinden. Ein unmögliches Unterfangen für den treuen Schüler, der sich mit dem Verlust des Meisters und seiner Einsamkeit nur schwer abfinden kann. So sehr vermisst er ihn, dass er regelmäßig vor dem Kohlenfeuer sitzt und in der Zwiesprache den Toten wieder zum Leben erweckt.

Ich zündete mir ein Feuer an und setzte mich davor. In meiner Einsamkeit überkam mich die Sehnsucht, Meister Rikyū gegenüberzusitzen.

Ringen um Einfachheit

Auf gut 160 Seiten schildert der Autor in diesem fiktiven Tagebuch die Begegnungen, Gespräche, Teezeremonien und Träume Honkakūs in einer kargen, kühlen, klaren Sprache. Da ist kein Wort zu viel! Dabei gewährt uns Inoue einen Einblick in die streng ritualisierte, an Vorschriften und Verhaltensnormen überreiche, rätselhafte Welt der Teemeister, Mönche und Samurai im Japan an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert.

Die Teezeremonie nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Alles, was sich innerhalb des Teezimmers abspielt und alles, was sich darin befindet, hat eine fast religiöse Bedeutung: die Teeschalen, der Wassertopf, das Kohlebecken für das Feuer, die Kalligrahpie an der Wand, die Anordnung der Tatami-Matten. Für viele Samurai war die Teezeromie oftmals eine Abschiedszeremonie vor der nächsten Schlacht, in der sie jederzeit fallen konnte. Es überrascht nur kurz, dass in dem Roman das Teezeremoniell mit einem Kampf verglichen wird.

Meister Rikyūs Stil glich einem Kampf ohne Schwert und ohne Dogma. Mit einem Wort, er kämpfte den Kampf eines nackten Menschen.

„Der Tod des Teemeisters“ ist das Ende seines Wegs zum TeeDieses Ringen um ein Maximum an Einfachheit, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an Macht, Reichtum und Wirkung zu verschwenden, dieser Kampf könnte es am Ende gewesen sein, der den eitlen Fürsten und Feldherrn Hideyoshi dazu bewogen haben könnte, Rikyū den Freitod zu befehlen. Das zumindest deutet der Tagebuchschreiber am Ende seiner Aufzeichnungen an, als er eine geträumte Teezeremonie zwischen Meister Rikyū und dem Shōgun Hideyoshi schildert.

Es braucht einen Moment, bis man sich auf diese bisweilen rätselhafte Welt eingelassen hat, weil diese Kultur den meisten von uns doch sehr fremd ist. Dann aber wird man diesen dichten, intensiven Roman über das Vergessen, die Einsamkeit, über das Erinnern und über die hohe Kunst des Einfachen genießen wie eine meisterhaft zubereitete Schale Tee am Kohlenfeuer.

NK | CK

Buchinformation

Yasushi Inoue
Der Tod des Teemeisters
Suhrkamp Taschenbuch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-518-46025-2

Der Weg des Tees führ in Tübingen zu Hinrichs Teehus in der Froschgasse 5

Der Weg des Tees führt in Tübingen zu Hinrichs Teehus in der Froschgasse 5

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For there is always light

“For there is always light” (Amanda Gorman). Sonnenaufgang im Minervois, Frankreich

“For there is always light” (Amanda Gorman). Sonnenaufgang im Minervois, Frankreich

Wozu Dichter in dürftiger Zeit?

Das fragt sich Friedrich Hölderlin in seinem Gedicht „Brot und Wein“. Jede Wette, wenn Hölderlin, den Auftritt der jungen US-amerikanischen Dichterin Amanda Gorman bei den Vereidigungsfeierlichkeiten des neuen US-Präsidenten Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris gesehen hätte, hätte er diese Frage nie mehr gestellt.

