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Virginia Woolf: Autorin, Feministin, Unkrautexpertin

Büste von Virginia Woolf (25.1.1882 – 28.3.1941) im Garten von Monk’s House in Rodmell, Sussex

Büste von Virginia Woolf (25.1.1882 – 28.3.1941) im Garten von Monk’s House in Rodmell, Sussex

Unkraut jäten macht glücklich

Am 31. Mai 1920 schrieb Virginia Woolf, deren Geburtstag wir am 25. Januar feiern, in ihr Tagebuch:

“The first pure joy of the garden . . . weeding all day to finish the beds in a queer sort of enthusiasm which made me say this is happiness.”

Virginia Woolf war eine große Autorin, schrieb Kurt Flasch in der FAZ vom 27.9.2008 in einer Besprechung zum Erscheinen des letzten Tagebuchbandes 5 (1936 – 1941) in deutscher Übersetzung. Flasch hält die Tagebücher für ein literarisches Ereignis und zählt Woolf, neben Proust und Joyce, zu den Autoren, die den Roman im 20. Jahrhundert wesentlich geprägt haben:

„Ihr feministisches Engangement verdeckt für manche ihre ästhetische Revolution, die darin bestand, vom inneren Bewusstseinsstrom aus zu erzählen und die moderne Zeiterfahrung zu beschreiben.“

Ich erinnere mich leider nur noch dunkel an Woolfs Roman „Zum Leuchtturm“, in dem wenig bis gar nichts passiert. Alles spielt sich in den Köpfen der Hauptfiguren ab, deren Gedanken und Wahrnehmungen Woolf beschreibt. Die kurze Beschäftigung mit Virginia Woolf für diesen Beitrag hat mir aber Lust gemacht, den Roman nochmals zu lesen, schließlich hat Leonard Woolf diesen Roman ein „philosophisches Gedicht“ genannt.

Mit Leonard Woolf wären wir wieder beim Anfang dieses Beitrags, nämlich beim Gärtnern. Er war im Jahr 1919 die treibende Kraft beim Kauf von Monk’s House, dem kleinen, äußerst spartanisch ausgestatteten Anwesen in Rodmell in der englischen Grafschaft Sussex, knapp 100 Kilometer südlich von London.

„Das Gärtnern war für Virginia und Leonard kein Selbstzweck; vielmehr half es ihnen, sich nach einer arbeitsreichen Woche in London zu entspannen.“

(Cecil Woolf, der Neffe der Woolfs)

Der Grüne Salon, das Wohnimmer von Virginia und Leonard Woolf in Monk’s House. Richtig warm wurde es dort selten.

Der Grüne Salon, das Wohnimmer der Woolfs in Monk’s House. Richtig warm wurde es dort selten.

Der Garten der Virginia Woolf

„Bis 1926 waren die Lebensumstände in Monk’s House so primitiv, wie es sich der an heutigen Komfort gewöhnte Mensch in keiner Weise vorstellen kann. […] Sehr schnell erklärte Leonard den Garten zu seinem Reich.“

Das schreibt Caroline Zoob in ihrem Buch „Der Garten der Virginia Woolf“, das für Leserinnen, die mit Virginia Woolfs Leben und Werk noch nicht vertraut sind, ebenso interessant ist, wie für Bewunderer englischer Gartenkultur oder Woolf-Kenner*innen. Zoob lebte mit ihrem Mann von 2000 bis 2001 in Monk’s House. Sie waren verantwortlich für das Anwesen mit dem großen Garten, den Leonard Woolf im Laufe der Jahre angelegt hat.

Das großformatige Buch mit Fotos von Caroline Alber erzählt die Geschichte von Monk’s House, beginnend mit dem Einzug der Woolfs am 1. September 1919. Neben dem Garten nehmen biografische Details und das Werk Virginia Woolfs einen angemessenen Raum in diesem Buch ein. Die schönen Fotos werden ergänzt durch historische Aufnahmen (wir sehen Virginia Woolf im Gespräch mit dem Ökonomen John Maynard Keynes), Gartenskizzen, Zeichnungen, Gemälde und Zitate mit Gartenbezug aus den Tagebüchern Virginia Woolfs. Im Anhang gibt es ein Literaturverzeichnis, einen Zitatennachweis und Gartenpläne von 1919 und 1932.

