Verwaist
der Garten der Eltern –
wie der Sohn nun
Orphaned
the parents’ garden –
like the son now
Kranō | Kō
NK | CK
off
Seit dem 24. Februar 2022 überzieht Russland die Ukraine mit einem völkerrechtswidrigen, brutal geführten Angriffskrieg, dem sich die Bewohnerinnen und Bewohner dieses Landes mutig entgegenstellen. Jeden Tag sterben dabei in der Ukraine Frauen, Kinder, Männer, deren einziger Wunsch es ist, in Freiheit zu leben. Diese Menschen leiden unter einem Krieg, den sie nicht wollten und wollen. Ein normales Leben ist praktisch nicht möglich, ständig muss mit russischen Drohnen- oder Raketenangriffen gerechnet werden. Am Tag und in der Nacht. Schlaflosigkeit ist nur eine der schrecklichen Folgen dieses Krieges und sehr zermürbend. Ständig muss die Warn-App aktiv sein, die die Ukrainer*innen vor russichen Angriffen warnt. Man kann sich das hier im friedlichen Tübingen nicht vorstellen.
„Ich kann mich nicht vor dem Gedanken schützen, dass die Kyjiwer Kriegsnächte schwer zu ertragen sind. Mit der Dunkelheit kommt der Krieg näher, geht unter die Haut. (…) Jede Nacht wache ich gegen drei Uhr auf, prüfe mein Telefon auf schreckliche Nachrichten und Neuigkeiten und schlafe wieder ein.“ (Oksana Karpovych, Verfinsterte Orte)
Noch bis 23. Februar 2024 gibt es im Café Haag in Tübingen eine sehenswerte Ausstellung zum Krieg in der Ukraine zu sehen: SCHLAFLOS: Ukrainische Kriegsillustrationen. Ukrainische Illustrator*innen zeigen in beeindruckenden, bedrückenden, nachdenklich machenden Werken die Folgen des Kriegs für Menschen, Tiere und die Natur in der Ukraine. Die Künstlerinnen und Künstler wollen mit ihren Werkzeugen an den Krieg in unserer Nachbarschaft erinnern und zum Handeln aufrufen.
Die Ausstellung entstand auf Initiative der Heinrich-Böll-Stiftung Büro Kyjiw und wurde unter anderem von Kateryna Mishchenko organisiert, die beim Tübinger Bücherfest 2023 aus ihrem Essayband „Aus dem Nebel des Krieges“ gelesen hat. Die Finissage findet am 23. Februar um 18.30 Uhr im Café Haag statt.
„Die Arbeiten sind im andauernden Krieg entstanden. Mit dem Anspruch, die Zeit zu verlangsamen, beabsichtigen sie, Erinnerungen und Erfahrungen festzuhalten, die riskieren, verloren zu gehen, während die unermüdlich vernichtende Kriegsmaschine die Geschehnisse weiter beschleunigt. In ihrer Intensität sprechen diese Bilder die Betrachter sofort an und bauen Kommunikationswege in die Solidarität. Es sind Bilder gegen den Krieg, die dazu aufrufen, zu erinnern und jetzt zu handeln.“ (Kateryna Mishchenko)
Es ist sehr schade, dass diese bewegenden Kunstwerke nicht in einer größeren Galerie in Tübingen, zum Beispiel in der dafür prädestinierten Kulturhalle, gezeigt werden. Diese Bilder hätten mehr Publikum und einen größeren Rahmen verdient!
NK | CK
off
Vergessen auf Zeit
im sich lichtenden Nebel
die alten Fragen
Ein sehr schönes Haiku von Georges Hartmann, das er uns letzte Woche in den Kommentar reingeschrieben hat – worüber wir uns sehr gefreut haben. Wir sagen herzlich Danke!
Regelmäßige Leserinnen und Leser des Reklamekasper kennen diesen bescheidenen Haiku-Dichter aus dem Westerwald schon. Wir haben ihn vor längerer Zeit ausführlich hier vorgestellt.
Schönes Wochenende!
NK | CK
JAHRMARKT DER WUNDER
Ein Alltagswunder:
dass es so viele Alltagswunder gibt.
Ein gewöhnliches Wunder:
das Bellen unsichtbarer Hunde in einer stillen Nacht.
