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Kristallnacht – „Spätes Tagebuch“ von Max Mannheimer

Am 10.11.1938 wurde auch die Synagoge in Baisingen im Landkreis Tübingen verwüstet. Foto: Norbert Kraas

Am 10.11.1938 wurde auch die Synagoge in Baisingen im Landkreis Tübingen verwüstet. Foto: Norbert Kraas

10. November 1938: Kristallnacht

Gestern brannten die Synagogen. Sie brannten in Deutschland. Sie brannten in einem Teil der Tschechoslowakei. Bestand auch die Gefahr der Ausdehnung des Feuers, wurden sie durch Sprengungen zerstört. Die meisten jüdischen Geschäfte wurden demoliert. »Meine« Synagoge wurde geplündert. Feuer oder Sprengung wären wegen des schräg gegenüberliegenden Gaskessels gefährlich gewesen. Gebetbücher, Thorarollen und Gebetschals lagen zerfetzt auf der Straße. Das Buch, das die Juden seit zwei Jahrtausenden in der Zerstreuung zusammenhielt, wurde mit Stiefeln getreten.“

Diese Sätze schreibt der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer über die Reichskristallnacht in seinen Erinnerungen, die er 1964 für seine Tochter zu Papier brachte. Der schmale Band „Spätes Tagebuch: Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau“ erschien erstmals im Jahr 2000 im Piper Verlag.

Tagebuch des Grauens

Auf gerade mal 115 Seiten schildert der 1920 in Neutitschein (Nordmähren, heute Tschechien) geborene Mannheimer die Zeit zwischen den Novemberpogromen 1938 und dem 30. April 1945. An diesem Tag  befreien sich Mannheimer, sein Bruder Edgar und andere überlebende Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau (Außenstelle Mühldorf) aus einem Güterwagon, der in der Nähe von München von seinen deutschen Bewachern auf offener Strecke verlassen wird.

„Unsere Bewacher sind verschwunden. Wir öffnen die Wagons. Das Tor zur Freiheit. Einige hundert Meter von uns fährt eine amerikanische Militärkolonne. Wir sind frei. Wir können es noch nicht fassen. Ich bin zu schwach, um den Wagon zu verlassen.“

Max Mannheimer und sein Bruder Edgar sind die einzigen Überlebenden der Familie. Die Mutter Margarethe wird im Februar 1943 an der Rampe in Auschwitz-Birkenau von dem damals 23jährigen getrennt. Sie wird wie der Vater, die Schwester und Mannheimers erste Frau Eva von den Nazis vergast. Seine Brüder Erich und Ernst werden ebenfalls von den Nationalsozialisten ermordet.

Max Mannheimer: Spätes Tagebuch. Foto: Norbert KraasEin wichtiges Buch

Der Zeitzeuge Max Mannheimer, der am 23. September 2016 im Alter von 96 Jahren in München gestorben ist, beschreibt die Jahre der Hölle in den Lagern Theresienstadt, Auschwitz, Warschau, Dachau in unaufgeregten, schnörkellosen Sätzen. Es ist dieser sachliche Tagebuchstil, der diesem schmalen, unbedingt lesenswerten Buch eine ganz besondere Wirkung verschafft. Als Leser ist man dicht am Geschehen, liest gebannt, um am Ende sprachlos zurückzubleiben. Max Mannheimer hat bis zu seinem Tod vor vielen tausend Jugendlichen und Erwachsenen über den Holocaust, die Naziherrschschaft im Dritten Reich und über seine eigene Zeit in den Konzentrationslagern gesprochen. Diese Aufklärung war ihm ein sehr wichtiges Anliegen. Dabei sagte er einmal in einer Diskussion zu Schülern:

„Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber daß es nicht wieder geschieht, dafür schon.“

Buchinformation

Max Mannheimer
Spätes Tagebuch. Theresienstadt – Auschwitz – Warschau – Dachau
Piper Verlag, München
ISBN: 978-3-492-26386-3

Informationen zur Synagoge Baisingen

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3 Kommentare

  1. Hallo, Herr Kraas,
    Ihr Foto von der Synagogen-Ruine ist nicht nur ein Dokument, sondern auch ein richtiges Kunstwerk.
    Vielen Dank!
    Beste Grüße
    Inge Simon

  2. Pingback: „Nie werde ich das vergessen“ – Elie Wiesel: Die Nacht - ReklamekasperReklamekasper

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