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Der Weg des Tees

Im Nebel der Gerüchte verbirgt sich die Wahrheit um den Selbstmord des Teemeisters Rikyū

Im Nebel der Gerüchte verbirgt sich die Wahrheit um den Selbstmord des Teemeisters Rikyū

Der Tod des Teemeisters

Der große japanische Teemeister Sen no Rikyū hat sich im Jahr 1591 im Alter von 69 Jahren auf Befehl des Fürsten und Kriegsherrn Toyotomi Hideyoshi in einem ritualisierten Selbstmord (Seppuku), das Leben genommen. Mit den Geschehnissen und den unlösbaren Fragen rund um diesen Selbstmord befasst sich der Roman des Japaners Yasushi Inoue „Der Tod des Teemeisters“. Inoue (1907 – 1991) zählt in Japan zu den Klassikern und gilt als einer der meistgelesenen japanischen Autoren außerhalb Japans.

Im allgemeinen braucht man über den Weg des Tees von jeher keine Schriften. Es genügt, die alten chinesischen Gerätschaften zu kennen, Umgang mit tüchtigen Teemeistern zu pflegen und Tag und Nacht mit ihnen die Teezeremonie zu üben. Sie sind es, die die Teekunst weitergeben.

Die Erzählung Inoues basiert auf den fiktiven Tagebuchaufzeichnungen des Mönchs Honkaku. Dieser hat dem Rikyū neun Jahre als Schüler gedient und kann den Tod seines Meisters auch nach vielen Jahren immer noch nicht fassen.

Mit einunddreißig Jahren wurde ich als Teegehilfe in Meister Rikyūs Dienste geschickt und gelangte so in den Genuß, von ihm in der Kunst der Teezeremonie unterwiesen zu werden. Als mein Meister den Befehl erhielt, sich zu töten, war ich erst vierzig und – wenngleich von ihm persönlich im Teeweg unterrichtet – weit davon entfernt, mich einen Chajin einen »Teemenschen« nennen zu dürfen.

Die Aufzeichnungen von Honkaku beginnen im Jahr 1597 und enden 1622, gut zwanzig Jahre nachdem der Meister seinen letzten, „ehrenvollen“ Weg gegangen ist. Nach dem Tod Rikyūs zieht sich Honkaku in die Einsamkeit einer Mönchsklause zurück. Seinen bescheidenen Lebensunterhalt bestreitet er damit, dass er Kaufleute aus Kyōto beim An- und Verkauf von Teegerätschaften berät. Sein zurückgezogenes Leben bekommt eine unerwartete Wendung, als er den alten Mönch Tōyōbō trifft, der selbst ein Freund von Rikyū war. Tōyōbō lädt Honkaku zu einer Teezeremonie ein, um mit ihm über Rikyū und dessen unverständlichen Tod zu sprechen.

Im Verlauf des Romans trifft Honkaku auf weitere Weggefährten, Schüler, Krieger und am Ende auf den Enkel des verstorbenen Meisters. Mit allen redet er über Rikyū. Alle wollen, wie Honkaku, die wahren Gründe für den Freitod von Rikyū herausfinden. Ein unmögliches Unterfangen für den treuen Schüler, der sich mit dem Verlust des Meisters und seiner Einsamkeit nur schwer abfinden kann. So sehr vermisst er ihn, dass er regelmäßig vor dem Kohlenfeuer sitzt und in der Zwiesprache den Toten wieder zum Leben erweckt.

Ich zündete mir ein Feuer an und setzte mich davor. In meiner Einsamkeit überkam mich die Sehnsucht, Meister Rikyū gegenüberzusitzen.

Ringen um Einfachheit

Auf gut 160 Seiten schildert der Autor in diesem fiktiven Tagebuch die Begegnungen, Gespräche, Teezeremonien und Träume Honkakūs in einer kargen, kühlen, klaren Sprache. Da ist kein Wort zu viel! Dabei gewährt uns Inoue einen Einblick in die streng ritualisierte, an Vorschriften und Verhaltensnormen überreiche, rätselhafte Welt der Teemeister, Mönche und Samurai im Japan an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert.