Caroline Zoob: Der Garten der Virginia Woolf„L. kümmert sich um die Rhododendren.“

Dies ist der letzte Satz in Woolfs Tagebüchern am 24. März 1941, bevor sie sich Steine in ihre Taschen füllte und sich am 28. März in dem Fluss Ouse ertränkte, der nur ein paar hundert Meter an Monk’s House vorbeifließt. Die furchtbaren Depressionen, an denen sie litt, hatten gesiegt. Ihre Urne wurde, ebenso wie später die ihres Mannes, im Garten von Monk’s House beigesetzt.

Wir haben Monk’s House im Mai 2017 besucht und waren ehrlich gesagt etwas enttäuscht vom Zustand des Gartens und des Hauses. Wir nehmen aber an, dass der National Trust, dem das Anwesen seit 1980 gehört, dieses literarhistorische so bedeutende Anwesen zwischenzeitlich wieder in einen würdigeren Zustand versetzt hat.

Buchinformationen

Caroline Zoob, Caroline Arber (Fotos)
Der Garten der Virginia Woolf
übersetzt von Claudia Arlinghaus
2013, Deutsche Verlags-Anstalt, München
ISBN: 978-3421039378
nur noch antiquarisch

Virginia Woolf
Gesammelte Werke in Einzelausgaben
als Taschenbücher im S. Fischer Verlag
Herausgeber Klaus Reichert
Link zu den Titeln

Als Einstieg in die Tagebücher:

Virginia Woolf
Schreiben für die eigenen Augen –
Aus den Tagebüchern 1915 – 1941
Herausgegeben von Nicole Seifert
Übersetzt von Maria Bosse-Sporleder, Claudia Wenner
FISCHER Taschenbuch
ISBN: 978-3-596-90457-0

Website der Virginia Woolf Society Great Britain

Die Virginia-Woolf-Gartenpostkarte

„Den ganzen Tag Unkraut gejätet [...]“ Virginia Woolf, Schöne Postkarte Nr. 2 © www.schoenepostkarten.de

„Den ganzen Tag Unkraut gejätet […]“ Virginia Woolf · © www.schoenepostkarten.de

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Heintje, Beethoven, Levit

Vor zwei Jahren stand es noch, das Klavier in Erika Jantzens Tübinger Staudengärtnerei

Vor zwei Jahren stand es noch, das Klavier in Erika Jantzens Tübinger Staudengärtnerei

Von Heintje zu Beethoven

Ich will gar nicht drumrumreden, ich habe von klassischer Musik bedauerlicherweise keine Ahnung. Ich bin mit den Rolling Stones und Janis Joplin musikalisch sozialisiert worden und habe – leider, leider – nie ein Instrument gelernt. Aus dem Küchenradio meiner Eltern schmachtete Heintje sein Mamatschi, und wenn ich großes Glück hatte, ertönte Reinhard Mey. Später lief dann Ravels Boléro in voller Länge und Lautstärke im Jugendzimmer, weil wir Bo Derek in dem Film „10“ gesehen hatten … – und das war’s dann auch schon mit Klassik als Teenager. Ach ja, geholfen hat „10“ nicht.

Vor diesem zweifelhaften, aber für meine Generation wohl nicht untypischen musikalischen Bildungshintergrund war ich umso überraschter, als ich vor ein paar Tagen beim Kochen (Stichwort: Küchenradio s.o.) die ersten beiden Folgen eines Beethoven Podcasts vom Bayrischen Rundfunk gehört habe. Das ist nicht nur sehr unterhaltsam, sondern ich lerne auch viel. Wie das?

Nun, dem Bayrischen Rundfunk ist es gelungen, anlässlich des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens einen der besten Pianisten der Welt für eine Podcast-Serie zu allen 32 Klaviersonaten von Beethoven zu gewinnen.

„Igor Levit macht Beethovens Welt lebendig. In 32 Podcast-Folgen – eine für jede Sonate – wird hörbar, was Beethovens Musik so revolutionär und einzigartig macht. Wie es sich anfühlt und welche Arbeit darin steckt, sie zu spielen. Und warum sie bis heute Menschen inspiriert, sich für Freiheit und Menschlichkeit einzusetzen. Furios illustriert von Igor Levit am Klavier – im Gespräch mit seinem guten Freund, dem Beethoven-Experten Anselm Cybinski.“

So schreibt der Bayrischer Rundfunk auf seiner Website zu diesem Podcast.

