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Nichts gelernt: Corona-Winter II

Wieder treiben wir durch einen Corona-Winter

Wieder treiben wir durch einen Corona-Winter

Wieder treiben wir
durch einen Corona-Winter –
nichts gelernt

Again we are drifting
through a Corona winter –
nothing learned

Haiku für all die engagierten Menschen (wie unseren alten Freund T.), die sich in diesem zweiten Corona-Winter wieder Tag für Tag in den Kliniken – auch für die Corona-Patienten – den Hintern aufreißen und seit fast zwei Jahren psychisch und physisch am Anschlag arbeiten.

Freiheit und Pflicht

Und weil das Thema Impfpflicht gerade viele Menschen bewegt, empfehlen wir unbedingt ein 3sat-Interview mit der Philosophie-Professorin Sabine Döring, die an der Universtität Tübingen lehrt.

„In keinem Fall bedeutet Freiheit tun und lassen zu können, was und wie man gerade will.“

Euch eine schöne Adventszeit!

NK & CK

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James Rebanks erzählt sein englisches Bauernleben

Keine Herdwickschafe, aber auf jeden Fall englische Schafe

Keine Herdwicks, aber auf jeden Fall Schafe, die wir in England fotografiert haben

Ein Land wie ein Gedicht

„Unser Land ist wie ein Gedicht, eingebettet in den Flickenteppich anderer Landschaftsgedichte, die von Hunderten von Menschen geschrieben worden sind, Menschen, die jetzt hier leben, und Menschen, die vor uns kamen. Jede Generation fügt neue Bedeutungsschichten, neue Erfahrungen hinzu. Und so enthüllt uns das Gedicht, wenn wir es lesen können, eine komplexe Wahrheit. Es enthält Momente großer Schönheit, aber auch herzzerreißendes Leid.“

Das schreibt James Rebanks, Jahrgang 1974, dessen Familie im Lake District im Norden Englands zuhause ist, in seinem neuen Buch „Mein englisches Bauerleben“. Rebanks ist wie seine Vorfahren seit sechs Jahrhunderten mit der herben Landschaft und den kargen Hügeln, die sie dort „fells“ nennen, fest verwurzelt. Daran hat auch sein Studium, das er in Oxford absolvierte, nichts geändert. Wer das erste Buch von James Rebanks „Mein Leben als Schäfer“ gelesen hat, weiß, wie sehr er dieses Land und seine Arbeit auf der 75-Hektar-Farm seiner Familie liebt.

Wie soll man das neue Buch dieses klugen und bodenständigen Mannes nennen? Autobiographie, Sachbuch, Roman, alles zusammen? Vielleicht autobiographischer Entwicklungsroman mit Sachbuchcharakter.

Nostalgie

Da ist zum einen die Lebens- und Entwicklungsgeschichte des Autors, der als Junge von seinem Großvater alles über das Land und die anstrengende, aber auch beglückende Arbeit eines Farmers in den Fells lernt.

„Als ich damals auf dem Traktor saß und die Möwen beobachtete, hatte ich das Gefühl, als gehörten Granddad und die Möwen hinter seinem Pflug zu ein und demselben großen Ganzen, in dem die Möwen genauso zählten wie er. Beide hatten einen zeitlosen Anspruch an den Boden, beide gehörten in dieser Landschaft demselben Zyklus an. Sie brauchten einander. (…) Zu Beginn jenes Frühlings hatte mein Großvater beschlossen, es sei Zeit für für meine landwirtschaftliche »Ausbildung«.“

Nostalgie heißt dieses erste von drei Kapiteln des Buches, in dem der Großvater ihn die traditionelle Art der Landwirtschaft in dieser alten Kulturlandschaft lehrt.

Parallel dazu erfahren wir von den Schwierigkeiten des Autors mit seinem Vater, der seine Farm gepachtet hat und sich mit dem Modernisierungsdruck – und allen negativen Konsequenzen – auseinandersetzen muss. Während also der Großvater noch in der alten bäuerlichen Welt verhaftet ist und seine traditionelle Farm über alles stellt, kämpft der Vater, wie viele andere Bauern, mit dem dramatischen Wandel, der sich in der britischen Landwirtschaft vollzieht.

