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Im Freibad schwimmen Erinnerungen

Freibad mit Blick auf die Burg Hohenzollern. Wo gibt's das sonst?

Freibad mit Blick auf die Burg Hohenzollern. Wo gibt’s das sonst?

Im Freibad
meiner Jugend geschwommen –
zwischen Erinnerungen

Kranō

Das Freibad in Hechingen zählt für mich zu den schönsten Freibädern. Großes 50-Meter-Becken (gekachelt!), gute Wassertemperatur, sehr groß, gepflegte Liegewiese am Rande eines Naherholungsgebietes, entspannte Menschen. Mehr bedarf es nicht für ein paar Stunden Entspannung; ja fast möchte man sagen: das ist Glück.

NK | CK

PS: Vielleicht hatte der kluge Hermann Hesse doch recht, der da schrieb:

„Das Glück ist ein Wie, kein Was;
ein Talent, kein Objekt.“

Das Glück ist ein Wie ... | Schöne Postkarten Nr. 121

Das Glück ist ein Wie … | Schöne Postkarten Nr. 121

 

 

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Arsenal, Tübingen, Wenders

Die toten Augen von Tübingen: Das Programmkino Arsenal nach der Schließung

Die toten Augen von Tübingen: Das Programmkino Arsenal nach der Schließung

Paul, Tübingen, Wenders

Ist das zu glauben? Am 14. August 2025 wird Wim Wenders, Regisseur, Fotograf, Alleskönner und Gewinner der Goldenen Palme von Cannes, 80 Jahre alt. War das nicht erst letzte Woche, dass wir im Tübinger Arsenal „Der Himmel über Berlin“ mit Bruno Ganz und Otto Sander gesehen haben? Und »Paris, Texas«? Ach, man könnte wehmütig werden. Zumal wenn man sich das Foto da oben anschaut.

Das Arsenal gibt es nämlich nicht mehr. Dabei war dieses wunderbare, kleine, oft hoffnungslos überfüllte, stickige Kino mit den roten Samtsesseln 1974 das allererste Programmkino in Baden-Württemberg. Am 29. November 1974 hat Gründer und Filmemacher Stefan Paul dort den ersten Film laufen lassen. Für uns war das »Arse« auch das erste Kino, in dem man sein Bier in den Vorführraum mitnehmen konnte: eine Sensation. Und wo sonst hätten wir die schrägen Jim-Jarmusch-Filme im Original anschauen können?

Das Salz der Erde

Auch den Wenders-Film »Das Salz der Erde« über den großartigen Fotografen Sebastião Salgado haben wir zum ersten Mal im Arsenal bewundert, 2014 war das. Dieser tief beeindruckende Dokumentarfilm, den einige von euch bestimmt schon gesehen haben, zeigt das Leben und Werk des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Am 23. Mai 2025 ist Salgado in Paris im Alter von 81 Jahren gestorben. Der Brasilianer sollte zunächst Ökonom werden, hat dann aber – Gott sei Dank – die Fotografie entdeckt. Salgado hat sein ganzes künstlerisches Leben Umweltzerstörung, Mord, Gier, Hass und das Leid der Ärmsten und Ausgebeuteten mit der Kamera gezeigt und angeprangert.

Salgado, der 2019 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, sah sich bisweilen mit dem Vorwurf konfroniert, er würde das Elend der Menschen mit seiner Kunst ästhetisieren und instrumentalisieren. Seine Antwort darauf:

„Die moralische Frage kann nicht sein, ob man katastrophale Zustände zeigen darf oder nicht. Ich glaube, wir müssen sie zeigen. Die Menschen müssen begreifen, was passiert. Jeder muss betroffen sein und die Möglichkeit bekommen, etwas zu ändern oder nicht. Es geht nicht um die Frage, ob man solche Fotos macht oder nicht. Die Bilder sind harmlos im Vergleich zur Realität.“

Aus Anlass des Geburtstags von Wim Wenders zeigt 3sat »Das Salz der Erde« am kommenden Montag, 11. August 2025 um 22.25 Uhr. Danach wird der Film vermutlich in der Mediathek verfügbar sein. Auf Arte läuft außerem eine Wenders-Retrospektive.

NK | CK

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„Mit Pflanzen die Welt retten“ – ohne wird’s nicht gehen!