Igor Levit: Bürger, Europäer, Pianist

Igor Levit, der sich auf seiner Homepage als Bürger, Europäer und Pianist bezeichnet, wurde 1987 in Russland in eine jüdische Familie geboren, er siedelte mit seiner Familie 1995 nach Hannover über und ist heute ein weltweit gefragter und bewunderter Pianist. Ein lesenswertes Portrait über diesen Ausnahmekünstler findet ihr hier bei der Süddeutschen Zeitung online.

Levit brilliert aber nicht nur am Klavier, sondern erhebt seine Stimme auch politisch gegen jede Art von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auf Twitter hat der 32jährige fast 42.000 Follower*innen. Sein Motto dort lautet: No Fear. Zu Recht hat ihn deshalb vor ein paar Tagen das Internationale Auschwitz-Komitee für sein Engagement gegen Antisemitismus und rechtsextremen Hass mit der Statue „B“ als „Gabe der Erinnerung“ ausgezeichnet. In der Begründung heißt es:

„Als Mensch, Künstler und Europäer stellt sich Igor Levit mit Mut, Kreativität und Lebensfreude antisemitischem und rechtsextremem Hass entgegen und verteidigt die Werte der Demokratie.“

Humorvoll, begeisternd

Was die Beethoven-Podcasts so hörenswert macht, ist für mich die Tatsache, dass hier jemand nicht vom hohen künstlerischen Ross herunterdoziert, sondern auch für Laien wie mich verständlich, anregend, humorvoll und begeisternd über klassische Musik spricht und sie erklärt. Diese Begeisterung hört man Levit an: wenn er mit seinem Podcast-Partner Anselm Cybinski spricht, und wenn er zwischendurch immer wieder Passagen am Klavier spielt.

Neugierig geworden? Die Podcasts findet man mit jedem Smartphone, nehme ich an. Ich hab’s auch hingekriegt. Alle Folgen kann man aber auch hier auf der Seite des BR hören.

Auf Youtube habe ich für Euch zur Einstimmung Beethovens Mondschein-Sonate (No. 14, Op 27/2 – I. Adagio sostenuto), gespielt von Igor Levit gefunden:

Levit im Fernsehen

Am Sonntag, den 19.1.2020, ist Igor Levit in der Sendung Sternstunde Philosphie bei Wolfram Eilenberger zu Gast. Die Ausstrahlung gibt’s bei 3sat, sie beginnt um 9.05 Uhr. Infos zur Sendung findet ihr hier. Ich bin sicher, das lohnt sich, denn Wolfram Eilenberger ist ein sehr kluger, unaufgeregter und einfühlsamer Interviewpartner. Ich schätze diese Sendung mit ihm sehr.

Euch allen ein schönes Wochenende!

N.K. | C.K.

Schöne Postkarte Nr. 12 · Sinfonie in Grün-Dur · © Schöne Postkarten

Ohne Beethoven: Schöne Postkarte Nr. 12 · Sinfonie in Grün-Dur · © Schöne Postkarten

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Winter · Hölderlin, 25. Dezember 1841

Wurmlinger Kapelle bei Tübingen, wo Hölderlin, Hegel und Schelling desöfteren hingewandert sein sollen

Wurmlinger Kapelle bei Tübingen, wo Hölderlin, Hegel und Schelling desöfteren hingewandert sein sollen

Winter

Wenn sich das Laub auf Ebnen weit verloren,
So fällt das Weiß herunter auf die Tale,
Doch glänzend ist der Tag vom hohen Sonnenstrahle,
Es glänzt das Fest den Städten aus den Toren.

Es ist die Ruhe der Natur, des Feldes Schweigen
Ist wie des Menschen Geistigkeit, und höher zeigen
Die Unterschiede sich, daß sich zu hohem Bilde
Sich zeiget die Natur, statt mit des Frühlings Milde.

d. 25 Dezember 1841.
Dero
untertänigster
Scardanelli.

Winter 2020

Wenn ich in diesem Moment aus dem Fenster unseres Büros schaue, sehe ich leider keine Spur von Weiß, das „auf die Tale“ herunterfällt. Im Gegenteil: die Knospen an den Bäumen werden schon dicker, und ich muss zusehen, dass ich die Apfelbäume im Garten bald schneide.

Ob er noch kommt, der Winter? Schön wär’s ja – für Natur und Mensch. Bis dahin müssen wir, zumindest hier an des Neckars Gestaden, mit Fotos von Schneelandschaften und bezaubernden Wintergedichten Vorlieb nehmen. Wie das Wetter am 25. Dezember 1841 war, als Friedrich Hölderlin im Turm zu Tübingen dieses Gedicht geschrieben hat? Ich weiß es nicht, versuche es aber herauszufinden. Aber vielleicht weiß es jemand von Euch?