Fortschritt

„Er war mit wachsenden Schulden konfrontiert und schien gefangen zwischen den alten bäuerlichen Werten und der neuen wirtschaftlichen Realität.“

Wie diese Realität aussieht? Immer größere Höfe, wachsende Viehbestände auf kleiner Fläche, Kunstdünger, der den Bauern als Wundermittel angepriesen wird, dazu neue große Maschinen, für die sich die Bauern bei den Banken verschulden müssen. Das zwingt sie wiederum, mehr zu produzieren und sich noch mehr dem Diktat der Abnehmer ihrer landwirtschaftlichen Produkte zu unterwerfen. Kein gesunder Kreislauf.

Rebanks skizziert diese Entwicklung, die wir auch von Deutschland kennen, mit klaren Worten, bringt viele Zahlen und Fakten, erklärt nebenbei, wie der Stickstoffdünger in die Welt kam, und beschönigt nichts. Für den Autor wird klar: es sind die Supermarktketten und Nahrungsmittelhersteller und damit letzten Endes wir Verbraucher, die den Bauern diktieren, wie sie zu arbeiten haben. Denn wenn die Kunden superbilliges Lammfleisch wollen, wird es eben aus Neuseeland oder Australien importiert, auch wenn der englische Schafzüchter gleich nebenan seine Herde hält. Mit welchen Kosten für Mensch, Tier und Umwelt dies verbunden ist, spielt für den Verbraucher an der Fleischtheke häufig eine untergeordnete Rolle.

Zwei Erlebnisse haben Rebanks die Konsequenzen des Fortschrittsgedankens einer maximal intensivierten Landwirtschaft deutlich gemacht. Da ist zum einen seine Erfahrung in Australien auf einer riesigen industriell betriebenen Farm. Rebanks arbeitet dort als Farmhelfer, fühlt sich aber eher als Maschinist und kommt fast um vor Heimweh nach den überschaubaren Strukturen seiner heimatlichen Hügel.

Noch drastischer ist das, was er von einer Reise in den Mittelwesten der USA berichtet. Was er dort in Kentucky und Iowa gesehen hat, war für ihn und seine Frau

„Das Effizienz-Endspiel der Agrarindustrie. Meine landwirtschaftliche Lehre endete damit, dass ich mir die Zukunft der Agrarindustrie in Reinkultur ansah.“

Wie in England und Deutschland beobachtet man auch in den USA einen drastischen Rückgang der Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel. Seine Gastgeber erzählen ihm, dass die vermaiste Landschaft Iowas von den Verbrauchern an der Supermarktkasse erschaffen wurde, die heute nur noch 6,4 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, gegenüber 22 Prozent im Jahr 1950. Klar ist: für den Bauern werden die Margen damit auch immer geringer. Gerade mal 15 Cent erhalten amerikanische Bauern im Durchschnitt von jedem Dollar, der für Nahrungsmittel ausgegeben wird. Den Rest teilen sich Nahrungsmittel-Konzerne, Groß- und Einzelhandel.

„Hier gibt es keine Gewinner mehr.“

So lautet das Fazit des Autors nach dieser Reise, an deren Ende er auch die Entfremdung der Verbraucher von der landwirtschaftlichen Produktion beklagt.

Utopie

So heißt das letzte große Kapitel dieses lesenswerten Buches. James Rebanks entschließt sich zum Umbau seiner eigenen Farm, denn für ihn lautet eine der zentralen Fragen, die sich Landwirte und wir Verbraucher zu stellen haben:

„Wie können wir das Land so bewirtschaften, dass seine Fruchtbarkeit dauerhaft erhalten bleibt, wie fügen wir ihm den geringsten Schaden zu? Und welche Nahrungsmittel produziert die Landwirtschaft vor Ort für uns?“

Der Autor erzählt, wie er die 75-Hektar-Farm seines Großvaters Stück für Stück in Richtung naturverträglicher Bewirtschaftung umgestaltet. Das ist für ihn und seine Familie anstrengend und entspricht ganz und gar nicht dem Klischee, das wir Städter uns gerne vom glücklichen Farmer auf seinem Land machen.

Die Umstellung bedeutet vor allem harte körperliche Arbeit und viele finanzielle Sorgen, die dem Familienvater schlaflöse Nächte bereiten. Aber Rebanks ist sympathisch stur, pragmatisch und vor allem sehr offen für neue Ideen. Er holt sich Berater, wie etwa eine Expertin für Gewässerschutz, die ihn überzeugt, die Bachläufe auf seinen Weiden zu renaturieren. Er verzichet auf Kunstdünger, gönnt den Wiesen und Weiden Ruhephasen, lernt von einem Bodenexperten und freut sich zwischendurch, dass auch seine Kinder die Veränderungen bemerken und mittragen.