Meere sind gewaltige Kohlenstoffspeicher, viel mehr noch als Wälder und Moore

„Es ist eben nicht so, dass morgen die Welt untergeht.“ Wer hat das gesagt? Nein, nicht der Orangenmann im Weißen Haus, sondern der aktuelle Bundeskanzler, Friedrich Merz. Im April 2023 war das in einem Interview mit der ZEIT, wo er betonte, dass er ausdrücklich nicht die Einschätzung teile, dass uns die Zeit in Sachen Klimaschutz davonlaufe. Eine unglaubliche, wahlkampfgetriebene Behauptung und gleichzeitig eine krasse Fehleinschätzung, die allem widerspricht, was weltweit renommierte Klimaforscher sagen. Denn die Weltgemeinschaft ist gerade dabei, das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz 2015 endgültig zu reißen.

Mit Pflanzen die Welt retten

„Dringend erforderlich wäre aber die Einhaltung der 2-Grad-Grenze, denn jenseits dieser Schwelle drohen gefährliche Kipppunkte, die ein Umsteuern unmöglich machen.“

Das schreibt der promovierte Biologe und Autor Bernhard Kegel in der Einleitung zu seinem neuen Sachbuch „Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen für den Klimawandel“, mit dem er für den Deutschen Sachbuchpreis 2025 nominiert war. Und er geht noch weiter:

„Da weiterhin große Mengen an Treibhausgasen emittiert werden, sieht es im Augenblick jedoch so aus, als würden wir eher auf eine um 3 Grad wärmere Welt zusteuern. Mitteleuropa und anderen Festlandmassen droht demnach bis zum Jahr 2100 eine Erhitzung um bis zu 6 Grad.“

Wer sich wundert, wie aus den 3 Grad nun auf einmal 6 Grad werden, hier die Erklärung: Festland erwärmt sich deshalb stärker, weil Landmassen die Wärme schneller aufnehmen und abgeben als Wasser. Dabei ist die Erwärmung nicht gleichmäßig über alle Regionen. Die Nordhalbkugel weist einen größeren Anteil an Landmasse auf als die Südhalbkugel, deshalb erwärmt sich die Nordhalbkugel stärker als die Südhalbkugel.

Ach komm, davon wird die Welt nicht untergehen, sagen die Klimawandelverharmloser, häufig unterstützt von einer mächtigen Öl- und Gaslobby. Mag ja sein, dass die Welt nicht gleich untergeht, aber es wird ziemlich ungemütlich werden auf unserem Planeten. Weite Teile werden unbewohnbar werden, was zwangsläufig zu Migrationsbewegungen führen wird. Im Südosten der Türkei, in Silopi, wurden vor ein paar Tagen 50,5 Grad Celsius gemessen. Wer kann das aushalten?

Doch zurück zu Bernhard Kegel und seinem Buch „Mit Pflanzen die Welt retten“, das ich gerade mit großem Interesse gelesen und dabei sehr viel gelernt habe. Dass der 1953 in Berlin geborene Autor auch erfolgreich Romane schreibt, merkt man diesem klugen Sachbuch an; der Mann kann schreiben.

Kegel geht in seinem Buch der Frage nach, die ihn als Biologen besonders interessiert: Können wir mit Planzen die Welt retten?

Düster, aber nicht hoffnungslos

Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. In der Einleitung zeichnet Kegel ein düsteres, aber nicht komplett hoffnungsloses Bild in Bezug auf die Erderhitzung und den aktuellen Kohlendioxidausstoß. Von der dringend notwendigen, weltweiten Reduktion der Treibhausgas-Emissionen auf 0 kann leider keine Rede sein. Wir sind längst wieder auf Vor-Corona-Niveau und steuern auf weitere Rekordemissionen zu. Für das Jahr 2024 gehen die Wissenschaftler*innen von Our World in Data (Universität Oxford) von weltweit 37,7 Gigatonnen CO₂ aus. Wir in Deutschland haben 2024 rund 596 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft geblasen. Wer sich das nach Ländern und im Verlauf der Jahrhunderte ansehen möchte, kann dies hier tun.

Kegel macht unmissverständlich klar, dass wir zum einen die weltweiten Emissionen so schnell wie möglich Richtung Null drücken müssen. Zum anderen müssen wir

„versuchen das Fieber der Welt zu senken, auch wenn das Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern sollte.“ Das heißt, wir müssen auch CO₂ aus der Atmosphäre entnehmen. Das allerdings ist sehr aufwendig und teuer, sehr teuer. Es sind gewaltige Anlagen, die das Spurengas CO₂ aus der Atmosphäre ziehen sollen. Und dann muss das CO₂ noch in den Boden verpresst werden. Auch nicht einfach. Und was es dort anrichtet? Weiß man auch noch nicht.