Untertänigst danken

N.K. | C.K.

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Gutes neues Jahr! · Happy New year!

Auch der Schwan
ist froh gestimmt
am Neujahrsmorgen

The swan too
is in a good mood
on New Year’s morning

Ein Schwan auf dem Neckar in Tübingen startet kraftvoll ins neue Jahr 2020

Ein Schwan auf dem Neckar in Tübingen startet kraftvoll ins neue Jahr 2020

Wir wünschen Euch einen sanften Start in ein gutes, gesundes neues Jahr! Und mehr Respekt, Liebenswürdigkeit und Schönheit könnte die Welt auch vertragen, nicht wahr!

We wish you a gentle start into a good, healthy new year! And the world could use more respect, kindness and beauty, couldn’t it!

C.K. | N.K.

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Jungenentzündung an Weihnachten

Eine Jungenentzündung an Weihnachten muss energisch behandelt werden. Foto: Norbert Kraas

Eine Jungenentzündung an Weihnachten muss energisch behandelt werden. Foto: Norbert Kraas

Es gibt wohl kaum ein Fest, bei dem Wunsch und Wirklichkeit so auseinanderfallen wie bei Weihnachten. Weihnachten ist, man darf es sagen, für viele ein ziemlich anstrengendes Fest geworden. Und jeder von uns kann wohl von einem Weihnachten erzählen, bei dem Erwartungen enttäuscht und Hoffnungen sich nicht erfüllt haben.

Genau darum geht es auch in der kleinen Geschichte, die meine Frau geschrieben hat, und die ich mit ihrer Erlaubnis hier veröffentlichen darf:

Jungenentzündung an Weihnachten

Meine Schwestern waren acht und drei und ich selbst fünf Jahre alt, als Mama im Herbst 1973 krank wurde. Wochenlang ging sie jeden Tag zum Inhalieren zu Doktor Strom und kam dann wieder müde nach Hause. Anschließend saß sie meist eine Weile vor einer warmen, roten Lampe, die ihr Gesicht beleuchtete und ihren Haaren einen goldenen Schimmer verlieh. Ich fand sie so sehr schön. Solange Mama aufstand, war unsere Welt in Ordnung.

 

Ich hatte im Kindergarten für das Weihnachtsfest eine der Hauptrollen bekommen: den Verkündigungsengel sollte ich spielen und durfte hierzu ein langes, hellblaues Kleid mit glänzenden, goldenen Sternen anziehen. Goldene Flügel sollte es auch noch geben. Nach mehreren Jahren als einfaches Lichtkind freute ich mich sehr darüber. Die Sache hatte jedoch einen Haken. Der Engel sollte allein eine Strophe aus „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her“ singen – und dabei haperte es noch. Geduldig malte mir Mama mit Kreide Zickzacklinien auf unsere grüne Tafel. So sollte ich lernen, wann ich mit der Stimme nach oben und wann nach unten gehen musste.

 

Immer häufiger legte sich Mama nun tagsüber ins Bett. Und irgendwann stand sie nur noch auf, wenn Papa mit uns und dem ganzen Haushalt nicht zurecht kam. Wenn Papa als Lehrer zur Schule nach Reutlingen musste, waren wir versorgt. Ninia, meine ältere Schwester, ging ja schon in die dritte Klasse und Alexandra und ich in den nicht weit entfernten Kindergarten. „Eine Jungenentzündung“, sagten wir Kinder, wenn wir gefragt wurden, was die Mama denn habe.

 

Ich vergewisserte mich in regelmäßigen Abständen bei Mama, ob sie bei meinem Auftritt beim Krippenspiel dabei sei. Bis dahin, meinte sie, gehe es ihr bestimmt besser.

 

Aber es wurde nicht besser. Ein paar Wochen vor Weihnachten kam Mama in die Klinik. Zu Hause hatte nichts mehr seinen Platz und wir waren ständig am Suchen von Dingen. Weil Papa unsere Wäsche durcheinanderbrachte, kam Francine, eine französische Freundin von Mama, für ein paar Tage zu uns, um uns zu helfen. Sie brachte ihre vierjährige Tochter Florence mit, und wir spielten zusammen Puppen, die alle Jungenentzündung mit hohem Fieber hatten. Währenddessen wirbelte Francine im Haus: Sie kochte, wusch und ordnete unsere Wäsche neu. Unsere Höschen und Hemdchen bekamen jetzt alle einen Buchstaben aufs Etikett: A und C und N, jeweils den ersten Buchstaben unserer Vornamen. Außerdem beschriftete sie die Regale unseres Kleiderschranks mit unseren Namen. Die Etiketten mit Francines schöner Handschrift erinnerten unsere ganze Kindheit an diese Zeit.