Es ist vor allem dieses letzte Kapitel, das den Leserinnen und Lesern Hoffnung macht und gleichzeitig mit schönen Nature-Writing-Passagen überzeugt.

„Ob wir Wildblumen, Insekten, Vögel und Bäume auf unserem Land haben und wie viele davon, ob die Hecken buschig wachsen oder ihren dicht verflochtenen Kern verlieren; ob die Bäche in den Feuchtgebieten Kurven und Schlieren ziehen oder gerade fließen. Diese Entscheidungen addieren sich in einer Region und prägen die Landschaft. Sie bestimmen darüber, ob die Natur, ob Menschen darin einen Raum haben. Von diesen sehr speziellen Entscheidungen wird kaum gesprochen, und außerhalb der Welt der Landwirtschaft sind sie selten bekannt und werden nur unzureichend in ihrer Bedeutung erfasst.“

Gerade eben ist der Klimagipfel in Glasgow zu Ende gegangen. Mit viel Tamtam und ohne beeindruckende Resultate. Es wäre wichtig, dass auf solchen Foren mehr Menschen wie James Rebanks Gehör fänden. Praktiker, die tagtäglich verantwortungsbewusst mit und in der Natur arbeiten.

Mein engliches Bauernleben. Ein Buch von James Rebanks„Mein Englisches Bauernleben“ ist kein verträumtes Buch für Städter, wie ein Kritiker meinte, sondern zeigt konkret, was machbar ist. James Rebanks ist kein Träumer, sondern ein Realist, der sein Land und seine Tradition liebt. Er weiß, worauf es ankommt und fordert konsequent einen „New Deal“, mit dem Landwirtschaft und Ökologie wieder zusammengebracht werden:

„Das erfordert einen Dialog, Realismus, Vertrauen und eine Änderung des Verhaltens sowohl bei den Bauern als auch bei den Verbrauchern, dazu die Bereitschaft, in den Läden oder über Steuern den echten Preis von Nahrungsmitteln und einer verträglichen Landwirtschaft zu bezahlen, damit die Dinge wieder ins Lot kommen.“

Fazit: Dieses kluge Buch ist ein Augen öffnender Seelentröster für dunkle Wintermonate.

NK & CK

Buchinformation

James Rebanks
Mein englisches Bauernleben: Die Farm meiner Familie und das Verschwinden einer alten Welt
Penguin Verlag, München, 2021
Hardcover mit Schutzumschlag, 320 Seiten
ISBN: 978-3-328-60174-6

Englische Ausgabe

English Pastoral – An Inheritance
Allen Lane Imprint of Penguin Books, 2020
ISBN: 9780241245729

Auch interessant

James Rebanks twittert regelmäßig über seine Arbeit: zu finden hier

TV-Interview mit James Rebanks

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Die Impfung gegen Corona und der Sicherheitsgurt

Die Corona-Uhr zeigt 5 nach 12

Die promovierte Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim hat einen sehr sehenswerten Beitrag zum Thema Corona, Impfen und Impfpflicht verfasst. Die Viertelstunde lohnt sich, denn Frau Dr. Nguyen-Kim räumt mit zahlreichen Falsch- und Fehlinformationen zur Impfung gegen das Corona-Virus auf und stellt die Dinge in eine vernünftige Perspektive.

Übrigens: Zwischen 1480 und 1680 hat das beschauliche Tübingen 14 (vierzehn!) Pestwellen ertragen müssen. Wollen wir 14 Corona-Wellen? Wir sind jetzt in der vierten Corona-Welle, die uns wegen der Zögerlichkeit, Eitelkeit und Mutlosigkeit einiger Politiker:innen leider hart trifft. Es nervt!

Wer sich moraltheoretisch mit dem Thema Impfpflicht befassen möchte, dem empfehlen wir einen Artikel der Tübinger Philosophie-Professorin Sabine Döring, der im August im Philosophie-Magazin erschienen ist.

Euch/Ihnen allen eine gute Woche!