Die Teezeremonie nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Alles, was sich innerhalb des Teezimmers abspielt und alles, was sich darin befindet, hat eine fast religiöse Bedeutung: die Teeschalen, der Wassertopf, das Kohlebecken für das Feuer, die Kalligrahpie an der Wand, die Anordnung der Tatami-Matten. Für viele Samurai war die Teezeromie oftmals eine Abschiedszeremonie vor der nächsten Schlacht, in der sie jederzeit fallen konnte. Es überrascht nur kurz, dass in dem Roman das Teezeremoniell mit einem Kampf verglichen wird.

Meister Rikyūs Stil glich einem Kampf ohne Schwert und ohne Dogma. Mit einem Wort, er kämpfte den Kampf eines nackten Menschen.

„Der Tod des Teemeisters“ ist das Ende seines Wegs zum TeeDieses Ringen um ein Maximum an Einfachheit, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an Macht, Reichtum und Wirkung zu verschwenden, dieser Kampf könnte es am Ende gewesen sein, der den eitlen Fürsten und Feldherrn Hideyoshi dazu bewogen haben könnte, Rikyū den Freitod zu befehlen. Das zumindest deutet der Tagebuchschreiber am Ende seiner Aufzeichnungen an, als er eine geträumte Teezeremonie zwischen Meister Rikyū und dem Shōgun Hideyoshi schildert.

Es braucht einen Moment, bis man sich auf diese bisweilen rätselhafte Welt eingelassen hat, weil diese Kultur den meisten von uns doch sehr fremd ist. Dann aber wird man diesen dichten, intensiven Roman über das Vergessen, die Einsamkeit, über das Erinnern und über die hohe Kunst des Einfachen genießen wie eine meisterhaft zubereitete Schale Tee am Kohlenfeuer.

NK | CK

Buchinformation

Yasushi Inoue
Der Tod des Teemeisters
Suhrkamp Taschenbuch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-518-46025-2

Der Weg des Tees führ in Tübingen zu Hinrichs Teehus in der Froschgasse 5

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1 Kommentar

  1. Weit davon entfernt, den Sachverhalt der Teezeremonie jemals wirklich begriffen zu haben, meine ich mich jedoch durchaus erinnern zu können, dass diese auch im Japan der Jetztzeit einen besonderen Stellenwert hat, also zur Tradition gehört, während das Ritual des „angeordneten Seppuku“ heutzutage eher eine Ausnähme sein wird … Trotzdem gibt es auch im Japan der Gegenwart eine Reihe von Ritualen, die man als ausländischer Gast nicht unbeachtet lassen sollte.
    1996 war ich mit dem Frankfurter Haiku-Kreis auf den Spuren Bashôs nach Japan aufgebrochen, dessen Höhepunkt nicht nur in der Besichtigung des zu den Nationalschätzen zählenden Teehauses „Jo-an“ im wunderschön angelegten Park „Uraku-en“ ermöglichte, für das der Gruppe eine Sondergenehmigung erteilt wurde, sondern uns auch einen „Homestay“ bescherte und ich so mit zwei weiteren Reiseteilnehmern „echt japanisch“ logierte. Gleichwohl es im heutigen Japan natürlich auch weiterhin Meister der Teezeremonie gibt, die sich jedoch nicht mehr auf Befehl ins Jenseits verabschieden müssen, gibt es daneben auch die Tradition der zeitgenauen Planung und die des Abschiedsfotos. Ich zitiere aus meiner Tagebucheintragung vom 05.10.1996 …

