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Sommergespräche

So schön wie vergänglich: Strandburg am Sandstrand

So schön, so vergänglich: Sandburg am Strand von Trouville-sur-Mer. Foto: Corinna Kern

Am Strand
öffnet mein Enkel
die Sandburgen-App
und flucht.

Unschlüssig
starre ich
auf meine nutzlos
gewordenen
Hände

Als ich dieses Gedicht von Bernd Storz zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich Zweifel. Sollte es wirklich eine Sandburgen-App geben? Spielen Kinder selbst am Strand noch mit ihren Handys anstatt selbst Burgen zu bauen? Kurze Recherche: Ja, es gibt tatsächlich eine solche App, die Google so bewirbt: „Sand Castle: Süchtig machender Idle Merge Clicker“. Mir fehlen die Worte.

Und es sind übrigens nicht nur die Kinder, die am schönsten Sandstrand auf die kleinen Bildschirme starren, nein, auch immer mehr Erwachsene kommen von dieser Droge nicht mehr los.

„Sommergespräche“

So heißt der feine Gedichtband, den Bernd Storz im Jahr 2021 vorgelegt hat. Auf 160 Seiten hat der in Reutlingen lebende Storz (Jahrgang 1951) eine Sammlung seiner Gedichte zusammengestellt. Der schmale Band (der in jeden Strandrucksack passt) ist in sieben Abteilungen gegliedert: Spuren, Kindheiten, hoffentlich, Der Geschmack Deines Namens, Aus den Zwischenräumen, Aussichten, Totenbuch.

Bernd Storz ist in vielen literarischen Gattungen zu Hause. Seine Gedichte sind lyrische Erinnerungsgespräche mit sich selbst und mit uns, seinen Lesern. Meist kurz, immer prägnant, oft mit überraschendem Ende, öffnen diese Gedichte viel Raum für unsere Assoziationen. Storz nimmt uns mit auf Wanderungen über die Alb, runter nach Freiburg, auf die Reichenau; er staunt (und wir mit ihm) über den Sommertag, über Bilder von Monet, Chagall, Cézanne, Bacon; er erinnert sich an Kindheiten, an den Vater, an die Oma, an den Siebenstriemer; er würdigt die, die nicht mehr da sind. So im Totenbuch, der letzten Abteilung des Bandes:

Wohnungsauflösung

In der Erinnerung
verfärben sich
die Geschichten.

Kinderzeichnungen
Kreditanträge
Beileidskarten.

Zuunterst
in der Schublade
die ungeöffneten Briefe

Wer schon mal ein Haus oder eine Wohnung ausgeräumt und aufgelöst hat, vor dessen geistigem Auge wird beim Lesen dieses Gedichts ein Spielfilm in Überlänge ablaufen, an dessen Ende man erschöpft aus dem (Erinnerungs)Kino kommt. Mir ging es jedenfalls so.

Storz ist aber nicht nur ein Meister der Erinnerungen und verdichteten Stimmungen, er ist auch ein Sprachkünstler mit durchaus satirischem Humor. Aus Hölderlins „Hälfte des Lebens“ macht er gekonnt ein politisches Statement:

Mit gelben Blätter hängt
und sprachlos
Gehölz in den See.
Schwäne, wir tunken
das Fleisch in die Soße
und machen alle vier Jahre
das Kreuz.

Wo nehm ich, wenn
es Winter ist, Schnee, und wo
Schatten. Der Wind
vom Meiler weht feucht.
Fahnen auf Halbmast.

„Sommergespräche“ von Bernd Storz ist ein anregender Band für die Urlaubstasche und für den Nachttisch. Wer sich mit diesen Gedichten beschäftigt, dem wird der Stoff für Gespräche – mit anderen und mit sich selbst – so schnell nicht ausgehen.

NK | CK

Buchinformation

Bernd Storz
Sommergespräche: Gedichte
Edition Klöpfer im Kröner Verlag
ISBN 978-3-520-76101-9
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Homepage von Bernd Storz

Gesprächsstoff, nicht nur für lange Sommerabende

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