NK & CK

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Freitagsfoto: Die Amsel – die Callas unter den Singvögeln

Keine singt schöner: Amsel (Turdus merula), einst Waldbewohner, konzertiert sie jetzt auch in unseren Gärten

Keine singt schöner: die Amsel (Turdus merula), einst Waldbewohner, konzertiert jetzt auch in unseren Gärten

Kalter Herbstmorgen
die Amsel schweigt –
wie schade

Cold autumn morning
the blackbird is silent –
what a pity

Dieses Haiku widmen wir der Amsel, die es nur auf den zehnten Platz bei der Wahl zum Vogel des Jahres 2021 geschafft hat, weit abgeschlagen vom Spitzenreiter Rotkehlchen. Dabei ist Turdus merula die Maria Callas unter den Singvögeln. Arnulf Conradi schreibt in seinem lesenswerten Buch Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung, dass sie in Sachen Gesangsvielfalt auch die Nachtigall in den Schatten stellt. Ein ausführliches Porträt gibt es hier.

NK & CK

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Buchenwald: „Eine harte, bittere Schule.“

Konzentrationslager Buchenwald: Essgeschirr der Lagerhäftlinge

Konzentrationslager Buchenwald: Essgeschirr der Lagerhäftlinge

Eine Jugend in Buchenwald

„Als ich Buchenwald verließ, war ich zweiundzwanzig Jahre alt. Alle meine Jugendjahre hatte ich in diesem Konzentrationslager auf dem Ettersberg verbracht. Eine harte, bittere Schule. Die anderen waren ein Stück vorangegangen. Ich blickte mich noch einmal um und schloss das Tor.“

Am 15. Oktober 1939 erreicht der junge Władysław Kożdoń mit seinem Vater Paweł mit einem Gefangenentransport die Stadt Weimar. Wenige Wochen zuvor, am 1. September 1939, hatte Nazi-Deutschland Polen überfallen, an Władysławs 17. Geburtstag. Die letzten acht Kilometer vom Hauptbahnhof Weimar hoch auf den Ettersberg, wo sich das Konzentrationslager Buchenwald befindet, müssen die Gefangenen zu Fuß mit über dem Kopf erhobenen Armen marschieren. Die Zufahrtsstraße zum Lager heißt „Blutstraße“. Häftlinge mussten sie unter Aufsicht der SS von Mitte 1938 bis zum Spätherbst 1939 ausbauen. Das Straßenschild kann man noch heute sehen, ebenso Teile der Original-Betonstraße.

Eigentlich hieß das KZ Buchenwald nach dem Berg, auf dem es stand, KZ Ettersberg, nahe der Stadt Weimar. Aber das war den Bürgerinnen und Bürgern der Schiller- und Goethestadt dann doch zu viel, und so bestanden sie auf einer Namensänderung. 280 000 Menschen aus mehr als 50 Nationen waren zwischen 1937 und 1945 in Buchenwald inhaftiert. „Etwa 56 000 Menschen kamen in Buchenwald und seinen Außenlagern ums Leben oder wurden willkürlich getötet, starben vor Hunger, durch Krankheit oder medizinische Versuche.“ (Wegweiser durch die Gedenkstätte Buchenwald)

Überlebt haben Buchenwald 21 000 Häftlinge, unter ihnen 900 Kinder und Jugendliche. Eines dieser Kinder ist Władysław Kożdoń, geboren als Sohn katholischer Polen in Chwałowice, Oberschlesien. Gemeinsam mit seinen Brüdern Franek und Jurek erlebt Władysław nach sechs Jahren Haft die Ankunft der Amerikaner am 11. April 1945. Ein paar Wochen später, im August 1945, machen sich die drei in einem Eisenbahnwagon auf die Heimreise nach Polen. Mutter und Vater wurden von der SS ermordet.

Kein Entrinnen

Erst viele Jahre später berichtet Władysław Kożdoń in seinem Buch »…ich kann dich nicht vergessen« Erinnerungen an Buchenwald von seiner Zeit auf dem Ettersberg. Das Buch haben wir diesen Sommer in der Besucherinformation von Buchenwald im Shop gekauft. Kożdońs Buch ist weder Roman noch Autobiographie, sondern ein Bericht.

