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Es wird heiß! „Deutschland 2050“

45 Grad Celsius und mehr. Möglich, dass wir in Tübingen das Klima von Uzès im Languedoc bekommen

45 Grad Celsius und mehr. Möglich, dass wir in Tübingen das Klima von Uzès im Languedoc bekommen

Vorweg ein Geständnis

Vor ein paar Jahren habe ich zum Thema Klimawandel ein Buch mit dem Titel „Selbstverbrennung“ gekauft. Das Thema treibt ja viele von uns um, und ich wollte einfach besser Bescheid wissen. Geschrieben hat das Buch Professor Dr. Hans Joachim Schellnhuber, der Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor für Theoretische Physik. Unsere Noch-Bundeskanzlerin hält viel von ihm, als sie Umweltministerin war, hat er sie beraten. Um es kurz zu machen: das Buch hat knapp 800 Seiten und ist sehr anspruchsvoll, und ich habe es bisher nicht gelesen.

Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird

Was ich hingegen gründlich und phasenweise mit Entsetzen gelesen habe, ist das Buch „Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“. Geschrieben haben es die renommierten Wissenschaftsjournalisten Nick Reimer und Toralf Staud, die beide für ihre journalistische Arbeit ausgezeichnet wurden. Dieses Buch ist für mich eines der anschaulichsten und lesenswertesten Bücher zum Thema Klimawandel, das es derzeit auf dem Markt gibt. Warum?

Weil die beiden Autoren in einer wahren Herkulesarbeit hunderte von seriösen Studien durchforstet und mit ebenso vielen Expert:innen gesprochen haben. Auf dieser Basis beschreibt „Deutschland 2050“, wie unser Land in 29 Jahren aussehen wird. Wobei die Autoren Unsicherheiten bezüglich ihrer Aussagen gleich zu Beginn einräumen. Diese hängen davon ab, welchen Weg wir in Sachen Klimaschutz weltweit jetzt einschlagen. Vom lässigen Weiter-so bis hin zum schärfsten Klimaschutz ist vieles möglich.

„Die größte Unsicherheit beim Blick in die weitere Klimazukunft resultiert schlicht daraus, dass ungewiss ist, welche Mengen an Treibhausgasen die Menschheit zukünftig ausstoßen wird.“

Wir sind auf dem Hitzepfad. Quelle: Ed Hawkins | Scientists for Future Deutschland

Wir sind auf dem Hitzepfad. Quelle: Ed Hawkins | Scientists for Future Deutschland

Die Zeit läuft uns davon

Reimer und Staud haben für ihr Buch auf jene Szenarien geblickt, „in denen kein oder nur schwacher Klimaschutz betrieben wird.“ Sie bezeichnen sich dabei selbst nicht als Pessimisten, sondern Realisten. Und ehrlich: schaut man sich den Bundestagswahlkampf und das Herumgeeiere um den Klimaschutz an (trotz Flutkatastrophe), liegen die Autoren wahrscheinlich richtig. Manche Politiker:innen vermitteln den Eindruck, wir hätten noch ewig Zeit. Haben wir nicht.

„Von einem Pfad, der zum Erreichen der Pariser Klimaziele führen würde, ist die Welt meilenweilt entfernt. Drei oder gar vier Grad Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts sind im Moment viel wahrscheinlicher als zwei oder gar nur 1,5 Grad Celsius. Und vier Grad mehr – das wäre wirklich eine komplett andere Welt.“

Wir sollten uns so eine Welt vorstellen… Was uns dabei in die Quere kommt, ist die zeitliche Distanz zum Jahr 2050 und, bisher jedenfalls, die räumliche Distanz zum Klimawandel. Wetterkatastrophen im Zuge eines sich verändernden Klimas waren bisher das Problem von Bangladesh, Grönland oder den Fidschis. Sozialpsychologen beschreiben dieses Phänomen mit dem Begriff „psychologische Distanz“. Die gilt es, jetzt schnellstmöglich zu überbrücken. Denn die Flutkatastrophe in Deutschland diesen Sommer mit vielen Todesopfern bestätigt die Autoren:

„Der Klimawandel ist Realität. Seine Hauptursache ist der Mensch. Die möglichen Folgen sind verheerend. An diesen drei Punkten sind keine vernünftigen Zweifel mehr möglich.“

Es wird heiß, sehr heiß – und nass

Und was blüht uns jetzt in Deutschland, wenn wir mit unserem halbgaren Klimaschutz weitermachen wir bisher? Das beschreiben Reimer und Staud in 14 anschaulichen Kapiteln. Den Einstieg macht das Kapitel „Klimamodelle“, in dem erst mal erklärt wird, was Wetter ist, worin sich Wetter von Klima unterscheidet, und wie man zu aussagekräftigen, verlässlichen Modellierungen kommt. Zu einem Klimamodell kommt man, so lernen wir, wenn man den Ausgangszustand der Atmosphäre kennt und dazu die physikalischen Prozesse, die in der Atmosphäre ablaufen. Dazu kommen zig Variablen, und das alles wird dann, vereinfacht gesagt, in eine mathematische Gleichung gegossen. Berechnet wird das in Supercomputern, zum Beispiel beim Deutschen Wetterdienst DWD. Fünf bis sechs Monate sind diese Computer beschäftigt, um das Klima für Deutschland in den nächsten 80 Jahren durchzurechnen.

Interessanterweise lag schon der Japaner Syukoro Manabe (89) mit einem der ersten Klimamodelle im Jahr 1967 ziemlich richtig. Seine Vorhersagen bezüglich des CO2-Gehalts und des damit verbundenen Temperaturanstiegs seit Beginn der Industrialisierung stimmen ziemlich genau.