    Der Japaner scheint mit quarzgenauer Perfektion auch den strapaziösesten Ablaufplan unter allen Umständen einzuhalten. Wenn du dir z.B. gerade völlig verklärt die Zähne putzt, dich auf einen entspannenden Tag einstellst und dabei jegliches Zeitgefühl verloren hast, draußen aber derweil das bestellte Taxi vorfährt, tust du besser daran -auch wenn das zu Komplikationen führt- die Zahnbürste hinunterzuschlucken und den Tag in der Unterhose zu absolvieren, weil dir in einem solch kritischen Moment nur noch Sekunden zugestanden werden. Es empfiehlt sich, in beständiger Bereitschaft die nach der Stoppuhr geplanten Aktivitäten im Voraus zu verinnerlichen, um so der japanischen Vorstellung von preußischer Genauigkeit zu entsprechen. Nein, natürlich ist das übertrieben, aber so ein ganz winziges Körnchen kann man getrost für bare Münze nehmen.
    Solchen Gedanken nachhängend, mussten wir zum Frühstück neuerlich das Märchen vom unersättlichen Heißhunger ausbaden. Kurz bevor mein linkes Bein einschlief (man kniet in der Regel vor einem niedrigen Tisch) und ich mit bereits vollen Backen ein weiteres Hörnchen an meinem Gaumen zerdrückte und dabei mit rotierenden Essstäbchen Salat, Reis und Eingelegtes nachschob, machten sich zwei Taxifahrer bemerkbar, die uns auf Kosten des Hausherrn samt Gepäck zum nächsten Treffpunkt bringen sollten, Das ist exakt jener Zeitpunkt, an dem beim Japaner der Spaß aufhört und er sich zu Gunsten einer minutiösen Abwicklung dem Diktat der vorgegebenen Termine unterwirft. Eine geringfügige Infiltration orientalischen Gedankenguts könnte da eigentlich nicht schaden.
    Die mehrfach für ihre herausragenden Eigenschaften diplomierte Hauskatze „Chikko“ verpennte unseren Abgang und war insoweit wahrscheinlich eine „Geijin“ (Ausländerin), während der Haushund freundlicher bellte als bei unserem Einzug, was mich immerhin leicht nachdenklich stimmte. So schnell kann man nicht schauen, wie wir plötzlich auf der Straße standen und unser Gepäck in den Kofferräumen zweier Limousinen verschwand, während wir noch die spitzenbesetzten weißen Schonbezüge im Fahrgastraum bestaunten, was uns den Eindruck von Staatskarossen vermittelte, ein Eindruck, der durch die im schwarzen Anzug, Krawatte und mit eleganten Handschuhen ausstaffierten Fahrer noch verstärkt wurde. Wer jetzt glaubt, dass wir in diesem Moment bereits in halsbrecherischer Fahrt zum ausgemachten Sammelpunkt unterwegs wären, muss ich leider enttäuschen, weil der Japaner an der Nahtstelle einer als abgeschlossen geltenden Handlung zur nächsten Begebenheit einen bemerkenswerten Stillstand der Zeit herbeiführt. Das bewusst inszenierte Vakuum ist allein den jetzt anstehenden Verbeugungen, Wiedersehens-Beteuerungen, nochmaligen Verbeugungen und gegen die Augen gedrückten Taschentücher, also einem letzten Austausch von Liebenswürdigkeiten gewidmet und somit das nun unausweichliche Gruppenbild einleitet, was neben der Teezeremonie als weiteres Nonplusultra japanischer Kultur anzusehen ist. Und wieder ist es der Hausherr, der auf seinen sicherlich total unbequemen, dafür jedoch absolut klassischen Holzsandalen (Geta) im wehenden Jukata (eine Kombination aus Schlafgewand, Morgenmantel und Hausanzug) über den Asphalt schlurft und mit gekonnter Regieanweisung seine Familie und uns formatfüllend drapiert, wobei er jene Stelle beansprucht, an der er uns alle um Kopfeslänge überragt. Jetzt könnte ein Ufo vom Himmel fallen oder hinter uns das Haus abbrennen, weil dergleichen erst wahrgenommen werden würde, wenn die geblendeten Augen das Inferno der sich entladenden Blitzlichter überstanden haben und der uns fotografierende Taxifahrer zu seinem Fahrzeug rennt …
    Ob dieses Prozedere typisch japanisch war oder die Wahrheit an einer ganz anderen Stelle zu suchen ist ? Die emotionalen Elemente des Homestays waren eigentlich eher typisch italienisch, wenn ich es bedenke, dass ich lange das Taschentuch gegen die Augen drücken musste und die abschließenden Umarmungen länger ausfielen als sonst üblich.

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