Ein Wunder von vielen:
eine kleine und flüchtige Wolke,
aber sie kann den grossen und harten Mond verschwinden lassen.
Mehrere Wunder in einem:
eine Erle, die sich im Wasser spiegelt,
und dass sie von links nach rechts gewendet ist
und dass sie mit der Krone nach unten wächst
und überhaupt nicht bis auf den Grund reicht,
obwohl das Wasser seicht ist.
Ein Wunder an der Tagesordnung:
Recht schwache und milde Winde,
doch in der Sturmzeit böig.
Ein erstbestes Wunder:
Kühe sind Kühe.
Ein zweites, nicht geringeres:
dieser und kein anderer Garten
in diesem und keinem anderen Obstkern.
Ein Wunder ohne schwarzen Frack und Zylinder:
ausschwärmende weisse Tauben.
Ein Wunder, denn was sonst:
die Sonne ging heute um drei Uhr vierzehn auf
und sie wird untergehen null Uhr eins.
Ein Wunder, das nicht so verwundert, wie es sollte:
die Hand hat zwar weniger Finger als sechs,
dafür mehr als vier.
Ein Wunder, so weit man schauen kann:
die allgegenwärtige Welt.
Ein beiläufiges Wunder, beiläufig wie alles:
was undenkbar ist – ist denkbar.
Ein Gedicht von Wisława Szymborska, die große polnische Dichterin, die 1996 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Sie wurde am 2. Juli 1923 in Kórnik, Polen geboren und starb am 1. Februar 2012 in Krakau. Für Wisława Szymborska, die auf Deutsch bei Suhrkamp verlegt wird, konnte alles in Gedichten verarbeitet werden. Alles war willkommen auf dem „Jahrmarkt der Wunder“. Denn über alles lässt sich staunen und schreiben, aber bitte ohne künstliches Pathos. Sie sagte selbst in ihrer Rede zum Literaturnobelpreis:
„In der Sprache der Poesie ist nichts gewöhnlich und nichts normal. Nicht ein einziger Stein und nicht eine einzige Wolke darüber. Nicht ein einziger Tag und nicht eine einzige Nacht. Und vor allem kein einziges Leben.“
Willkommen auf dem Jahrmarkt der Wunder!
NK | CK
Wisława Szymborska
Hundert Freuden. Gedichte
Suhrkamp Taschenbuch, 2023, 18. Auflage
ISBN: 978-3-518-39089-4
off
„In Sachen Klimawandel ist die Kluft zwischen unserem Wissen und unserer Bereitschaft und Fähigkeit zu handeln eklatant“
Das geht nicht nur uns Normalbürgern so, die wir uns gerne mal fragen, ob es überhaupt was bringt, wenn wir als einzelne Verbraucher weniger Fleisch essen oder das Auto öfter stehen lassen? Auch Wissenschaftler wie der amerikanische Naturschutzbiologe und Wissenschaftsautor Thor Hanson, kennen die Widersprüchlichkeit des eigenen Handeln in Bezug auf den Klimaschutz.
Hanson bekennt dies freimütig gleich zu Beginn seines Buches „Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen“. Darin zeigt uns der Biologe, dass die Auswirkungen des Klimawandels buchstäblich überall mess- und sichtbar sind. Der Klimawandel hat längst Einfluss auf das Leben unzähliger Tiere und Pflanzen genommen und tut dies weiter, mit großer Geschwindigkeit und teils dramatischen Folgen. Höchste Zeit also, dass auch wir unser Verhalten anpassen.
“Migrate, adapt or die“ sind die drei Optionen, die Pflanzen und Tiere, ob im Wasser oder an Land, haben, wenn es darum geht, sich den Folgen des Klimawandels zu stellen. Aus allen drei Reaktionsmöglichkeiten – Migration, Adaption, Aussterben – präsentiert uns der Autor beeindruckende Beispiele, die er entweder selbst beobachtet hat, oder die ihm Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den verschiedenen Bereichen schildern.