The Hill We Climb

Für uns war das Gedicht „The Hill We Climb“, das die 22 Jahre alte Amanda Gorman so beeindruckend vorgetragen hat, der Höhepunkt dieser Inaugaration. Da war alles drin: Trauer, Hoffnung, Schmerz, Licht, Schatten und vor allem die Kraft zum Aufbruch in eine neue, bessere Zeit. Und dann dieser Rhythmus mit den Tempowechseln, der das Gedicht unaufhaltsam vorantreibt wie eine Dampflok der legendären Union Pacific Railroad, die auf dem Weg von der Ostküste an die Westküste immer mehr Fahrt aufnimmt – bis zu den letzten sechs Zeilen:

When day comes we step out of the shade,
aflame and unafraid
The new dawn blooms as we free it
For there is always light,
if only we’re brave enough to see it
If only we’re brave enough to be it.

Wenn der Tag kommt, treten wir aus dem Schatten raus,
brennend und furchtlos
Die neue Morgendämmerung erstrahlt, sowie wir sie befreien
Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.

Die New York Times berichtet hier über den kreativen Prozess von Gorman auf dem Weg zu diesem Gedicht. Anderson Cooper hat für CNN unmittelbar nach den Feierlichtkeiten ein schönes Interview mit Amanda Gorman geführt.

A Message of Hope and Healing

Denn es gibt immer Licht,
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sehen
wenn wir nur mutig genug sind, es zu sein.

NK & CK

The Hill We Climb

When day comes we ask ourselves,
where can we find light in this never-ending shade?
The loss we carry,
a sea we must wade
We’ve braved the belly of the beast
We’ve learned that quiet isn’t always peace
And the norms and notions
of what just is
Isn’t always just-ice
And yet the dawn is ours
before we knew it
Somehow we do it
Somehow we’ve weathered and witnessed
a nation that isn’t broken
but simply unfinished
We the successors of a country and a time
Where a skinny Black girl
descended from slaves and raised by a single mother
can dream of becoming president
only to find herself reciting for one
And yes we are far from polished
far from pristine
but that doesn’t mean we are
striving to form a union that is perfect
We are striving to forge a union with purpose
To compose a country committed to all cultures, colors, characters and
conditions of man
And so we lift our gazes not to what stands between us
but what stands before us
We close the divide because we know, to put our future first,
we must first put our differences aside
We lay down our arms
so we can reach out our arms
to one another
We seek harm to none and harmony for all
Let the globe, if nothing else, say this is true:
That even as we grieved, we grew
That even as we hurt, we hoped
That even as we tired, we tried
That we’ll forever be tied together, victorious
Not because we will never again know defeat
but because we will never again sow division
Scripture tells us to envision
that everyone shall sit under their own vine and fig tree
And no one shall make them afraid
If we’re to live up to our own time
Then victory won’t lie in the blade
But in all the bridges we’ve made
That is the promised glade
The hill we climb
If only we dare
It’s because being American is more than a pride we inherit,
it’s the past we step into
and how we repair it
We’ve seen a force that would shatter our nation
rather than share it
Would destroy our country if it meant delaying democracy
And this effort very nearly succeeded
But while democracy can be periodically delayed
it can never be permanently defeated
In this truth
in this faith we trust
For while we have our eyes on the future
history has its eyes on us
This is the era of just redemption
We feared at its inception
We did not feel prepared to be the heirs
of such a terrifying hour
but within it we found the power
to author a new chapter
To offer hope and laughter to ourselves
So while once we asked,
how could we possibly prevail over catastrophe?
Now we assert
How could catastrophe possibly prevail over us?
We will not march back to what was
but move to what shall be
A country that is bruised but whole,
benevolent but bold,
fierce and free
We will not be turned around
or interrupted by intimidation
because we know our inaction and inertia
will be the inheritance of the next generation
Our blunders become their burdens
But one thing is certain:
If we merge mercy with might,
and might with right,
then love becomes our legacy
and change our children’s birthright
So let us leave behind a country
better than the one we were left with
Every breath from my bronze-pounded chest,
we will raise this wounded world into a wondrous one
We will rise from the gold-limbed hills of the west,
we will rise from the windswept northeast
where our forefathers first realized revolution
We will rise from the lake-rimmed cities of the midwestern states,
we will rise from the sunbaked south
We will rebuild, reconcile and recover
and every known nook of our nation and
every corner called our country,
our people diverse and beautiful will emerge,
battered and beautiful
When day comes we step out of the shade,
aflame and unafraid
The new dawn blooms as we free it
For there is always light,
if only we’re brave enough to see it
If only we’re brave enough to be it

