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James Rebanks erzählt sein englisches Bauernleben

Keine Herdwickschafe, aber auf jeden Fall englische Schafe

Keine Herdwicks, aber auf jeden Fall Schafe, die wir in England fotografiert haben

Ein Land wie ein Gedicht

„Unser Land ist wie ein Gedicht, eingebettet in den Flickenteppich anderer Landschaftsgedichte, die von Hunderten von Menschen geschrieben worden sind, Menschen, die jetzt hier leben, und Menschen, die vor uns kamen. Jede Generation fügt neue Bedeutungsschichten, neue Erfahrungen hinzu. Und so enthüllt uns das Gedicht, wenn wir es lesen können, eine komplexe Wahrheit. Es enthält Momente großer Schönheit, aber auch herzzerreißendes Leid.“

Das schreibt James Rebanks, Jahrgang 1974, dessen Familie im Lake District im Norden Englands zuhause ist, in seinem neuen Buch „Mein englisches Bauerleben“. Rebanks ist wie seine Vorfahren seit sechs Jahrhunderten mit der herben Landschaft und den kargen Hügeln, die sie dort „fells“ nennen, fest verwurzelt. Daran hat auch sein Studium, das er in Oxford absolvierte, nichts geändert. Wer das erste Buch von James Rebanks „Mein Leben als Schäfer“ gelesen hat, weiß, wie sehr er dieses Land und seine Arbeit auf der 75-Hektar-Farm seiner Familie liebt.

Wie soll man das neue Buch dieses klugen und bodenständigen Mannes nennen? Autobiographie, Sachbuch, Roman, alles zusammen? Vielleicht autobiographischer Entwicklungsroman mit Sachbuchcharakter.

Nostalgie

Da ist zum einen die Lebens- und Entwicklungsgeschichte des Autors, der als Junge von seinem Großvater alles über das Land und die anstrengende, aber auch beglückende Arbeit eines Farmers in den Fells lernt.

„Als ich damals auf dem Traktor saß und die Möwen beobachtete, hatte ich das Gefühl, als gehörten Granddad und die Möwen hinter seinem Pflug zu ein und demselben großen Ganzen, in dem die Möwen genauso zählten wie er. Beide hatten einen zeitlosen Anspruch an den Boden, beide gehörten in dieser Landschaft demselben Zyklus an. Sie brauchten einander. (…) Zu Beginn jenes Frühlings hatte mein Großvater beschlossen, es sei Zeit für für meine landwirtschaftliche »Ausbildung«.“

Nostalgie heißt dieses erste von drei Kapiteln des Buches, in dem der Großvater ihn die traditionelle Art der Landwirtschaft in dieser alten Kulturlandschaft lehrt.

Parallel dazu erfahren wir von den Schwierigkeiten des Autors mit seinem Vater, der seine Farm gepachtet hat und sich mit dem Modernisierungsdruck – und allen negativen Konsequenzen – auseinandersetzen muss. Während also der Großvater noch in der alten bäuerlichen Welt verhaftet ist und seine traditionelle Farm über alles stellt, kämpft der Vater, wie viele andere Bauern, mit dem dramatischen Wandel, der sich in der britischen Landwirtschaft vollzieht.

Fortschritt

„Er war mit wachsenden Schulden konfrontiert und schien gefangen zwischen den alten bäuerlichen Werten und der neuen wirtschaftlichen Realität.“

Wie diese Realität aussieht? Immer größere Höfe, wachsende Viehbestände auf kleiner Fläche, Kunstdünger, der den Bauern als Wundermittel angepriesen wird, dazu neue große Maschinen, für die sich die Bauern bei den Banken verschulden müssen. Das zwingt sie wiederum, mehr zu produzieren und sich noch mehr dem Diktat der Abnehmer ihrer landwirtschaftlichen Produkte zu unterwerfen. Kein gesunder Kreislauf.

Rebanks skizziert diese Entwicklung, die wir auch von Deutschland kennen, mit klaren Worten, bringt viele Zahlen und Fakten, erklärt nebenbei, wie der Stickstoffdünger in die Welt kam, und beschönigt nichts. Für den Autor wird klar: es sind die Supermarktketten und Nahrungsmittelhersteller und damit letzten Endes wir Verbraucher, die den Bauern diktieren, wie sie zu arbeiten haben. Denn wenn die Kunden superbilliges Lammfleisch wollen, wird es eben aus Neuseeland oder Australien importiert, auch wenn der englische Schafzüchter gleich nebenan seine Herde hält. Mit welchen Kosten für Mensch, Tier und Umwelt dies verbunden ist, spielt für den Verbraucher an der Fleischtheke häufig eine untergeordnete Rolle.

Zwei Erlebnisse haben Rebanks die Konsequenzen des Fortschrittsgedankens einer maximal intensivierten Landwirtschaft deutlich gemacht. Da ist zum einen seine Erfahrung in Australien auf einer riesigen industriell betriebenen Farm. Rebanks arbeitet dort als Farmhelfer, fühlt sich aber eher als Maschinist und kommt fast um vor Heimweh nach den überschaubaren Strukturen seiner heimatlichen Hügel.

