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Freitagsfoto: Stille

Sieht so Stille aus? Fischerboot vor Selsey an der englischen Südküste. #nophotoshop

Sieht so Stille aus? Fischerboot vor Selsey an der englischen Südküste. #nophotoshop

“There is no such thing as silence.”

Dieser Satz stammt von dem amerikanischen Komponisten John Cage (1912 – 1992), der mit „4’33“ eines der berühmtesten Musikstücke des 20. Jahrhunderts geschrieben hat. Bei der Uraufführung im Jahr 1952 gab es einen ziemlichen Skandal, weil dieses Stück aus drei Sätzen ohne Noten besteht. Ergo: Das Orchester hat nichts gespielt. Das Publikum hörte, nun ja, keine Stille, sondern die üblichen Geräusche, die man in einem Konzertsaal hört, wenn die Instrumente stumm bleiben: Räuspern, Rascheln, Tuscheln und am Ende lautstarke Proteste gegen diese künstlerische Zumutung. Auf Youtube kann man Aufführungen von „4’33“ sehen: sehr speziell.

Stille – Ein Wegweiser

So heißt das Buch des norwegischen Autors, Juristen, Kunstsammlers, Vaters von drei Töchtern und Abenteurers (habe ich was vergessen?) Erling Kagge, 55. Kagge, der zu beiden Polen gewandert und auf dem Everest gestanden ist, kreist auf rund 140 Seiten um die Fragen: Was ist Stille? Kann man Stille in der Hektik der Großstadt erfahren? Warum brauchen wir Stille? In 33 kurzen Kapiteln versucht er, diese Fragen zu beantworten, auch mit Hilfe berühmter Freunde, wie der Künstlerin Marina Abramovic, dem selbst ernannten E-Auto-Wunderkind Elon Musk und dem wirklich klugen Neurologen Oliver Sacks. Das alles liest sich gut und flott.

Der Autor schreibt in klaren Sätzen über seinen Weg zum Südpol: „Der stillste Ort, an dem ich gewesen bin.“; über seinen Gang zum Nordpol: „Draußen auf dem Weg nach Norden gibt es ständig Geräusche.“; oder über eine Wanderung durch die Kanalisation von New York: „Sogar tief in den Kloaken von SoHo ist es nicht ruhig.“. Kagge denkt über Lärm, Langeweile und Luxus nach: „Einmal flog ich im Sommer achtzehn Stunden von Oslo nach Sri Lanka, um mich zu entspannen, gesund zu essen und Yoga in einer schönen grünen Umgebung zu praktizieren.“

Der Autor befragt auch die Philosophen und stellt fest, dass diese sich zwar mit der ganz großen Frage – Wie sollen wir leben? befassen, meint aber: „Kaum ein Philosoph kümmert sich um die Stille und welche Bedeutung sie für uns haben könnte.“

Hier kommen nun die Religionen ins Spiel: die Bibel, der Hinduismus, der Zen-Buddhismus. Auch hier gibt es interessante Passagen, aber ich hätte mir gewünscht, Kagge hätte weniger Lärm, respektive Worte, um die Stille gemacht. Vielleicht hätte er noch ein, zwei Kapitel wie das dreiunddreißigste einbauen sollen: mit leeren Seiten und zusätzlich einer kleinen Anweisung am Seitenende: „Betrachten Sie diese Seite fünf Minuten lang und achten Sie auf Ihren Atem.“

Nach 125 Seiten Suche nach Stille, aus denen des öfteren auch die – gar nicht so stille – Eitelkeit des gut aussehenden, norwegischen Abenteurers durchschimmert, kommt Erling Kagge im Ton esoterisch angehauchter Ratgeberliteratur zu dem Schluss:

„Ich musste weit gehen, um das herauszufinden, aber jetzt weiß ich, dass wir die Stille überall finden können. Man muss nur subtrahieren. Du kannst Deinen eigenen Südpol finden.“

Ist dieses ausnehmend schön gestaltete Buch nun ein Wegweiser in die Stille, wie der Titel suggeriert? Ich bin mir da nicht so sicher. Die Erkenntnis am Ende erscheint mir fast ein bisschen banal; vielleicht verbinde ich die Suche nach Stille ohnehin mit weniger spektakulären Wegen. Aber vielleicht wollte uns auch das der Autor sagen: dass jeder seine Wege zur Stille finden kann.

Informationen zum Buch

Erling Kagge
Stille – Ein Wegweiser
Insel Verlag Berlin 2017
144 Seiten, Hardcover
978-3-458-17724-1
Das Leseexemplar hat uns freundlicherweise der Verlag zur Verfügung gestellt.

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P.S.
Wer eine konkrete Anleitung zum Sitzen in Stille (Zazen) sucht, dem empfehle ich, sich mal die Mindfullness App anzuschauen. Dort gibt es verschiedene Achtsamkeits- und Meditationsübungen mit gesprochener Anleitung, unter anderem zum Sitzen in Stille.

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