Der sanfte Weg

In den folgenden Kapiteln konzentriert sich der Biologe aber auf den, wie er es nennt, „sanften“ oder „grünen“ Weg. Denn die wahren Experten der Kohlenstofffixierung sind die Pflanzen. Seit Hunderten von Millionen von Jahren entnehmen sie mittels Photosynthese der Luft Kohlenstoffatome, wachsen dabei und produzieren den für uns lebenswichtigen Sauerstoff. Kegel legt schlüssig dar, dass Pflanzen jeder großtechnischen Lösung zur Entnahme von CO₂ aus der Umwelt überlegen sind. Und:

„Gleichzeitig sind sie entscheidend für die Bewältigung der zweiten großen Zukunftskrise, in der wir uns längst befinden: dem Sterben der Tiere, der Defaunation und dem Schwinden der biologischen Vielfalt. Manche sagen, diese Krise werde uns noch härter treffen.“

Wälder, Moore, Ozeane: diese drei Lebensräume nehmen bei der Bekämpfung des Klimawandels eine zentrale Rollen ein.

Wälder

Jede Pflanze, die wir nicht ausreißen oder fällen, „betreibt Photosynthese und fixiert Kohlenstoff, und natürlich gilt das besonders für große langlebige Pflanzen, für Bäume, und deren komplexe Gemeinschaften, die Wälder.“

Der Schutz unserer Wälder ist aktiver Klimaschutz

Der Schutz der Wälder ist Klimaschutz

Es leuchtet daher ein, dass wir aufhören müssen, Wälder abzuholzen (Regenwald, Mangrovenwälder usw.), und zwar möglichst sofort. Wälder müssen weltweit geschützt und bewahrt werden. Außerdem müssen neue Wälder aufgeforstet werden.

„Klimaschutz beginnt beim Naturschutz.“

Aber der Biologe macht gleich klar: Massive Aufforstung von Millionen, ja Milliarden von Bäumen ohne Plan ist sinnlos, ja zum Teil kontraproduktiv. Es muss genau überlegt und erforscht werden, welche Art von Bäumen wo gepflanzt wird. Kegel bringt Beispiele von gigantischen, misslungenen oder mindestens problematischen Aufforstungsprojekten. Außerdem braucht Aufforstung im großen Stil jede Menge Fläche, passendes Saatgut (was nur sehr aufwendig zu gewinnen ist), viel Wasser und jede Menge Zeit.

„Aufforstung ist also mit Sicherheit kein schneller Weg zur CO₂ Reduktion. Jahrzehnte müssen vergehen, bevor es zu einem deutlichen Effekt kommt; auch deswegen ist die Erhaltung der alten Wälder so wichtig.“

Es ist faszinierend, diesem kritischen, belesenen Autor zu folgen, wie er positive und negative Beispiele bringt, Zahlen und Fakten aus der Forschung einfließen lässt, vorsichtig abwägt, um schließlich zu Empfehlungen zu kommen, wobei er nie den Eindruck vermitteln möchte, er sei der allwissende Experte.

Moore

„O schaurig ist’s übers Moor zu gehn“, heißt es in der Ballade von Annette von Droste-Hülshoff. Moore hatten über viele Jahrhunderte ein ganz schlechtes Image. Also hat man sie entwässert und trocken gelegt, um sie dann landwirtschaftlich nutzen zu können. Ein großer Fehler, wie man heute feststellt. Denn intakte Moore sind gewaltige CO₂-Speicher und ein wichtiger Baustein bei der Bewältigung der Klimakatastrophe.

„Moore in ihren verschiedenen Erscheinungsformen machen weltweit zwar nur 3 bis 4 Prozent der Landfläche aus (500 Millionen Hektar), speichern durch die kompakte Lagerung aber fast doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder des Planeten zusammen (…)“

Das Federseemoor in Oberschwaben ist mit 33 km² das größte Moor Südwestdeutschlands

Das Federseemoor in Oberschwaben ist mit 33 km² das größte Moor Südwestdeutschlands

Jeder Quadratkilometer Moor, der trockengelegt wird, ist daher eine Katastrophe für das Klima. Der Autor lässt hier, wissenschaftlich belegt, keine Zweifel. Die Moorzerstörung muss aufhören! Denn sobald ein Moor trockengelegt wird, beginnt die Emittierung von CO₂. Die gute Nachricht: Sobald ein Moor wieder vernässt und intakt ist, hört die Emittierung von CO₂ schlagartig auf. Das Moor kann wieder Kohlendioxid einlagern.