„Wir erleben gerade die größte Artenwanderung seit der letzten Eiszeit.“
Sagt zum Beispiel Gretta Pecl, eine australische Wissenschaftlerin, die Hanson vom Lebenszyklus und den Veränderungen von Tintenfischen, Oktopussen und Sepien berichtet. Bereits dreißigtausend klimabedingte Verschiebungen von Verbreitungsgebieten sind erforscht. Das ist aber, so die Australierin nur die Spitze des Eisbergs. Pecl und andere Wissenschaftler gehen davon aus, dass nach vorsichtiger Schätzung bereits ein Viertel allen Lebens auf der Erde auf dem Weg der Migration ist. Das kann nicht ohne Folgen bleiben.
„Vom Ackerbau über die Forstwirtschaft bis zur Fischerei, überall werden durch den Wegfall einheimischer oder das Hinzukommen neuer Arten alte Traditionen über den Haufen geworfen, und die Menschen wüssten gerne wie es weitergeht.“
Als ein Beispiel für die Anpassung des Verhaltens einer Art führt Hanson das Fressverhalten von Grizzlybären auf der Kodiakinsel in Alaska auf. Diese Braunbären sind bekanntermaßen Allesfresser, und sie lieben Lachs, von dem sie häufig nur die nahrhaften Bauchteile fressen, während sie den Rest zur Weiterverwertung durch andere Tiere und Pflanzen liegen lassen.
Ein schlagartig verändertes Fressverhalten stellte die Forscher jedoch eines Tages vor ein Rätsel. Die Bären ließen die Lachse links liegen und verschwanden bergaufwärts im Wald. Warum? Die veränderten klimatischen Bedingungen hatten die Holunderbeeren früher zum Reifen gebracht, und Holunderbeeren sind, so die Forscher, den Bären noch lieber als frische Lachse, auch weil diese Beeren exakt die richtige Menge an Proteinen liefern, die die Bären brauchen um optimal Fett für den Winter anzusetzen. Forscher sprechen bei diesem Verhalten von Plastizität, Anpassung von Organismen an neue Umweltgegebenheiten. Diese Anpassung wiederum bringt eine ganze Kaskade von Konsequenzen für das restliche Ökosystem auf den Kodikas mit sich, denn die sonst üblichen Reste der Lachse fehlen den anderen tierischen und pflanzlichen Verwertern.
Wie schnell sich veränderte Klimabedingungen auf die körperlichen Eigenschaften von Lebewesen auswirken können, schildert der begeisternde Autor am Beispiel von Anolis sriptus. Das ist eine Eidechsenart, die auf den Turks- und Caicoinseln in der Karibik vorkommt, und mit der hat sich der Forscher Colin Donihue im Jahr 2017 beschäftigt, und zwar kurz nachdem dort zwei gewaltige Hurrikane gewütet hatten. Donihue wollte herausfinden, wie die kleinen Eidechsen die Stürme überlebt hatten, die mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 280 km/h über die Inseln gefegt waren.
Was der Forscher rausfand, war außergewöhnlich: Die Eidechsen, die überlebt hatten, besaßen größere Haftpolster an den Zehen und hatten längere Vorder- aber kürzere Hinterbeine. Aber warum konnten gerade diese Eidechsen die gewaltigen Stürme überleben? Um diese Frage zu klären, musste ein Laubbläser in die Karibik geschafft werden. Damit simulierten die Forscher für die kleinen Eidechsen einen Wirbelsturm. Und siehe da: Eidechsen mit größeren Haftpolstern und längeren Vorderbeinen konnten sich deutlich länger als ihre Artgenossen an einer Stange im künstlichen Sturm halten.
In nachfolgenden Feldforschungen stellte das Team fest, dass in Regionen mit vielen Hurrikanen signifikant mehr Eidechsen mit veränderten körperlichen Merkmalen vorkommen. Extremwetter, verursacht durch den Klimawandel, so die Forscher, wirkt sich in diesem Fall schnell und unmittelbar auf die natürliche Adaption und Selektion aus. Evolution im Zeitraffer gewissermaßen.
