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Freitagsfoto: Novemberpogrome

Jüdischer Waldfriedhof Weildorf bei Haigerloch. Ruhestätte der Haigerlocher Juden zwischen 1567 und 1884.

Jüdischer Waldfriedhof Weildorf bei Haigerloch. Ruhestätte der Haigerlocher Juden zwischen 1567 und 1884.

Am Morgen des 7. November 1938 besorgt sich Herschel Feibel Grynszpan, ein polnischer Staatsbürger jüdischen Glaubens, eine Waffe, mit der er in Paris den deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath anschießt. Vom Rath stirbt am Tag darauf. Als Hitler am Abend des 8. November 1938 davon erfuhr, ordnete er an, dass überall im Reich Aktionen gegen die Juden vorzunehmen seien, vordergründig zur Vernichtung jüdischen Besitzes. Was folgte, waren die Novemberpogrome mit der sogenannten Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938. Jüdische Geschäfte, Einrichtungen und Synagogen wurden geplündert und zerstört, vielfach mit Unterstützung der Passanten auf der Straße. Auch die Synagoge der Stadt Haigerloch, auf deren Gemarkung der Jüdische Waldfriedhof bei Weildorf steht (Foto oben) wurde verwüstet.

Das Dritte Reich auf 140 Seiten

„Die Überfälle, Brandstiftungen, Plünderungen, Morde waren in aller Öffentlichkeit geschehen, und niemand in Deutschland konnte fortan behaupten, von der Verfolgung der Juden nichts gewusst zu haben.“ Das schreibt der Freiburger Historiker Ulrich Herbert in seinem Buch „DAS DRITTE REICH: Geschichte einer Diktatur“, erschienen bei C.H.BECK, München 2016. Das Buch hat keine 140 Seiten, ist dafür aber dicht gepackt, sehr lesbar und verständlich. Der Kritiker Robert Probst schrieb in der Süddeutschen Zeitung von einem „Präzisionswerk“, in dem mehr stünde als in manchem dicken Wälzer zur NS-Geschichte. Ich habe das Buch gestern angefangen und sehe das nach dem ersten Viertel genauso. Eine lohnende, lehrreiche Lektüre, gerade jetzt, wo wir eine Partei im Deutschen Bundestag haben, die in Teilen zum Dritten Reich und den Nazis mit ihren Gräueltaten eine nicht akzeptable Haltung einnimmt.

Geschichte erwandern

Wer sich den Jüdischen Waldfriedhof bei Weildorf anschauen möchte, dem empfehle ich dies im Rahmen einer Wanderung mit 14 schönen, landschaftlich reizvollen Kilometern rund um das Kloster Kirchberg bei Haigerloch zu tun. Man kann aber auch abkürzen. Die Wanderung ist in dem kleinen Wanderführer „Stille Ziele im Ländle“ von Werner Brenner gut beschrieben. Erschienen im Silberburg-Verlag, 2010, Tübingen.

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Freitagsfoto: Glaubenssache

Wanderer kommst Du nach Dublin. Die Kirche neben der Guiness-Brauerei mahnt zum Maßhalten.

Wanderer kommst Du nach Dublin. Die Kirche neben der Guiness-Brauerei mahnt zum Maßhalten.

Irisches Tagebuch: Schule des Wahrnehmens

Dieses Jahr wäre Heinrich Böll 100 Jahre alt geworden, am 21. Dezember 2017. Und in diesem Jahr hat auch sein „Irisches Tagebuch“ Geburtstag, das 1957 erschien. Es gibt zu diesem immer noch lesenswerten Buch (erhältlich bei dtv) eine gut gemachte, informative Homepage, die von René Böll verantwortet wird. Er schreibt: „Bölls Irisches Tagebuch ist nicht nur ein Buch des Reisens, es ist auch ein Buch, oder besser noch eine Schule des Wahrnehmens, des Wahrnehmens des Anderen, exemplarisch vor- und dargestellt in vielfältig eingefangenen literarischen Miniaturen.“ (Quelle: Heinrich Böll: Irisches Tagebuch)

Draußen regnet es in Strömen, während ich diesen Beitrag schreibe. Endlich Herbst! Ich werde jetzt, ganz irisch, Gummistiefel anziehen und mit dem Hund einen Spaziergang im Regen machen, um mich danach mit einem irischen Paddy aufzuwärmen.