Poem by Amanda Gorman

Transcript: The Hill

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Sonntagsfoto: Winter im warmen Nest

„da draußen die Welt ist kalt“: Hölderlinturm am 17. Januar 2021. Foto: Corinna Kern

„da draußen die Welt ist kalt“: Hölderlinturm am 17. Januar 2021. Foto: Corinna Kern

Jedesmal

Wir wollen im Bette bleiben,
da draußen die Welt ist kalt.
Wir wollen einander reiben,
bevor wir kränklich und alt.

Die Zeit ist nicht zu halten,
so halten wir einander fest:
zwei lustvolle Gestalten
in ihrem warmen Nest.

Günter Kunert (1929 – 2019)

Passt dieses Gedicht von Günter Kunert nicht wunderbar zu diesem trüben Corona-Winter?

Euch eine gute Woche!

NK | CK

Buchinformation

Günter Kunert
Zu Gast im Labyrinth
Hanser Verlag, München
Fester Einband, 112 Seiten
ISBN 978-3-446-26463-2

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Januarbraungrau

Unser Start ins neue Jahr war nicht wie geplant. Eigentlich machen wir am Neujahrstag seit in paar Jahren nach einem kurzen Frühstück einen ausgedehnten Fotospaziergang und genießen die menschenleere Stadt. So hatten wir es auch an diesem 1. Januar geplant. Es kam anders.

Unser Marans-Huhn Chloé

Unser Marans-Huhn Chloé

Als ich gegen acht den Hühnerstall öffnete, fand ich unser wunderschönes Huhn Chloé tot im Stroh liegen. Sie lag auf der Seite, den Kopf nach unten eingerollt, die Augen fast geschlossen. Ein trauriger Anblickt und ein trister Start in den Tag. Wir mochten dieses Huhn besonders, weil Chloé immer etwas scheu und zurückhaltend war, sich auch nur sehr schwer einfangen ließ. Statt Fotospaziergang hieß es jetzt, ein kleines Grab in einer Ecke des Gartens auszuheben und Chloé vor Räubern sicher zu begraben.

Neujahrsmorgen
ein Huhn tot im Stall –
und doch, und doch

Den Spaziergang haben wir dann am späten Nachmittag doch noch gemacht. An der Steinlach entlang, die in Tübingen in den Neckar mündet. Wir hatten die Kamera dabei, für alle Fälle, aber angesichts des trüben dunklen Wetters, das zu unserer melancholischen Stimmung passte, keine Erwartung, irgendetwas zu fotografieren. Und da entdeckten wir plötzlich am gegenüberliegenden Ufer im Braungrau der Hecken ein leuchtendes Etwas. Ein Eisvogel!

Scheue Schönheit: der Eisvogel (Alcedo atthis), 35 – 45 g leicht, 18 cm lang, 25 cm Flügelspannweite

Scheue Schönheit: der Eisvogel (Alcedo atthis), 35 – 45 g leicht, 18 cm lang, 25 cm Flügelspannweite

Das Januarbraungrau
durchbricht ganz zart
ein Eisvogel

Wir wünschen Ihnen / Euch allen ein gutes neues Jahr.

NK & CK

P.S.

Schöne Postkarte Nr. 72 · Mehr ist dazu nicht zu sagen · © www.schoenepostkarten.de

Schöne Postkarte Nr. 72 · Mehr ist dazu nicht zu sagen · © www.schoenepostkarten.de

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