 

Wir freuten uns auf die Besuche bei Mama in der Klinik. Sie hatte einen kleinen, beleuchteten Weihnachtsbaum in ihrem Zimmer, um den ich sie etwas beneidete. Aber dann kamen wir einmal in Mamas Zimmer und fanden es leer vor – auch Mamas Sachen waren nicht mehr da. Da konnten wir spüren, wie aufgeregt Papa auf einmal war. Wir durften dann Mama nur noch einmal sehen – und das nur aus der Ferne: sie saß in einem komischen Stuhl und winkte uns schwach vom anderen Ende eines Flurs zu. Aus der Jungenentzündung sei eine Tuberkulose geworden, sagte uns Papa. Mama sei verlegt worden zu anderen Frauen mit derselben Krankheit, und wir dürften sie nun leider nicht mehr besuchen, weil die Krankheit sehr ansteckend sei.

 

Sehr traurig war ich darüber, dass Mama meinen Auftritt als Engel nun leider nicht mitansehen konnte. Überhaupt fühlte sich Weihnachten ohne Mama nicht nach Weihnachten an. Papa wusste nicht, wie er den bereits gekauften Weihnachtsbraten machen sollte, und unsere Geschenke brachte er auch durcheinander.

 

Er muss erleichtert gewesen sein, als nach Weihnachten Omi Georgette und Opa Michel aus Frankreich kamen. Wir freuten uns auch darüber, fanden es aber nicht gerecht, dass die beiden Mama besuchen durften, während uns dies nach wie vor verboten blieb. Dann wurde beschlossen, dass Alexandra und ich mit Omi und Opa nach Paris fahren und dort bleiben sollten, bis Mama wieder gesund wäre. Aber das ist eine andere Geschichte.

© Corinna Kern, 2019

Wir wünschen Ihnen erholsame Feiertage und reichlich Zeit und Muße für die Dinge, zu denen Sie Lust haben.

Kommen Sie gut ins neue Jahr, und bleiben Sie uns gewogen!

Norbert Kraas | Corinna Kern

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Walle Sayer: Der Dichter als Türöffner

Früher, sagten die alten Leute, waren die Winkel und Ecken in den Ställen mit Weihwasser ausgesprengt, auf den Feldern wärmte man sich an Kartoffelfeuern, die Kinder zogen abends mit ihren Rübengeistern von Haus zu Haus, an den Feiertagen brannte in jedem Fenster eine Kerze für die Verirrten und noch nicht Heimgekehrten, die Ewigkeit war der Maßstab für das eigene Dasein, und jemandem mit Schweigen zu begegnen, bedeutete Verachtung.

aus: Walle Sayer, Kohlrabenweißes

Der Dichter als Türöffner

Wer Walle Sayer zuhört, schrieb die Kritikerin Dorothee Hermann vor ein paar Jahren im Schwäbischen Tagblatt, „dem weitet sich die Zeit.“ Man könnte ergänzen, mit seinen Gedichten und Prosaminiaturen öffnet dieser vielfach ausgezeichnete Autor seinen Leserinnen und Lesern Türen zu einer Welt, die viele von uns so nicht mehr kennen oder noch nie gekannt haben. Es ist zum einen die Welt des ländlichen Neckartals rund um Horb, wo Sayer lebt, es ist aber auch die Welt fein gearbeiteter Sprachspiele und Paradoxien, mit denen der akribische Wortarbeiter Leser und Zuhörer zum erkennenden Staunen bringt.

Walle Sayer liest in Hirschau

Kommenden Sonntag liest Walle Sayer in Hirschau aus seinem neuen Buch „Mitbringsel“. Wir dürfen gespannt sein auf die Zeilen, die er mitbringt.