Ozeane

Zwei Drittel der Erde sind von Ozeanen bedeckt, und diese gewaltigen Lebensräume sind zum Großteil in einem mehr als beklagenswerten Zustand. Dabei sind Ozeane mit den in ihnen lebenden Pflanzen enorme Kohlenstoffspeicher. Viel mehr noch als Wälder oder Moore. Es sind die Makroalgen, und

„in erster Linie sehr viele mikroskopisch kleine grüne Einzeller. Nicht zuletzt sie haben bewirkt, dass Ozeane bisher ein Drittel des von Menschen emittierten Kohlendioxids aufgenommen haben. Die Kohlenstoffmenge, die in maritimen Organismen und Sedimenten gespeichert ist, übertrifft die an Land um ein Vielfaches.“

„Blue carbon ecosystems“ nennt die Wissenschaft diese Ökosysteme, und für Kegel ist klar: Wir müssen die Ozeane mit ihrer Pflanzen- und Tierwelt schützen, und zwar viel mehr, als wir dies aktuell tun. Vor allem die Mangrovenwälder und Seegraswiesen spielen eine zentrale Rolle bei der Aufnahme und Speicherung großer Mengen CO₂.

Auch in diesem spannenden Kapitel bringt Kegel positive, aber auch problematische Beispiele dafür, wie versucht wird, die Ozeane im Bezug auf CO₂-Speicherung noch besser zu nutzen. Daher gilt auch hier: Der Schutz bestehender Ökosysteme muss Priorität haben, denn Naturschutz ist aktiver Klimaschutz und unverzichtbar, wenn wir die Erderhitzung mindestens bremsen wollen.

Das Buch schließt mit einem Exkurs zur künstlichen Photosynthese, bei der es darum geht, die natürliche Photosynthese (die schon komplex genug ist!) wissenschaftlich im Labor zu optimieren. Hier wird die Lektüre für Nicht-Naturwissenschaftler anspruchsvoller, bleibt aber interessant und lehrreich.

Ohne Planzen wird es nicht gehen

„Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel“ ist ein wichtiger Beitrag zur Klimadiskussion und eine lohnende Lektüre für alle, die genug haben von wenig erhellenden, polemisch geführten Diskussionen im deutschen Talkshow-Tingeltangel. Bernhard Kegel stützt sich auf harte Fakten und neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die er sehr gut lesbar vermittelt. Ein sehr umfangreiches Fußnoten- und Literaturverzeichnis runden das Buch ab.

Ein kluges, lesenswertes Buch, das zum Nachdenken und Handeln anregt.

NK | CK

PS: Es wäre schön, wenn der Verlag ein Freiexemplar ins Kanzleramt senden könnte.

Buchinformation

Bernhard Kegel
Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel.
DuMont Buchverlag, Köln, 2024
ISBN: 978-3-8321-6850-6

Hörenswerte Vorlesung von Bernard Kegel zum Thema 

Homepage von Bernard Kegel

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Flüchtiger Sommerhimmel

Ändert sich bisweilen im Minutentakt, der Sommerhimmel am Meer

Trouville-sur-Mer: Ändert sich bisweilen im Minutentakt, der Sommerhimmel am Meer. 

Den Sommerhimmel sehn,
Und steht es auch in keinem Buche, ist Poesie –
Wahre Gedichte fliehn –

To see the Summer Sky
Is Poetry, though never in a Book it lie –
True Poems flee

Emily Dickinson (1472)

Stärkung des geistigen Immunsystems

Emily Dickinson starb 1886 im Alter von nur 56 Jahren in Amherst, Massachusetts. Zu Lebzeiten hat sie praktisch nichts veröffentlicht. Sie lebte im Haus ihres Vaters bis zu ihrem Tod und gab sich ganz ihrer Dichtung hin. Veröffentlicht wurden ihre Gedichte erst nach ihrem Tod, heute zählt sie zu den wichtigsten Stimmen in der englischsprachigen Lyrik überhaupt.