Klimamodell von ExxonMobil

Übrigens betreibt auch die Mineralölindustrie seit Jahrzehnten Klimamodellierungen und beschäftigt dazu exzellente Wissenschaflter:innen. So auch der Konzern ExxonMobil bereits in den 1970er Jahren:

„Die Wissenschaftler gehörten zur Weltspitze, aber ihre Ergebnisse blieben geheim. Die Konzernforscher warnten eindringlich vor der Erderhitzung – doch in der Öffentlichkeit schürte ExxonMobil Zweifel an deren Existenz, zum Beispiel in teuren Werbeanzeigen.“

Die Exxon-Forscher haben im Jahr 1982 einen Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre in den nächsten 40 Jahren auf 415 ppm (Teilchen pro Million Moleküle) beschrieben und einen Anstieg der Oberflächentemperatur der Erde um mindestens 0,8 Grad vorausgesagt. Und: „Fast genauso ist es eingetroffen.“ Im November 2020 lag der Wert laut Weltorganisation für Meteorologie (WMO) bei 410 ppm. „Und die Temperatur der Erde ist bereits um ein Grad gestiegen.“

Es betrifft alle

Die weiteren Kapitel des Buches beschäftigen sich mit unterschiedlichen Bereichen unseres Lebens und unserer Umwelt: Mensch, Natur, Wasser, Wald, Städte, Küste, Verkehr, Wirtschaft, Landwirtschaft, Energie, Tourismus, Sicherheit und Politik.

Wieder und wieder gelingt es den beiden Autoren dabei, faktenbasiert, sachlich, aber eindringlich zu schildern, womit wir im Jahr 2050 rechnen müssen. Wir werden mehr und längere Hitzewellen auszuhalten haben. Verbunden mit Trockenheit, Wassermangel und vielen Tropennächten, in denen die Temperatur auch bei Nacht nicht mehr unter 20 Grad sinkt. Tübingen könnte dann das Klima von Uzès im südlichen Languedoc bekommen. Keine guten Aussichten, hat doch schon die Hitzewelle 2003 in ganz Europa 70000 Todesopfer gefordert. Muss man erwähnen, dass wir Menschen nicht für diese Hitze gemacht sind, die Asiatische Tigermücke jedoch schon, und sie kann den Erreger für das Dengue-Fieber übertragen.

Es wird ungemütlich

Klar ist, der Klimawandel und die damit verbundene Erderhitzung betreffen alle und alles: Menschen, Tiere, Pflanzen, Natur. Von den 71900 Tier- und Pflanzenarten könnten rund 30 Prozent in den kommenden Jahrzehnten aussterben – hat die Bundesregierung (!) schon 2008 geschrieben. Und dieselbe Bundesregierung ist dann in Sachen Artenschutz genauso träge vorgegangen wie beim Klimaschutz. Mit der immergleichen Begründung, es müsse der Wirtschaftstandort Deutschland erhalten bleiben und sowieso, man könne den Menschen nicht zu viel Klimaschutz zumuten. Fakt ist: Kein oder nur halbherziger Klimaschutz wird für uns alle viel gefährlicher und viel viel teurer!

Die Hitze wird zu Dürren führen, die Dürren zu Wassermangel, der Wassermangel zu Kühlwassermangel in der Industrie und der Energiegewinnung. Gleichzeitig brauchen wir mehr Energie, um Gebäude wie Pflegeheime, Krankenhäuser etc. zu klimatisieren.

Wer wissen möchte, was 2050 in Deutschland auf uns zukommt, möge dieses Buch lesen

Wer wissen möchte, was 2050 in Deutschland auf uns zukommt, möge dieses Buch lesen

Und jetzt

„Wer verhindern will, dass Deutschland sich noch stärker verändert als in diesem Buch geschildert, muss sofort mit dem schärfsten Klimaschutz anfangen, den er sich überhaupt vorstellen kann.“

Das empfehlen die Autoren Reimer und Staud. Und wir empfehlen, „Deutschland 2050“ zu lesen. Wer diese 374 verständlichen und informativen Seiten gelesen hat, wird anders über den Klimawandel denken. Und wer gerne Bücher von hinten liest, fängt einfach mit dem Interview mit Professor Ortwin Renn an. Der Mann ist Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) und beschäftigt sich intenstiv mit dem Umfang moderner Gesellschaften mit Risiken. Renn weiß viel über unsere zögerliche oder widerständige Haltung in Sachen Klimaschutz, und er macht sich große Sorgen. Aber er ist nicht ganz ohne Hoffnung!

NK & CK

Buchinformation

Nick Reimer, Toralf Staud
Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird
Kiepenheuer & Witsch, Köln
Paperback, 374 Seiten, klimaneutral produziert
ISBN 978-3-462-00068-9

Weitere Information

Wissenschaftsportal Klimafakten.de

Science-O-Mat zur Bundestagswahl 2021

Online-Gespräch mit Nick Reimer und Toralf Staud

Podcast mit Nick Reimer und Toralf Staud

Twitter-Kanal von „Deutschland 2050“

Peter Unfried erklärt in der taz, warum die Medien eine Mitschuld an diesem in Sachen Klima vergeigten Wahlkampf tragen. Sehr lesenswert!

Der Klimaforscher Prof. Dr. Stefan Rahmstorf erklärt in viereinhalb Minuten eine Welt mit 4 Grad mehr

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