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Das geheime Leben der Kühe

„Jeder der selbst ein oder mehrere Tiere hat, sieht sie fraglos als Individuen und wird mit großem Verständnis auch über kleinere Unterschiede und Eigenheiten ihres Wesens sprechen. Nutztiere werden gewöhnlich in größeren Gruppen gehalten, was jedoch nicht bedeutet, dass sie keine Individuen wären. Sie unterscheiden sich genauso, und auch ihre Intelligenz variiert.“

„Kühe sind so unterschiedlich wie Menschen.“ Und immer neugierig!

„Kühe sind so unterschiedlich wie Menschen.“ Und immer neugierig!

Geschichten über Kühe

„Das geheime Leben der Kühe“ heißt das Buch der Engländerin Rosamund Young, das erstmal im Jahr 2003 in England in einem kleinen landwirtschaftlichen Verlag erschien. Es hätte wahrscheinlich nie größere Beachtung gefunden, wenn nicht der britische Erfolgsautor Alan Bennett das Buch in seinem Tagebuch erwähnt hätte. Schön, dass ein Lektor bei Faber & Faber Bennetts Tagebuch aufmerksam gelesen hat, so erschien „The Secret Life of Cows“ 2017 in einer überarbeiteten Auflage, die deutsche Ausgabe ist 2018 im btb Verlag erschienen, als Hardcover mit rotem Lesebändchen. Der schmale, schön gestaltete Band hat 176 Seiten, die sich unterhaltsam lesen.

Leidenschaftliche Bäuerin, genaue Beobachterin

Nun könnte man bei dem Titel vielleicht meinen, das Buch wäre von einer militanten Tierschützerin verfasst, die vom Dasein als Bäuerin keinen blassen Schimmer hat. Weit gefehlt. Rosamund Young ist eine englische Bio-Bäuerin der ersten Stunde. Ihre Eltern haben 1953 eine Farm übernommen und von Beginn an so naturnah wie möglich geführt. Das Tierwohl stand bei den Youngs ganz oben zu einer Zeit, als es das Wort Bio-Bauer noch nicht gab. Die kleine Rosamund war damals 12, ihr Bruder Richard drei Jahre alt. Gemeinsam mit Rosamunds Partner betreiben sie seit Jahrzehnten den 150-Hektor-Hof Kite’s Farm in den Cotswolds. Und selbstverständlich halten die Youngs ihre Tiere nicht aus reiner Tierliebe, sondern sie verkaufen sie und schlachten sie –  auch für den Eigengebrauch.

Rosamund Young schildert uns ihre Erfahrungen und ihre genauen, unprätentiös geschilderten Beobachtungen, die sie in vielen Jahren bei der täglichen Arbeit mit ihren Tieren gemacht hat. In kleinen Geschichten und Anekdoten schafft sie es, uns Leser zu überzeugen, dass Tiere sehr wohl Individuen sind, wie wir Menschen auch.

Kühe brauchen frische Luft, frisches Gras und Platz zum Toben. Aubrac-Rinder in Burgund.

Kühe brauchen frische Luft, frisches Gras und Platz zum Toben. Aubrac-Rinder in Burgund.

„Kühe sind so unterschiedlich wie Menschen. Sie können höchst intelligent sein oder auch schwer von Begriff. Freundlich, umsichtig, aggressiv, gelehrig, erfindungsreich, langweilig, stolz oder schüchtern. Ist eine Herd groß genug, finden sich all diese Eigenschaften, und wir halten seit langen Jahren unverbrüchlich daran fest, unsere Tiere als Individuen zu halten.“

So erzählt Young an einer Stelle über eine besondere Mutter-Tochter-Beziehung zwischen zwei Kühen: Dolly und Dolly II. Letzte wurde als fünftes Kalb von Dolly geboren. Als nun Dolly II bei der Geburt ihres ersten Kalbes ein viel zu großes Bullenkalb tot auf die Welt brachte, hat sie Trost bei ihrer Kuh-Mutter gesucht und bekommen; dies obwohl die beiden Kühe seit langem keinen Kontakt mehr miteinander hatten.

Auch an der Tatsache, dass Kühe untereinander kommunizieren, lässt Young keinen Zweifel. Kühe teilen sich über Muhlaute mit, aber auch über ihre Körpersprache. Jeder Tierverhaltensforscher wird die Beobachtungen Youngs heute bestätigen.

„Mit dem Kopf wird unerwünschte Aufmerksamkeit ausgedrückt, aber auch Liebe und Fürsorge. Gegenseitige Fellpflege ist eine wichtige Aktivität, und es ist faszinierend zu beobachten, wie verschieden Kühe andere Herdenmitglieder darum bitten.“

Ein Charolais-Stier senkt entspannt den Kopf – und will gestreichelt werden.