„Hochkonzentriert und betörend rätselhaft“ nannte FAZ-Kritiker Harald Hartung einmal die Verse Dickinson. Seine damalige Kollegin bei der FAZ, Felicitas von Lovenberg, nannte die deutsprachige Ausgabe von Dickinson aus der Dieterich’schen Verlagsbuchhandlung eines ihrer Lieblingsbücher und preist Dickinsons „genau dosierte Worte als Stärkungen des Immunsystems gegen die Viren und Wehwehchen des Alltags.“

I’m Nobody! Who are you?
Are you – Nobody – Too?
Then there’s a pair of us?
Don’t tell! They’ll advertise – you know!

Ich bin Niemand! Und du?
Noch – Niemand – dazu?
Dann sind wir ein Paar?
Pst! sonst ruft man uns – öffentlich aus!

Emily Dickinson (288)

Genießt den Sommerhimmel, denn er ist flüchtig!

NK | CK

Buchinformation

Emily Dickinson
Dichtungen
Ausgewählt, übertragen und mit einem Nachwort versehen von Werner von Koppenfels
Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz
2. Auflage / erweiterte Neuausgabe, 2001
ISBN: 3-87162-037-8

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Gehirnwiese vertrocknet

Nach der Hitzewelle ist vor der Hitzewelle: neue Bauernregel

Nach der Hitzewelle ist vor der Hitzewelle: neue Bauernregel

Vertrocknet
auch meine Gehirnwiese –
Hitzewelle

Kranō

Haiku, inspiriert von der ersten Hitzewelle des Jahres und Paul Valéry, der das Wort „Gehirnwiese“ geprägt hat. Valéry war ein französischer Lyriker, Essayist und Philosoph. Er wurde am 30. Oktober 1871 in Sète im Süden Frankreichs geboren und starb am 20. Juli 1945 in Paris. Er galt in seiner Zeit als der wichtigste französische Lyriker und war in ganz Europa berühmt. Mit Rilke, der ihn schätzte, war Valéry befreundet. Über viele Jahrzehnte füllte dieser außergewöhnliche Denker seine Cahiers (Hefte), in denen er sich täglich Notizen zu allen möglichen Themen machte.

Eine Auswahl dieser Notizen versammelt der Band „Ich grase meine Gehirnwiese ab“, der vor ein paar Jahren bei Fischer als Taschenbuch (ISBN: 978-3-596-90602-4 ) erschienen ist. Man muss diese Sammlung nicht von vorne bis hinten durchlesen, eher blättert man immer mal wieder rein und lässt sich von diesem klugen, unabhängigen „Selbst- und Weltbeobachter“ (Ingeborg Waldinger) anregen:

„Jedes Leben ist ein emporgeworfener Stein. Beim Herabfallen aber geschieht es, daß mancher Stein eine schöne Frucht vom Baum im Garten Eden mit herabholt.“

Paul Valéry hat viele Früchte herabgeholt.

NK | CK

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Der mit dem Duschschlauch tanzt

Neues Gerät, neue Tastatur: auch so geht Verkrempelung der Welt

Neues Gerät, neue Tastatur, wieder und wieder: auch so kann man die Welt verkrempeln

Ich weiß nicht, woran Sie denken, wenn Sie morgens unter der Dusche stehen? Ich will ganz ehrlich sein, ich denke seit ein paar Tagen beim Duschen immer mal wieder an Gabriel Yoran. Immer dann, wenn unser Brauseschlauch anfängt, komisch zu agieren, nur weil ich den Duschkopf von der rechten in die linke Hand wechsle. Kennen Sie das auch? Keine Sorge, wir sind nicht alleine. Damit zu Gabriel Yoran, der seinen Brauseschlauch, sein Induktionskochfeld, den Computer seines Vaters, einen Kaffeevollautomaten und dergleichen Alltagsdinge mehr zum Anlass genommen hat, eines der besten Sachbücher zu schreiben, das ich in diesem Jahr gelesen habe.

»Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags)«

»Ich will nicht hinnehmen, dass dieses Ding, das immerhin von einem führenden deutschen Markenartikler stammt, mir jeden Morgen eine eckige, entwürdigende Körperpflegechoreografie aufzwingt. Vor allem aber will ich mich nicht mit meinem Brauseschlauch befassen müssen. Das hat doch alles schon mal funktioniert!«

Gabriel Yoran ist Autor, Unternehmer, Journalist und hat über »Objekte« im Fach Philosophie promoviert. Yoran hat, wie viele von uns, an den verschiedensten Gegenständen des Alltags, die wir so kaufen, »eine merkwürdige Gleichzeitigkeit von Fort- und Rückschritt« beobachtet. Heißt: Dinge, die schon mal gut und problemlos funktioniert haben, werden mit der nächsten Version nur in der Werbung besser. Ein Fortschrittsversprechen an uns Verbraucher, das sehr, sehr viele Dinge nicht einlösen können.

»Das Unbehagen am Konsum ist nicht nur mein individueller Eindruck. Überall in der westlichen Welt sitzen Verbraucher:innen verzagt vor ihren Anschaffungen.«

Glomb

Als wir vor mehr als 30 Jahren mit unserer Firma in neue Räume gezogen sind, haben wir zwei große Investitionen getätigt. Zum einen haben wir in Hard- und Software investiert, zum anderen in neue Büromöbel. Der Drucker, den wir damals gekauft haben, war ein Schwarzweiß-Monster von HP mit mehreren Schächten. Nicht billig, aber extrem solide und extrem zuverlässig. Er lief ohne Murren mehr als 15 Jahre. Dann waren Farblaser angesagt, und wir haben den alten HP schweren Herzens in Zahlung gegeben (ja, das gab’s auch mal). Der neue Farbdrucker, auch von HP, druckte zwar bunt, aber er war zickig und nervös wie ein Araberhengst beim Großen Preis von Baden-Baden; und gehalten hat er auch nicht so lange. Mittlerweile drucken wir kaum noch, ärgern uns aber jedes Mal über unseren klapprigen Farb-Tintenstrahler, der ständig was von einem möchte und mal ansteuerbar ist und mal nicht. Ein Glomb würde man auf gut Schwäbisch sagen. Die Büromöbel waren sind von USM Haller, und die halten locker noch 100 Jahre.

Krempel ist überall

Man kann Gabriel Yoran nicht genug danken für seine glänzend geschriebene Waren- und Konsumkritik, in der auch der Humor nicht zu kurz kommt. »Die Verkrempelung der Welt« legt den Finger gnadenlos in die offenen Wunden der Produktentwicklung und der Vertriebsstrategien von Konzernen und Handelsgiganten, die uns pausenlos erzählen wollen, dass alles immer besser wird. Wird es nicht.

Yoran will es nicht mehr hinnehmen, dass die Dinge häufig zwar teurer, aber oft schlechter werden. Ein Phänomen, das Kaffeevollautomaten, Flachbildfernseher oder Regale genauso betrifft wie Software oder auch Soziale Plattformen. Immer werden uns Produkte vorgesetzt, die »gerade gut genug sind, dass die Kundschaft nicht in Massen davonläuft.«

Überzeugend vertritt der Autor die These, dass gute Produktqualität wichtig ist, und zwar in vielerlei Hinsicht.

»Die Dinge des Alltags sind nicht egal, denn gute Dinge machen gute Dinge mit uns – und schlechte Dinge schlechte. Wenn wir die schlechten Dinge befragen, die Bedingungen, unter denen sie entwickelt und vertrieben werden, erzählen sie von uns von den Ursachen, Mechanismen und Anreizsystemen, die sie schlechter sein lassen, als sie sein sein müssten.«

Das Gespür für Qualität geht verloren

Darüber hinaus, so meine Beobachtung, sinkt in einer Gesellschaft, die auch dank Temu und diesen grässlichen Ein-Euro-Ramsch-Läden mit immer mehr Krempel geflutet wird, das Gespür für Qualität, und zwar in allen Bereichen. Als Verbraucherinnen und Verbraucher verlernen wir Qualität kritisch zu beurteilen, sei es bei einem Produkt oder bei einem Text.

Dieses Absinken des Qualitäts- und damit auch Anspruchsniveaus haben wir im Bereich der Unternehmenskommunikation in den letzten Jahrzehnten schön beobachten können. Denn wenn Quick and Dirty (ein furchtbarer Ausdruck!) die Vorgabe bei der graphischen Gestaltung von Broschüren, der Fotografie von Produkten oder bei der Erstellung von Texten ist, dann bleibt die Qualität in der Regel auf der Strecke.