 

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Gedanken an Karl Poralla

rostiges eisen
in der herbstsonne – wer liest
die botschaft?

rusty iron
in the autumn sun – who reads
the message?

Prof. Dr. Karl Poralla (30.5.1938 – 21.10.2016)

Prof. Dr. Karl Poralla (30.5.1938 – 21.10.2016)

Vor einem Jahr, am 21. Oktober 2016, starb unser Freund, der Tübinger Mikrobiologe und Eisenplastiker Karl Poralla. Er gehörte zu den Menschen, die fähig waren, in einem alten rostigen Eisen mehr zu sehen als nur ein wertloses Stück Metall. Meist lagen die Fundstücke, die er auf Schrottplätzen im Süden Frankreichs gesammelt hatte, monatelang in Werkstatt und Wohnzimmer im Entringer Haus. Immer wieder wurden Teile kombiniert, nebeneinander gelegt, wieder getrennt, neu kombiniert, bis er schließlich mit dem Ergebnis zufrieden war.

„Schäkelei“. Eisen-Collage von Karl Poralla. Höhe 13 cm.

„Schäkelei“. Eisen-Collage von Karl Poralla. Höhe 13 cm.

Karl Poralla war jemand, auf den zutraf, was der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817 – 1862), einmal geschrieben hat: „Die Frage ist nicht, was man betrachtet, sondern was man sieht.“

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Swimmer’s Heaven in Devon


Wie ging’s Ihnen/Euch in der Schule mit dem Schwimmunterricht? Ich fand’s eher ziemlich anstrengend, phasenweise sogar demütigend. Vor allem wenn man nach 100 Meter Brust japsend und halb tot aus dem Becken gekrochen ist. So ging’s mir nämlich. Fazit: es hat nur mäßig Spaß gemacht. Ob’s am Lehrer lag? Glaube ich nicht. Herr F., unser Schwimmlehrer am Gymnasium, war selbst ein guter Schwimmer und konnte auch gut erklären. Vielleicht war’s einfach der schulische Rahmen.

Dabei ist Schwimmen eine sehr ästhetische, wenn auch komplexe Fortbewegungsart, vorausgesetzt man kommt einigermaßen ins Gleiten – und das braucht Übung, viel Übung. Aber dann kann es sogar zu einer Schwimm-Meditation werden, sagt Kari Furre. So heißt die englische Künstlerin und begeisterte Langstreckenschwimmerin aus Devon in dem kleinen, sehenswerten Film. Beneidenswert und motivierend wie diese sympathische Dame durchs Wasser gleitet!

Paradies für Schwimmer und Segler: Mündung des Dart bei Dartmouth, Devon.

Paradies für Schwimmer und Segler: Mündung des Dart bei Dartmouth, Devon.

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Freitagsfoto: Freiland statt Fipronil

Das Haushuhn (Gallus gallus domesticus) lüftet sein Federkleid, wenn es aufgeregt ist.

Das Haushuhn (Gallus gallus domesticus) lüftet sein Federkleid, wenn es aufgeregt ist.

Wenn das so weitergeht mit den Lebensmittelskandalen sind wir Verbraucher*innen bald richtig fit in Sachen Insektiziden und Pestiziden. Die Namen dieser Gifte gehen uns leichter von den Lippen als der Name des scheidenden Landwirtschaftsministers. Seit Jahren jagt ein Lebensmittelskandal den nächsten. Und seit Jahren versichern uns die zuständigen Behörden jedes Mal, dass man alles unter Kontrolle hätte, und sowieso sei alles halb so schlimm. Mahlzeit!

Alles halb so schlimm

Diesen Sommer, ich war gerade mit meiner Familie auf einem kleinen Bauernhof in Burgund und habe unter anderem Hühner fotografiert, war Fipronil der Hit unter den Lebensmittelskandalen. Fipronil ist ein sogenanntes Kontaktgift gegen Tierläuse, Milben, Zecken, Schaben, Flöhe. Es gelangte über ein Desinfektions- und Reinigungsmittel, das in Hühnerproduktionsbetrieben zum Einsatz kommt, in die Hühnereier und damit in unsere Lebensmittelkette. Wie immer bei Lebensmittelskandalen wurde eifrig beschwichtigt (alles halb so schlimm, nur wenige Regionen und wenige Produzenten betroffen), bevor das wahre Ausmaß Ei für Ei ans Licht oder, wenn man so will, auf unsere Teller kam. Ein Ende des Skandals ist nicht in Sicht.