Noch drastischer ist das, was er von einer Reise in den Mittelwesten der USA berichtet. Was er dort in Kentucky und Iowa gesehen hat, war für ihn und seine Frau

„Das Effizienz-Endspiel der Agrarindustrie. Meine landwirtschaftliche Lehre endete damit, dass ich mir die Zukunft der Agrarindustrie in Reinkultur ansah.“

Wie in England und Deutschland beobachtet man auch in den USA einen drastischen Rückgang der Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel. Seine Gastgeber erzählen ihm, dass die vermaiste Landschaft Iowas von den Verbrauchern an der Supermarktkasse erschaffen wurde, die heute nur noch 6,4 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, gegenüber 22 Prozent im Jahr 1950. Klar ist: für den Bauern werden die Margen damit auch immer geringer. Gerade mal 15 Cent erhalten amerikanische Bauern im Durchschnitt von jedem Dollar, der für Nahrungsmittel ausgegeben wird. Den Rest teilen sich Nahrungsmittel-Konzerne, Groß- und Einzelhandel.

„Hier gibt es keine Gewinner mehr.“

So lautet das Fazit des Autors nach dieser Reise, an deren Ende er auch die Entfremdung der Verbraucher von der landwirtschaftlichen Produktion beklagt.

Utopie

So heißt das letzte große Kapitel dieses lesenswerten Buches. James Rebanks entschließt sich zum Umbau seiner eigenen Farm, denn für ihn lautet eine der zentralen Fragen, die sich Landwirte und wir Verbraucher zu stellen haben:

„Wie können wir das Land so bewirtschaften, dass seine Fruchtbarkeit dauerhaft erhalten bleibt, wie fügen wir ihm den geringsten Schaden zu? Und welche Nahrungsmittel produziert die Landwirtschaft vor Ort für uns?“

Der Autor erzählt, wie er die 75-Hektar-Farm seines Großvaters Stück für Stück in Richtung naturverträglicher Bewirtschaftung umgestaltet. Das ist für ihn und seine Familie anstrengend und entspricht ganz und gar nicht dem Klischee, das wir Städter uns gerne vom glücklichen Farmer auf seinem Land machen.

Die Umstellung bedeutet vor allem harte körperliche Arbeit und viele finanzielle Sorgen, die dem Familienvater schlaflöse Nächte bereiten. Aber Rebanks ist sympathisch stur, pragmatisch und vor allem sehr offen für neue Ideen. Er holt sich Berater, wie etwa eine Expertin für Gewässerschutz, die ihn überzeugt, die Bachläufe auf seinen Weiden zu renaturieren. Er verzichet auf Kunstdünger, gönnt den Wiesen und Weiden Ruhephasen, lernt von einem Bodenexperten und freut sich zwischendurch, dass auch seine Kinder die Veränderungen bemerken und mittragen.

Es ist vor allem dieses letzte Kapitel, das den Leserinnen und Lesern Hoffnung macht und gleichzeitig mit schönen Nature-Writing-Passagen überzeugt.

„Ob wir Wildblumen, Insekten, Vögel und Bäume auf unserem Land haben und wie viele davon, ob die Hecken buschig wachsen oder ihren dicht verflochtenen Kern verlieren; ob die Bäche in den Feuchtgebieten Kurven und Schlieren ziehen oder gerade fließen. Diese Entscheidungen addieren sich in einer Region und prägen die Landschaft. Sie bestimmen darüber, ob die Natur, ob Menschen darin einen Raum haben. Von diesen sehr speziellen Entscheidungen wird kaum gesprochen, und außerhalb der Welt der Landwirtschaft sind sie selten bekannt und werden nur unzureichend in ihrer Bedeutung erfasst.“

Gerade eben ist der Klimagipfel in Glasgow zu Ende gegangen. Mit viel Tamtam und ohne beeindruckende Resultate. Es wäre wichtig, dass auf solchen Foren mehr Menschen wie James Rebanks Gehör fänden. Praktiker, die tagtäglich verantwortungsbewusst mit und in der Natur arbeiten.

Mein engliches Bauernleben. Ein Buch von James Rebanks„Mein Englisches Bauernleben“ ist kein verträumtes Buch für Städter, wie ein Kritiker meinte, sondern zeigt konkret, was machbar ist. James Rebanks ist kein Träumer, sondern ein Realist, der sein Land und seine Tradition liebt. Er weiß, worauf es ankommt und fordert konsequent einen „New Deal“, mit dem Landwirtschaft und Ökologie wieder zusammengebracht werden:

„Das erfordert einen Dialog, Realismus, Vertrauen und eine Änderung des Verhaltens sowohl bei den Bauern als auch bei den Verbrauchern, dazu die Bereitschaft, in den Läden oder über Steuern den echten Preis von Nahrungsmitteln und einer verträglichen Landwirtschaft zu bezahlen, damit die Dinge wieder ins Lot kommen.“

Fazit: Dieses kluge Buch ist ein Augen öffnender Seelentröster für dunkle Wintermonate.

NK & CK

Buchinformation

James Rebanks
Mein englisches Bauernleben: Die Farm meiner Familie und das Verschwinden einer alten Welt
Penguin Verlag, München, 2021
Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten
ISBN: 978-3-328-60174-6

Englische Ausgabe

English Pastoral – An Inheritance
Allen Lane Imprint of Penguin Books, 2020
ISBN: 9780241245729

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