Warenkritik und Warenkunde

Was tun gegen die Verkrempelung der Welt? Gar nicht mehr konsumieren? Ist auch keine Lösung, sagt Yoran, weil nicht praktikabel. Aber wie kommen wir zu guten Produkten? Und was macht überhaupt ein gutes Produkt aus? Und welche unserer Bedürnisse sind gerechtfertig, welche werden uns eingetrichtert?

Warentest sehr gut, aber unendlich langsam: Krempel?

Warentest sehr gut, aber unendlich langsam: Krempel?

Gabriel Yoran hat auch keine Patentlösung, wie wir dahin kommen könnten, dass Produkte, die besser werden, nicht an anderer Stelle schlechter werden. Aber er schlägt eine neue, eine progressive Warenkunde vor, die auch berücksichtigt, dass der technische Fortschritt nicht immer mit gesellschaftlichem Fortschritt einhergeht. Eine progressive Warenkunde dürfte sich nicht nur auf Material und Herstellung beschränken, wie die klassische Warenkunde in früheren Zeiten, so der Autor. Sie müsste auch die Produktionsbedingungen und Lieferketten bis hin zu den Kobaltminen im Kongo berücksichtigen.

»Ein gutes Produkt im Sinne einer progressiven Warenkunde würde von der Kundschaft mitgestaltet und könnte von ihr angepasst werden.«

Großartige Idee, wie ich finde. Auch die Nachhaltigkeit ist Yoran wichtig. Lässt man die ästhetische Nachhaltigkeit mal außen vor, geht es ihm um so selbstverständliche Dinge wie »Materialangemessenheit, Offenheit für sich ändernde Ausgaben, Reparierbarkeit, Recyclebarkeit, die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und eine gute Dokumentation.«

Man fragt sich als Leserin automatisch, warum diese selbstverständlichen Kriterien in den Vorständen von Unternehmen keine oder allenfalls nur eine marginale Rolle spielen? Weil man dort denkt, der Kunde ist blöd, der wird das Zeug schon kaufen? Könnte sein.

Glänzend geschrieben mit glänzendem Umschlag

Glänzend geschrieben mit glänzendem Umschlag: eine lohnende Investition

Eine progressive Warenkunde, und mit ihr einhergehend eine aufgeklärte, informierte Kundschaft, müsste die Hersteller in die Pflicht nehmen. Ob das gelingen kann? Fraglich, solange die Kunden marktbeherrschenden Shopping-Portalen so viel Billigdreck abkaufen, dass der Zoll in Frankfurt bei der Importkontrolle nur Stichproben machen kann. Und was ist mit unseren Bedürfnissen, die von der Industrie pausenlos geweckt und manipuliert werden? Fragen über Fragen, über die es sich lohnt, nachzudenken.

»Wir werden nicht herumkommen um die gemeinsame Suche nach dem guten Leben miteinander, nach den legitimen Bedürfnissen.«

Ein guter Ausgangspunkt für diese Suche nach dem guten Leben ist auf jeden Fall, Gabriel Yorans Buch zu lesen. »Die Verkrempelung der Welt« ist der ideale Begleiter auf dem Weg zum aufgeklärten Verbraucher und zu weniger Krempel.

NK | CK

PS: Das Buch sollte Pflichtlektüre für angehende Ingenieurinnen und Betriebswirte sein.

Buchinformation

Gabriel Yoran
Die Verkrempelung der Welt. Zum Stand der Dinge (des Alltags)
edition suhrkamp, 2025
ISBN: 978-3-518-03002-8

Homepage von Gabriel Yoran

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Hitze, Wasserlinsen und kein Frosch

Insekten schätzen die Wasserlinsen als Plattform beim Trinken

Insekten schätzen Wasserlinsen als schwimmende Plattform beim Trinken

Ein kleiner Teich
kein Frosch
aber diese Stille

Kranô

Wer Vögeln und Insekten bei der aktuellen Hitze etwas Gutes tun möchten, sollte Tränken aufstellen. Insekten mögen flache Schalen oder Teller, in die man zur Sicherheit noch ein paar Steine legen kann.