Ei, Ei, Ei

Vor ein paar Tagen mussten die Behörden zugeben, dass das Gift Fipronil über die verseuchten Eier in zahlreiche Lebensmittel gelangt sei, darunter Eierlikör. Ei,ei, ei, denkt man da. In der Süddeutschen war diese Woche zu lesen, dass die Behörden, allen voran das Landwirtschaftsministerium des Bundes, die Folgen systematisch kleingeredet oder vertuscht haben. Die Agrarlobby hat offensichtlich fähige Mitarbeiter. Eine Sauerei, ging aber leider im Jamaika-und-Obergrenzengeschrei der letzten Tage unter. Wen’s interessiert, der Artikel steht hier online: sehr lesenwert!

Wenn Hühner und Schweine die Wahl hätten, würden sie diese Art von Freilandhaltung wählen.

Wenn Hühner und Schweine die Wahl hätten, würden sie diese Art von Freilandhaltung wählen.

Scharren und gackern

Ob sich das mit den Lebensmittelskandalen irgendwann mal ändern wird? Nicht solange es eine Nachfrage für superbillige Lebensmittel gibt: zum Beispiel Hühnereier aus Käfighaltung für 9 Cent das Stück oder Milch für weniger als 30 Cent den Liter. Es liegt an uns, den Verbraucherinnen und Verbrauchern. Finden wir es akzeptabel, dass ein Masthuhn 40 Tage auf der Fläche eines DIN A4 Blattes fristet, bevor es in einer automatischen Anlage geschlachtet wird? Oder wollen wir, dass das häufigste Haustier des Menschen das tut, was Hühner halt so tun: scharren, rumlaufen, gackern, Eier legen – und zwar draußen auf reichlich natürlicher Fläche? So wie das Federvieh bei meinem Freund Jean in der Bourgogne.

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Freitagsfoto: Augenöffner

Geht’s nur um Hunger
oder auch um Schönheit?
sag‘ Spinne
für C.

Is it just hunger
or about beauty, too?
tell me spider
for C.

Ändert ein Haiku etwas?

„Vielleicht ändert ein Haiku nichts, vielleicht ändert Kunst nichts. Aber für einen Moment zu glauben, man könne in einer Idee aufgehen, die grösser ist als man selber, nimmt die Traurigkeit und macht einen lächeln über die lieben kleinen Bemühungen, sein Leben zu etwas Freundlichem zu machen.“

Die Autorin Sibylle Berg hat diese Zeilen in einem schönen Text über den japanischen Haiku-Klassiker Bashô geschrieben. Ob ein Haiku, diese kürzeste aller Gedichtformen (drei Zeilen mit 5, 7, 5 Silben), etwas ändert, uns zu einem besseren Menschen macht? Ich weiß es nicht.

Haiku lesen inspiriert

Ich mache jedoch immer wieder die Erfahrung, dass das Lesen und das Schreiben von Haiku etwas Beruhigendes, Tröstliches und gleichzeitig Inspirierendes hat. Und regelmäßig stelle ich fest, dass selbst ein anstrengender Tag mindestens einen Haiku-Moment für uns bereit hält. Vorausgesetzt es gelingt, sich auch für die kleinen, unscheinbaren Dinge zu öffnen. Das klappt nicht immer, und schon gar nicht von heute auf morgen, aber man kann es üben. Haiku können dabei helfen und als Augenöffner wirken, wie Gérard Krebs in „Natur und Haiku – Haiku und Natur“ (2015, Hamburger Haiku Verlag, ISBN: 3937257764) schreibt.

Ich wünsche Ihnen/Euch ein schönes Wochenende!

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Freitagsfoto: Selbstbeherrschung

“Should I stay or should I go?”
(The Clash, 1981)

Wer weiß, wie gerne Hunde alles jagen, was Federn hat, kann ermessen, wie sehr sich unser Hund hier beherrschen musste. Andererseits ist eine ausgewachsene Gans, die ihre Jungen verteidigt (im Foto nicht sichtbar), kein angenehmer Gegner, weder für den Hund noch für den Halter.

Wie sie ausging, diese Begegnung am Stour, der bilderbuchschön durch das Dorf Nayland in der englischen Grafschaft Suffolk fließt? Niemand musste Federn lassen! Der Hund hat sich beherrscht, der Halter war stolz, und beide wurden belohnt. Der Halter mit einem kühlen Pint, der Hund mit einem Knochen.

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