Hier der Film zum Laubbläserexperiment, bei dem keine Tiere verletzt wurden:
„Wir haben gesehen, wie in der Natur die Reaktionen von Einzelorganismen über das Schicksal ganzer Populationen, Arten und Ökösysteme entscheiden können. Das trifft auch auf die menschliche Gesellschaft zu.“
Vor allem der letzte Satz sollte uns hellhörig machen. Kommt darin doch zum Ausdruck, dass auch menschliche Migrationsbewegungen aufgrund von Dürren, Flutkatastrophen oder auch Kriegen erwartbar sind, schließlich sind wir auch nur eine Art unter vielen. Schon jetzt prophezeien Wissenschaftler bewaffnete Auseinandersetzungen um die Ressource Trinkwasser.
Trotz der interessanten, teils kuriosen Beispiele von Adaptionen in der Natur an den Klimawandel ist es Hanson ernst, wenn er uns auffordert, von den Tieren und den Pflanzen zu lernen, wenn es darum geht, mit dem Klimawandel umzugehen. Zum Beispiel, in dem wir unsere eigene Lebensweise anpassen, um dem Klima möglichst wenig zu schaden.
„Wenn Eidechsen in nur einer Generation stärkere Haftpolster an ihren Füßen entwickeln können, dann sollten wir uns doch auch durchringen können, auf unnötige Flugreisen zu verzichten oder das Licht auszuschalten, wenn wir einen Raum verlassen.“
Doch Hanson ist kein simpler Mahner mit moralischem Zeigefinger, der Mann ist ein begeisterter, neugieriger Wissenschaftler, der auf unsere menschliche Vernunft und unseren einzigartigen Verstand setzt. Beides zusammen, so seine Hoffnung, sollte es uns ermöglichen, dass wir als Weltgemeinschaft, aber auch als Individuen unsere Lebensweise so adaptieren, dass es uns gelingt, die weitere Erderwärmung abzubremsen und irgendwann aufzuhalten.
„Es wird eine nervenaufreibende und faszinierende Reise – für uns und alle anderen Spezies auf der Welt. Ich hoffe sehr, dass wir es schaffen.“
Fazit: Ein lesenswertes, anregendes Buch eines Wissenschaftlers, der über die Gabe verfügt, kurzweilig schreiben können.
NK | CK
Thor Hanson
Von schrumpfenden Tintenfischen und windfesten Eidechsen. Faszinierende Antworten der Natur auf die Klimakrise
Aus dem Englischen von Andrea Kunstmann
Kösel-Verlag, München, 2022
ISBN: 978-3-466-37289-8
Vor ein paar Monaten hat mir der amerikanische Dichter Jack Ridl, einen anderen US-amerikanischen Lyriker empfohlen: David Budbill. Ich hatte vorher noch nie eine Zeile von Budbill gelesen und auch den Namen noch nie gehört. Das ist nicht weiter verwunderlich, gibt es doch in den USA so viele interessante Dichterinnen und Dichter, die es nie in den deutschen Literaturmarkt schaffen, und Lyrik, wir wissen es alle, hat es sowieso schwer.
Nun, ich habe Budbill gegoogelt und bin auf der Homepage dieses leider schon verstorbenen Dichters auf ein Buch gestoßen, das meine Neugier geweckt hat. „After the Haiku of Yosa Buson“ heißt der schmale, fadengeheftete Band mit gerade mal 86 Seiten. Davon gleich.
Zunächst ein paar Worte zu David Budbill, der am 13. Juni 1940 in Cleveland, Ohio als Kind einfacher Arbeiter zur Welt kam und am 25. September 2016 in Montpelier, Vermont starb. Budbill lebte mehr als 40 Jahre mit seiner Frau, der Künstlerin Lois Eby in einem abgelegenen Dorf in den Bergen Vermonts, bewirtschaftete ein kleines Stück Land, hackte Holz und schrieb: Gedichte, Prosa, Essays, Bücher für junge Leser und Libretti. Trotz seines zurückgezogenen Lebens hat Budbill etliche Auszeichnungen bekommen und sogar eine Ehrendoktorwürde, obwohl ihm die akademische Welt stets fremd war. Budbills Thema war das Leben der einfachen, rauhen Leute in seiner unmittelbaren Nachbarschaft in den Bergen. Die meisten seiner Lyrikbände sind bei Copper Canyon Press erschienen.