Sonntag, 15.12 um 10.30 Uhr
LiLA Laden
Im Öschle 2
72070 Tübingen-Hirschau
Eintritt: 9,90 Euro

Buchinformation

Walle Sayer
Mitbringsel. Gedichte
Klöpfer, Narr, Tübingen, 2019
ISBN 978-3-7496-1011-2
gebunden, 20,00 Euro

Kohlrabenweißes: Menschenbilder, Ortsbestimmungen
Klöpfer & Meyer, Tübingen, 2001
ISBN 978-3421057105
nur noch antiquarisch erhältlich

Schimpfwörter wie Liebkosungen

Zum Abschluss noch mal Walle Sayer aus „Kohlrabenweißes“ zum Thema Dialekt, den leider auch unsere beiden Kinder nicht mehr beherrschen.

Im hiesigen Dialekt, den die Kinder in der Schule verlernen, klingen die Schimpfwörter wie Liebkosungen, die Verwünschungen wie lustige Anekdoten, die Gespräche beim Bäcker wie Dialoge aus dem Komödienstadel, die Flüche wie Lobpreisungen und die Grußworte wie flüchtige Beileidsbekundungen.

Der Gang im Sommer · Postkarte 101 · © Schöne Postkarten, Tübingen. www.schoenepostkarten.de

Der Gang im Sommer · Postkarte 101 · © Schöne Postkarten, Tübingen

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Plastik: ein Buch

Plastik ist nicht nur im Meer ein Problem, sondern auch im Boden und in der Luft.

Plastik ist nicht nur im Meer ein Problem, sondern auch im Boden und in der Luft.

Plastik: Ein lesenswertes Buch

„Die Geschichte der Kunststoffe erzählt auch von dem, was die Menschen über Jahrhunderte antreibt. Es ist die Neugier.“

Das schreibt Pia Ratzesberger in ihrem Buch „Plastik“, das vor wenigen Wochen in der Reclam-Reihe „100 Seiten“ erschienen ist. Die Autorin, die sich als Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung u.a. mit neuen Formen des Wirtschaftens und dem Problem Plastikmüll befasst, setzt sich auf 100 informativen und flüssig geschriebenen Seiten differenziert mit dem Werkstoff Plastik auseinander. Wobei sie sich klar gegen eine einseitige Verdammung von Plastik ausspricht. Aber klar ist auch: Plastikmüll ist ein Riesenproblem.

„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen, dass wir bislang mehr als acht Milliarden Tonnen Kunststoff auf der Erde produziert haben und mehr als sechs Milliarden Tonnen davon zu Müll wurden.“

Reste von Kunststoff findet man heute auf dem Meeresboden ebenso wie auf den höchsten Bergen oder in der Luft. Plastik ist überall.

Eine Million Plastikflaschen pro Minute

Aber was ist das eigentlich genau, Plastik? Und wer hat’s erfunden? Und wie können wir vernünftig mit diesem so vielseitigen Werkstoff umgehen? Darüber klärt uns die Autorin in sechs Kapiteln auf. Das erste Kapitel heißt „Müll“, und dort lernen wir, dass das Wort Plastik vom griechischen Wort „plássein“ abstammt; das bedeutet bilden und formen. Denn das ist ja das Faszinierende an Plastik, man kann so viel damit machen. Klasse ist auch, dass Plastik ziemlich robust und langlebig ist, und damit ist Ratzesberger gleich beim Problem. Eine Plastiktüte braucht 10 bis 20 Jahre, bis sie sich aufgelöst hat. Ähnlich ist es bei Plastikflaschen. „Trotzdem werden jede Minute auf der Welt wieder eine Million Plastikflaschen verkauft.“ Kaum vorstellbar, oder?

Bis diese achtlos weggeworfene Plastikgießkanne verrottet, vergeht viel Zeit. Am Ende ist das Mikroplastik dann im Boden und im Grundwasser.

Bis diese Plastikgießkanne verrottet, vergeht viel Zeit. Am Ende ist das Mikroplastik im Boden und im Grundwasser.

Mit den Gefahren des Plastikmülls befasst sich das zweite Kapitel ausführlich. Hier kommen Wissenschaftler*innen verschiedener Fachrichtungen zu Wort, wobei der Ton sachlich bleibt und nicht alarmistisch wird, auch wenn die Fakten zum Teil sehr bedenklich sind. Klar ist, wir müssen alle bewusster mit Plastik umgehen.

Im dritten Kapitel erzählt uns Ratzesberger die Geschichte des Kunststoffs, die „immer auch die Suche nach dem großen Geld und nach einem billigeren Material“ ist. Hier gibt es auch ein kleines Lexikon der Kunststoffe, Plastik ist schließlich nicht gleich Plastik.