Ein Charolais-Stier senkt entspannt den Kopf – und will gestreichelt werden.

Auch Stiere wollen Zärtlichkeit

Ich hatte selbst vor ein paar Jahren mal das Vergnügen, von einem ausgewachsenen Charolais-Bullen um ein paar Streicheleinheiten gebeten zu werden. Der Stier, der um die 1000 Kilo wog, stand auf anderen Seite eines bedenklich dünnen Gatters, hielt den Kopf gesenkt und pochte mit seinen Hörnen sanft aber bestimmt an das Holz. Ich verstand die Aufforderung und machte mich zügig daran, seine lockige Stirn kräftig zu kratzen. Als ich nach ein paar Minuten aufhörte, forderte er eine Zugabe, die ich ihm gerne gab. Auch die nächsten Tage kam er wieder ans Gatter, als ich dastand, immer dasselbe Spiel. Das kannte ich bisher nur von unserem Hund!

Tiere sind fühlende Wesen

Auch bei Schafen, Schweinen und Hühnern, die auf Kite’s Nest leben, macht Rosamund Young erstaunliche Beobachtungen. Zum Beispiel wird sie eines Tages bei einem kleinen Teich Zeuge wie Lucy, eines der beiden Schweine auf der Farm, sich

„vor meinen Augen anmutig ins Wasser stürzte, zwei Runden schwamm, lächelte, zurück an Land stieg, sich schüttelte und weiter in der Erde buddelte.“

Young war bis dato der Meinung (wie ich auch), dass Schweine sich zwar im Schlamm suhlen aber zum Schwimmen viel zu schwer sind und daher tieferes Wasser meiden. Individuelle Persönlichkeiten beobachtet Young auch bei ihren Hühnern. Hühner sind gesellig, verspielt, sie lieben die Gesellschaft von Menschen, und sie trauern sogar um ihre Artgenossen wie Young schildert. Verhaltensweisen, die wir als Fernsehzuschauer in aufwendig produzierten Tierdokumentationen bei Elefanten in Afrika mit feuchten Augen beobachten:

„Staunend verfolgen die Leute eine Fernsehsendung über das soziale Miteinander von Elefanten, ihre Familienverbände, ihre Gefühle, die Art, wie sich gegenseitig helfen, und ihren Sinn für Humor  – ohne zu begreifen, dass unser eigenes Vieh ganz ähnlich lebt, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt“

Gerne würde man den Verantwortlichen im Berliner Landwirtschaftsministerium ein Exemplar in die Hand drücken, in der Hoffnung, dass dem Wohl unserer heimischen Nutztiere – von den Kühen bis zu den Bienen – endlich angemessen Rechnung getragen wird.

Was wir als Verbraucher für das Tierwohl tun können? Wann immer möglich durch unser Einkaufsverhalten Bäuerinnen und Bauern unterstützen, die ihre Tiere artgerecht halten und für die das Wort Tierwohl nicht nur eine Worthülse im Wahlkampf ist.

Rosamund Young. Das geheime Leben der Kühe. btb VerlagBuchinformation

Rosamund Young
Das geheime Leben der Kühe
btb Verlag, München
ISBN: 978-3-442-75792-3
Hardcover, 176 Seiten, mit Lesenbändchen und einem handgezeichneten Stammbaum.

Wir wünschen schöne Lesestunden, und wenn Sie das nächste Mal an einer Weide vorbeikommen, schauen Sie genau hin.

NK / CK

Hier noch ein kleiner Film über Rosamund Young

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1 Kommentar

  1. Georges Hartmann 15. März 2019 um 11:07

    Ein Bericht, der den Herzschlag erhöht und in mir die Reaktion auslöst, dass Tiere oft die „besseren Menschen“ sein könnten. Viele Jahre lang hatte ich mich im Urlaub auf einem Bauernhof eingemietet und dann auch täglich im Stall nach jenen wenigen (Milch)Kühen geschaut, die nicht auf eine Alm gebracht worden waren, sondern auf die hinter dem Gehöft liegende Weide geführt wurden. Katzen, ein Hund, zwei Schweine und vier in Pflege genommene Ziegen waren dort untergebracht, dass ich oft überlegt habe, ob es für mich nicht besser gewesen wäre, der Stadt zu entfliehen und auf einem Bergbauernhof anzuheuern … Das waren die Sehnsüchte eines Jünglings, der hin und wieder seine „innere Welt“ einer bestimmten Fichte dargelegt hat, die stumm zuhörte, aber manchmal mit einem eigentümlichen „Knarren eines vom Wind bewegten Astes“ geantwortet hat …

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