Im Nachruf der New York Times wird Budbill so zitiert:
„Ich interessiere mich für die übersehenen Menschen, die Unterdrückten, die Bedrängten und die Vergessenen. Ich möchte Kunst machen, die das einfache Volk verstehen, nutzen, sinnvoll finden und genießen kann.“ (NYT, 30.9.2016)
Nun zu Budbill und Buson, dem großen japanischen Haiku-Dichter und Künstler, der von 1716 bis 1784 lebte und leider immer noch ein wenig im Schatten von Bashō steht. Das meint auch der Haiku-Dichter, Essayist und Literaturkritiker Masaoko Shiki (1867 – 1902), der in seinem Buch über Buson diesen sogar über Bashō stellt.
David Budbill bekommt jedenfall eines Tages von einem guten Freund einen Band mit Haiku von Yosa Buson. Die Haiku von Buson, meisterhaft ins Englische übersetzt von United States Poet Laureate W. S. Merwin und Takako Lento (Copper Canyon Press, 2013), begeistern Budbill derartig, dass er beschließt ein Jahr lang auf den Spuren von Buson zu dichten. Dabei hat er Buson nicht einfach imitiert, sondern als konkrete Inspiration für seine eigenen dreizeiligen Kurzgedichte (Budbill nennt sie explizit nicht Haiku) genommen. Er schreibt im Vorwort zu „After the Haiku of Yosa Buson“:
„Meine Gedichte sind Anspielungen auf Busons Gedichte. Sie sind keine Haiku. Zu meiner großen Überraschung stellte ich fest, dass ich über Dinge schrieb, über die ich noch nie zuvor geschrieben hatte, die aber hier und da vorkommen – Dorschfischer, Kuckuck, Laubfrösche, das Dorf Wolcott, Hacken im Garten usw.“
Ich habe mir zu Budbills Band auch die gesammelten, ins Englische übersetzten Haiku von Buson besorgt. Budbill stellt nämlich seinen Haiku immer die Nummer des jeweiligen Haiku von Buson voran. Es macht wirklich Freude und ist sehr interessant, zu sehen, wie sich ein anerkannter Dichter von einem japanischen Klassiker inspirieren lässt. Und: es hat mich selbst dazu gebracht, mich an eigenen Haiku „nach Budbill, nach Buson“ zu versuchen. Hier ein Beispiel, zu dem auch der Dichter Jack Ridl seinen Beitrag geleistet hat:
1.
The first snow falls
then it melts
into dew on the grass
hatsu-yuki ya
kiyureba zo mata
kusa no tsuyu
2.
Snowing barely then it melts
It’s only the beginning of winter
There’s more to come
David Budbill after Buson #767
3.
The first snow
covers the last leaves
before it melts
Norbert Kraas, after Budbill, after Buson
4.
All snow has melted.
The leftover leaves lie brown.
The moment needs this coffee.
Jack Ridl, after Budbill, after Buson
David Budbill hat sein Buch aufgebaut wie ein klassisches Haiku-Buch: Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dort, wo er direkt Buson zitiert, verwendet er kursive Schrift. Budbills Dreizeiler sind reizvoll und entsprechen durchaus der klassischen Haiku-Tradition, wobei immer wieder Zitate von anderen japanischen oder chinesischen Dichtern 1:1 oder als Anspielungen vorkommen.
On the night we watch the old year out
we treat our old age
with reverence
– David Budbill, after Buson #863
On the night we watch the old year out
age is treated
with reverence
– Yosa Buson
Wer Freude an kurzen Gedichten hat und vielleicht Inspiration für sein eigenes Schreiben sucht, dem seien diese beiden Bücher empfohlen. Beide Bücher sind leider nur in Englisch verfügbar, aber das ist kein allzu großes Hindernis, da das Englisch gut verständlich ist. Sowohl Budbill als auch Buson schrieben für normale Leute, „common people“ wie Budbill sagte. Für mich waren sowohl David Budbill als auch Yosa Buson eine echte Entdeckung!
In seinem Haiku #811 schreibt Buson
Here ist perfect beauty
mandarin ducks
under winter trees
Meine Variante:
Here is perfect beauty
a grey heron
on the barren field
Norbert Kraas nach Buson
Haiku sind übrigens, aber das wisst ihr ja alle längst, eine wunderbare Möglichkeit, Abstand zur Hektik des Alltags zu gewinnen.