Mülltrennungs-Weltmeister

Um Plastikmüll und den Weg des Recycling geht es im vierten Kapitel. Auch hier machen manche Fakten staunen. Wussten Sie, dass in Europa jedes Jahr rund 25 Millionen Tonnen Plastikmüll anfallen? Davon wird grade mal ein Drittel recycelt, ein Drittel lagert auf Deponien, der Rest wird verbrannt. Und auch wir Deutschen, die selbsternannten Mülltrennungs-Weltmeister, sind meilenweit von einer guten Plastik-Kreislaufwirtschaft entfernt. Fazit zum Thema Plastikmüll der Autorin hier:

„Die Wirtschaft muss sich darum kümmern, die Politik muss die richtigen Anreize setzen, und das Recycling von Kunststoffen muss besser erforscht werden.“

Denn wir können in Zukunft nicht mehr davon ausgehen, dass andere Länder unseren Plastikmüll aufnehmen, wie dies zum Beispiel China jahrelang praktiziert hat. Aus den Augen, aus dem Sinn: das wird nicht mehr funktionieren.

Plastik vermeiden, wo es möglich ist

Plastik: Ein lesenswertes Buch von Pia Ratzesberger, Reclam 2019

Nur fürs Foto in Plastik verpackt! Das Buch kam nackt.

Am Ende stellt uns Pia Ratzesberger Menschen vor, die sich beruflich mit Plastikmüllvermeidung und Plastiverpackungen befassen, und sie klärt auf, wie wir Plastik vermeiden können. Gerade jetzt in der Weihnachtszeit, wo besonders viel eingekauft wird, keine schlechte Idee, oder? Hier die vorab drei Tipps:

  • Hinsetzen statt hetzen: möglichst auf Essen und Trinken to go verzichten.
  • Nackt einkaufen: nein, nicht Sie, sondern möglichst unverpackte Waren mitnehmen
  • Waschen wie Oma: Festseifen, Festdeos usw..

Fazit: Es wird nicht ohne Kunststoff gehen in unserer Welt, aber wir können selbst viel dazu beitragen, durch bewussten Konsum Kunststoffmüll zu vermeiden. Weniger ist beim Plastik nämlich wirklich mehr!

Buchinformation

Pia Ratzesberger
Plastik
Broschiert, 100 Seiten, 10,00 Euro
ISBN: 978-3-15-020551-8
Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Stuttgart, 2019

Die Plastiktüte: Eine sehenswerte Ausstellung

Die Geschichte der Plastiktüte (oder auch Plaschtig-Gugg, wie wir hier sagen) beginnt in den 60er Jahren. Lange Zeit ist es eine Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2000 wurden allein in Deutschland sieben Milliarden Plastiktüten verbraucht. Aber 2020 wird Schluss sein mit der Plastiktüte im großen Stil. Grade eben hat die Bundesregierung das Verbot beschlossen.

Wer sich für die Geschichte der Plastiktüte interessiert, sollte einen Ausflug ins schwäbische Waldenbuch planen. Im Museum der Alltagskultur läuft dort noch bis 3. Juli 2020 einen sehenswerte Ausstellung mit den schönen Titel „Adieu Plastiktüte!“. Die Ausstellung zeigt die Plastiktüte in allen Facetten: ihre guten Seiten, aber auch ihre schlechten. Dabei zeigt sich: die Plastiktüte ist auch ein Kulturgut. Alle Infos zur Ausstellung im Schloss Waldenbuch finden Sie hier. Claudia Henzler hat in der Süddeutschen Zeitung einen ausführlichen Bericht zur Ausstellung geschrieben, online hier zu lesen.

Schönes Wochenende!

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Haiku für einen Wurm

Regenwurm bei der Arbeit. In Deutschland leben 46 von insgesamt 670 Arten aus der Familie der Regenwürmer (Lumbricidae)

In Deutschland leben 46 von weltweit 670 Arten aus der Familie der Regenwürmer (Lumbricidae)

Na, kleiner Wurm,
auch noch draußen
so spät im Jahr?