Konzentrationslager Buchenwald, im Hintergrund das Lagertor mit dem Torgebäude

Konzentrationslager Buchenwald, links im Hintergrund das Lagertor mit dem Torgebäude

Der schmale Band mit gerade mal 126 Seiten ist der sachlich-nüchterne Erlebnisbericht eines jungen Mannes, der in chronologischer Folge berichtet, was er in Buchenwald zwischen 1939 und 1945 erlebt und gesehen hat. Die völlig schnörkellose Sprache steht in Kontrast zu dem, was Władysław Kożdoń schildert. Und das ist eindrücklich!

„Im Konzentrationslager angekommen, trieb man uns auf dem Appellplatz zusammen. Der Nebel hatte sich verzogen. Von dem windigen Hügel aus, auf dem wir standen, konnte man die Thüringer Ebene erspähen. Der Platz war eingezäunt, Wachtürme umzingelten uns. Von hier gab es kein Entrinnen.“

Nach und nach erfahren wir als Leser, wie das Lager organisiert war, wo welche Insassen untergebracht wurden, wer in welchen Blocks oder Abteilungen das Sagen hatte. Und wir können vergeblich versuchen, nachzuempfinden, wie es sein muss, wenn man 24 Stunden am Tag die brutale und oft tödliche Willkür der SS-Schergen fürchten musste.

„SS-Hauptscharführer Martin Sommer war Folterknecht und Henker in Buchenwald. Wenn er sich im Lager sehen ließ, bedeutete das nie etwas Gutes. Auch jetzt suchte er jemanden, den er totschlagen konnte. Doch er fand keinen Grund dafür, einen herauszugreifen. So schlug er wahllos und zerstreut auf die Stehenden ein.“

Immer wieder ist es der Zufall oder ein glücklicher Umstand, der den jungen Władysław vor dem Schlimmsten bewahrt. Und immer wundert man sich, wie ein junger Mensch zwischen 17 und 23 diesen Alptraum, diese Abgründe menschlichen Handelns aushält, woher Władysław die Kraft nimmt, sich nicht völlig aufzugeben? Es ist der schiere Überlebenswille. Neben dem Zufall und Glück haben Władysław im KZ aber auch andere Insassen geholfen: ein paar „mutige, kluge und hochherzige Deutsche“.

„Inmitten aller Leiden, die Nazi-Deutschland mir, meiner Familie und Millionen anderen zugefügt hat: Durch diese Menschen habe ich das deutsche Volk schätzen gelernt.“

Das wussten wir nicht

In der Mehrzahl waren es aber nicht die gütigen Deutschen, sondern die SS-Angehörigen oder Leute wie der Lagerarzt, der den jungen Władysław für seine Experimente missbraucht. Nicht zu vergessen, die Bürgerinnen und Bürger von Weimar, die KZ-Insassen am Bahnhof bei der Ankunft gesehen haben und die nach der Befreiung von den Amerikanern auf den Ettersberg gebracht wurden. Dort sollten sie mit eigenen Augen das Grauen sehen, das sich nur wenige Kilometer von ihrer schönen Stadt entfernt zugetragen hatte, und von dem sie hinterher behaupteten:

»Das wussten wir nicht.«

Władysław Kożdoń: »... ich kann dich nicht vergessen« Erinnerungen an BuchenwaldWładysław Kożdoń ist im August 2017 im Alter von 95 Jahren in Breslau gestorben. Er wurde bis zu seinem Tod nicht müde, nachfolgenden Generationen davon zu erzählen, was er in Buchenwald erlebt hatte. Er war auch, so haben wir rausgefunden, viele Male im Bistum Mainz, um dort vor Deutschen zu sprechen. Der Autor, so schreibt der Wallstein-Verlag im Klappentext, hat seinen Bericht auch als Teil des deutsch-polnischen Dialogs verstanden. Dass wir dieses Buch in Buchenwald exakt 30 Jahre nach Abschluss des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags entdeckt haben, war Zufall, ein bereichender. Den Besuch der Gedenkstätte Buchenwald mit der exzellent gemachten Daueraustellung „Ausgrenzung und Gewalt 1937 bis 1945“ können wir empfehlen, auch wenn es belastend und anstrengend ist.