NK | CK
David Budbill
After the Haiku of Yosa Buson
FootHills Publishing, 2015
ISBN: 978-0-921053-62-2
Yosa Buson
The Collected Haiku of Yosa Buson
translated by W.S. Merwin & Takako Lento
Copper Canyon Press, 2013
ISBN: 978-1-55659-426-7
off
Auf dem Wasser
eine große Blume:
ein Schwan.
Ein Haiku von Kusatao Nakamura, der am 27. Juli 1901 in Xiamen (China) zur Welt kam und am 5. August 1983 in Tōkyō starb.
Schönes Wochenende!
NK | CK
Weisse Tautropfen: 300 Haiku zu Regen, Nebel und Meer …
ausgewählt und übertragen von Ute Guzzoni und Michiko Yoneda
Taschenbuch, Parerga Verlag, Berlin, 2006
ISBN: 3937262423
leider nur noch antiquarisch erhältlich
off
Neujahrstag
trotz der ganzen Knallerei
sind alle Geister noch da
Haiku zum neuen Jahr
Auch wenn’s den Leitkultur-Predigern nicht gefallen wird: weder hat Silvester einen Bezug zur biblischen Tradition, noch stammt der Brauch, Raketen und Böller in der Silvesternacht krachen zu lassen, aus Deutschland. Die Chinesen, die so viele Dinge erfunden haben, sollen vor mehr als 1000 Jahren erstmals eine Mischung aus Salpeter, Holzkohle und Schwefel zur Explosion gebracht haben. 1379 war dann in Italien das erste Feuerwerk zu bewundern, bevor es 1506 erstmals in Deutschland gekracht hat. Meist war es der Adel, der es sich leisten konnte, mit einem Feuerwerk Hochzeiten und Geburten krachend zu feiern.
Und weil die Menschen schon im Mittelalter mit Töpfen, Rasseln, Trommeln und Trompeten versucht haben, die bösen Geister zu vertreiben, hat man sich wohl gedacht, dass laute Böller und Raketen an Silvester zur Geistervertreibung auch ganz gut geeignet sind. Heute ist dieser heidnische Brauch aus dem christlichen Abendland, ja selbst aus dem Sauerland nicht mehr wegzudenken. Und ein Riesengeschäft ist es obendrein – für die Chinesen.
Wir wünschen Ihnen / euch alles Gute für 2024!
NK | CK
off
„Es ist alles ganz eitel, sprach der Prediger, es ist alles ganz eitel.“ (Prediger 1,2)
In einer Welt, in der immer mehr Menschen so reden, als ob sie in ihrer eigenen Netflix-Serie eine Hauptrolle spielten und schon mal den Instagram-Feed mit dem echten Leben verwechseln, hat der Gang über einen Friedhof eine ungemein erdende Wirkung.
Kommt gut rüber!
NK | CK
off
Am 30. November 2023 ist Shane MacGowan, irischer Sänger der Band The Pogues, im Alter von grade mal 66 Jahren gestorben. Das Lied „Fairytale of New York“ gilt vielen als eines der schönsten Weihnachtslieder überhaupt. Bei Wikipedia lesen wir:
„Der Song folgt den Gedanken eines irischen Immigranten, der nach einem Alkoholrausch in einer Gefängniszelle schläft. Während ein mit ihm eingesperrter Mann den Song The Rare Old Mountain Dew singt, beginnt der Protagonist, von der Frau im Lied zu träumen. Nach dem Einsetzen der Band in der Mitte des Songs wird das Call-and-Response-Prinzip verwendet, das hier den Dialog zwischen dem Paar darstellt, dessen Hoffnungen von Alkohol und Drogen zerstört wurden.“
So, jetzt ein Pint Guinness bitte und Lautstärke rauf:
Wir danken allen Leserinnen und Lesern für ihr Interesse, ihre Treue, ihre Kommentare und Anregungen.
Und wenn’s über die Feiertage arg rührselig oder anstrengend wird, immer dran denken, was die Iren sagen: „It could be worse!“
Merry Christmas!
NK | CK
PS: Eine der schönsten Weihnachtsgeschichten hat übrigens der walisische Dichter Dylan Thomas geschrieben und selbst höchst beeindruckend rezitiert. Gibt’s hier zum Nachhören.