NK | CK

PS: Vor vier Jahren haben wir hier das Buch Deutschland 2050. Wie der Klimawandel unser Leben verändert wird“ vorgestellt. Leider ist die aktuelle Bundesregierung derzeit dabei, den dringend notwendigen Klimaschutz (und Arten- und Gewässer- und Naturschutz) komplett zu vernachlässigen. Das ist, so führende Klimaforscher, so kurzsichtig wie verantwortungslos gegenüber unseren Kindern, Enkeln und allen nachfolgenden Generationen. So schreibt der Verfassungblog im Jahr 2023 auf seiner Website,

„Die Annahme, der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts (24.3.2021) könne durch Überzeugung wirken, hat sich nicht als berechtigt erwiesen.“

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Sommergespräche

So schön wie vergänglich: Strandburg am Sandstrand

So schön, so vergänglich: Sandburg am Strand von Trouville-sur-Mer. Foto: Corinna Kern

Am Strand
öffnet mein Enkel
die Sandburgen-App
und flucht.

Unschlüssig
starre ich
auf meine nutzlos
gewordenen
Hände

Als ich dieses Gedicht von Bernd Storz zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich Zweifel. Sollte es wirklich eine Sandburgen-App geben? Spielen Kinder selbst am Strand noch mit ihren Handys anstatt selbst Burgen zu bauen? Kurze Recherche: Ja, es gibt tatsächlich eine solche App, die Google so bewirbt: „Sand Castle: Süchtig machender Idle Merge Clicker“. Mir fehlen die Worte.

Und es sind übrigens nicht nur die Kinder, die am schönsten Sandstrand auf die kleinen Bildschirme starren, nein, auch immer mehr Erwachsene kommen von dieser Droge nicht mehr los.

„Sommergespräche“

So heißt der feine Gedichtband, den Bernd Storz im Jahr 2021 vorgelegt hat. Auf 160 Seiten hat der in Reutlingen lebende Storz (Jahrgang 1951) eine Sammlung seiner Gedichte zusammengestellt. Der schmale Band (der in jeden Strandrucksack passt) ist in sieben Abteilungen gegliedert: Spuren, Kindheiten, hoffentlich, Der Geschmack Deines Namens, Aus den Zwischenräumen, Aussichten, Totenbuch.

Bernd Storz ist in vielen literarischen Gattungen zu Hause. Seine Gedichte sind lyrische Erinnerungsgespräche mit sich selbst und mit uns, seinen Lesern. Meist kurz, immer prägnant, oft mit überraschendem Ende, öffnen diese Gedichte viel Raum für unsere Assoziationen. Storz nimmt uns mit auf Wanderungen über die Alb, runter nach Freiburg, auf die Reichenau; er staunt (und wir mit ihm) über den Sommertag, über Bilder von Monet, Chagall, Cézanne, Bacon; er erinnert sich an Kindheiten, an den Vater, an die Oma, an den Siebenstriemer; er würdigt die, die nicht mehr da sind. So im Totenbuch, der letzten Abteilung des Bandes:

Wohnungsauflösung

In der Erinnerung
verfärben sich
die Geschichten.

Kinderzeichnungen
Kreditanträge
Beileidskarten.

Zuunterst
in der Schublade
die ungeöffneten Briefe

Wer schon mal ein Haus oder eine Wohnung ausgeräumt und aufgelöst hat, vor dessen geistigem Auge wird beim Lesen dieses Gedichts ein Spielfilm in Überlänge ablaufen, an dessen Ende man erschöpft aus dem (Erinnerungs)Kino kommt. Mir ging es jedenfalls so.

Storz ist aber nicht nur ein Meister der Erinnerungen und verdichteten Stimmungen, er ist auch ein Sprachkünstler mit durchaus satirischem Humor. Aus Hölderlins „Hälfte des Lebens“ macht er gekonnt ein politisches Statement:

Mit gelben Blätter hängt
und sprachlos
Gehölz in den See.
Schwäne, wir tunken
das Fleisch in die Soße
und machen alle vier Jahre
das Kreuz.

Wo nehm ich, wenn
es Winter ist, Schnee, und wo
Schatten. Der Wind
vom Meiler weht feucht.
Fahnen auf Halbmast.

„Sommergespräche“ von Bernd Storz ist ein anregender Band für die Urlaubstasche und für den Nachttisch. Wer sich mit diesen Gedichten beschäftigt, dem wird der Stoff für Gespräche – mit anderen und mit sich selbst – so schnell nicht ausgehen.

NK | CK

Buchinformation

Bernd Storz
Sommergespräche: Gedichte
Edition Klöpfer im Kröner Verlag
ISBN 978-3-520-76101-9
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Homepage von Bernd Storz

Gesprächsstoff, nicht nur für lange Sommerabende

Gesprächsstoff, nicht nur für lange Sommerabende

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