Charles Darwin über die Bedeutung der Regenwürmer

Der erste, der die Bedeutung der Regenwürmer in ihrer gesamten Tragweite für die Bodenfruchtbarkeit erkannt hat, war Charles Darwin. In seiner Monographie „The formation of vegetable mould through the action of worms with observations of their habits“ („Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer sowie die Beobachtung ihrer Lebensgewohnheiten“) heißt es:

„Wenn wir eine weite mit Rasen bedeckte Fläche betrachten, so müssen wir dessen eingedenk sein, daß ihre Glätte, auf welcher ihre Schönheit in einem so hohen Grade beruht, hauptsächlich dem zuzuschreiben ist, daß alle die Ungleichheiten langsam von den Regenwürmern ausgeebnet worden sind. Es ist wohl wunderbar, wenn wir uns überlegen, daß die ganze Masse des oberflächlichen Humus durch die Körper der Regenwürmer hindurchgegangen ist und alle paar Jahre wiederum durch sie hindurchgehen wird. Der Pflug ist eine der allerältesten und wertvollsten Erfindungen des Menschen; aber schon lange, ehe er existierte, wurde das Land durch Regenwürmer regelmäßig gepflügt und wird fortdauernd noch immer gepflügt. Man kann wohl bezweifeln, ob es noch viele andere Tiere gibt, welche eine so bedeutungsvolle Rolle in der Geschichte der Erde gespielt haben, wie diese niedrig organisierten Geschöpfe.“

(Quelle: Spektrum der Wissenschaft online)

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Literaturkalender 2020 – im Hölderlin-Jahr

Der Literaturkalender 2020 mit Friedrich Hölderlin an seinem 250. Geburtstag am Freitag, den 20. März

Der Literaturkalender 2020 mit Friedrich Hölderlin an seinem 250. Geburtstag am Freitag, den 20. März

Hölderlin: Ein entgrenztes Naturell

„Friedrich Hölderlin war, auf einen einfachen Nenner gebracht, ein entgrenztes Naturell. Kein anderer hat so viele Grenzen überschritten wie er, soziale, sprachliche, mentale.“

So schreibt der Tübinger Schriftsteller und Hölderlin-Kenner Kurt Oesterle in seinem neuen Buch „Wir und Hölderlin? Was der größte Dichter der Deutschen uns 250 Jahre nach seiner Geburt noch zu sagen hat.“ Der Essayband wird Anfang 2020, pünktlich zum Hölderlin-Jahr bei Klöpfer, Narr erscheinen. Wir durften die Druckfahnen dieses klugen Aufsatzes vorab lesen und haben, so viel sei verraten, viel über Hölderlin und seine Dichtung gelernt.

Der Literaturkalender 2020

Selbstverständlich darf der sprachmächtige Wanderer und spätere Turmbewohner Friedrich Hölderlin auch im neuen Literaturkalender 2020 nicht fehlen. Am Frühlingsanfang, 20. März, feiert schließlich nicht nur Tübingen seinen 250. Geburtstag. Passend ziert das Kalenderblatt für die Woche vom 16. bis 22. März 2020 das bekannte Hölderlin-Porträt von Franz Karl Hiemer aus dem Jahr 1792.

Aber nicht nur Hölderlin-LiebhaberInnen kommen im Literaturkalender 2020 auf ihre Kosten. Ausgezeichnet mit dem Gregor Kalenderpreis 2020 bietet der neue Literaturkalender 52 Mal interessante Informationen und Zitate von bekannten und weniger bekannten Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Dazu gibt es schöne, oftmals unbekannte Fotos oder, bei älteren Autoren, Zeichnungen oder Gemälde. Auf dem jeweiligen Wochenkalendarium sind darüber hinaus die Geburts- oder Todestage vieler weiterer Autorinnen und Autoren verzeichnet. Wer sich den Literaturkalender an die Wand hängt, darf sich so jede Woche von der Herausgeberin Elisabeth Raabe inspirieren und zu neuen Lektüreerlebnissen anregen lassen. Und Musikfans dürfen sich schon jetzt auf die Woche ab dem 2. November freuen. Da gehört die Bühne dem großartigen Sänger Leonard Cohen, der am 7.11.2016 gestorben ist und der auch ein anerkannter Dichter war.

Information

Der Literatur Kalender 2020: Vom Glück & Leid des Seins
Hg. von Elisabeth Raabe, gestaltet von Max Bartholl
60 Blätter / 55 Fotos u. Abbildungen / farbig / 32,5 × 24 cm
ISBN 978-3-0360-2020-4
Edition Momente, Hamburg und Zürich

Weitere Links

Hölderinturm am Neckar im Nebel | Schöne Postkarte Nr. 93

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Zu Euch, ihr Inseln! Schöne Postkarte Nr. 198

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Hölderinturm mit Neckarfront in Tübingen | Schöne Postkarten Nr. 208

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