CK & NK

Buchinformation

Władysław Kożdoń
»… ich kann dich nicht vergessen« Erinnerungen an Buchenwald
Wallstein Verlag, 2007
Taschenbuch, nur noch oder evtl. in der Gedenkstätte antiquarisch erhältlich

Weitere Information

Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
Information über Władysław Kożdoń in der Dauerausstellung

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Freitagsfoto: Kein schöner Land

Kein schöner Land: 1

Kein schöner Land: 1

Augenwurm

Seit dieser peinliche Wahlwerbespot von Bündnis 90/Die Grünen viral ging, hängt irgendwie die Textzeile „Kein schöner Land“ in der Luft, und ständig kommen einem passende Motive vors Objektiv.

Kein schöner Land: 2

Kein schöner Land: 2

Grund genug, eine kleine Fotoserie zu diesem Thema zu starten. Wir haben mal angefangen und freuen uns auf Kommentare und Anregungen.

Schönes Wochenende!

NK & CK

Kein schöner Land: 3

Kein schöner Land: 3

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Freitagsfoto: Die Alb

Die Alb als „wundersame blaue Mauer“ (Mörike) von Tübingen aus gesehen

Die Alb, diese „wundersame blaue Mauer“ (Eduard Mörike) vom Tübinger Norden gesehen

Die Alb

Quer gebaut durchs Land
und an den Rändern
steinig gerissen,
hungrig immer nach Bläue,
auch winters,
wenn der spiegelnde Himmel
versteckte Wege zeigt.

Da lässt es sich lärmen.
Und Schweigen
üben.
Da lässt sich aus Gesang
ein Hügel türmen
oder ein steingehäkeltes Schloss.
Da lässt es sich in
Kinderwiesen zurücklaufen,
eine Strophe aufsagen,
die den Silberdisteln
den Hut lupft
und den Dompfaffen
den Kopf wäscht.

Schön geht der Blick
hinunter ins Land,
wenn er fliegen lernt
und schwindelnd stürzt
von diesem quer
durchs Land gebauten Riff.

Peter Härtling

Dieses schöne Alb-Gedicht von Peter Härtling (13. November 1933 – 10. Juli 2017) haben wir in dem Sammelband „Albgeschichten“ entdeckt, den wir hier vorgestellt haben. Erschienen ist Härtlings Gedicht erstmals in seinem Gedichtband „Horizonttheater“ (Kiepenheuer & Witsch, 1997): Infos hier. Die Journalistin Uschi Götz hat im Deutschlandfunk mit Peter Härtling über seine Flucht und das Fremdsein in seiner schwäbischen Heimat gesprochen: kann man hier nachlesen, lohnt sich.

NK & CK

„Schön geht der Blick hinunter ins Land“: hier ins Eyachtal bei Albstadt-Lauffen

„Schön geht der Blick hinunter ins Land“: hier ins Eyachtal bei Albstadt-Lauffen

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Freitagsfoto: Ohne Murren

Ohne Murren fielen die Blätter im Garten des Otto-Dix-Hauses auf der Höri

Ohne Murren fallen die Blätter im Garten des Otto-Dix-Hauses auf der Höri am Bodensee

Seid doch unbesorgt.
Auch die Blätter fallen
ohne Murren ab!

Ein Haiku von Issa (1763 – 1828), der in seinem Leben viel Leid ertragen musste und darüber weder seinen Humor noch sein tiefes Mitgefühl für Menschen, Tiere und Pflanzen verloren hat.

Nehmen wir uns ein Beispiel an Issa!

NK & CK

PS: Ein Besuch des Museums Otto Dix in Gaienhofen auf der Höri lohnt sich und ist noch möglich bis 31. Oktober 2021, dann ist Winterpause.

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Freitagsfoto: Verhüllungsaktion im Bühlertal

„Verhüllung ist Verheißung.“ Christo

„Verhüllung ist Verheißung.“ Christo

Die Pariserinnen und Pariser sind mächtig aufgeregt in diesen Tagen. Mutige Fassadenkletterer haben ihren Arc de Triomphe verhüllt und damit ein Projekt verwirklicht, das Christo und seine Frau Jeanne-Claude seit Jahrzehnten geplant hatten. Und jetzt wollen alle ein Selfie mit dem gut betuchten Arc de Triomphe und treten sich auf die Füße. Muss man mögen, diesen Trubel.

Wer es weniger hektisch mag, dem empfehlen wir einen Spaziergang im Bühlertal bei Tübingen. Auch dort gibt es eine Verhüllungsaktion zu bestaunen. Vor allem aber ist es eine schöne, ruhige Runde in der Natur.

Schönes Wochenende!

NK & CK

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