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Karl Poralla: Mikrobiologie und Eisenzeit

Karl Poralla (30.5.1938 – 21.10.2016): Professor für Mikrobiologie und Künstler

Karl Poralla (30.5.1938 – 21.10.2016): Professor für Mikrobiologie und Künstler

Heute wäre der Freund, Künstler und frühere Tübinger Professor der Mikrobiologie Karl Poralla 80 Jahre alt geworden. Seine ehemalige Doktorandin, die Biologin und Philosophin Prof. Dr. Nicole C. Karafyllis, die an der TU Braunschweig lehrt, hat ihm deshalb das dieser Tage erschienene Buch „Theorien der Lebendsammlung. Pflanzen, Mikroben und Tiere als Biofakte in Genbanken“ (hg. von Nicole C. Karafyllis) gewidmet. Eine schöne Geste zu Ehren eines engagierten Wissenschaftlers und Doktorvaters, der nie im Elfenbeinturm zuhause war und sich für so viele Dinge neugierig und kritisch interessiert hat. Nicht zuletzt hat Poralla als Eisenplastiker ästhetisch anspruchsvolle, bleibende Werke geschaffen.

Ohne Titel. Eisenplastik von Karl Poralla

Ohne Titel. Eisenplastik von Karl Poralla

Eisenzeit

„Es war an einem Regentag, als Poralla mir seine Plastiken zeigte. Auf der Fahrt nach Entringen hatte ich über die Geschichte des Werkstoffs Eisen sinniert, der nach Stein und Bronze einer Zeit den Namen gab, die hierzulande mit den Kelten Einzug hielt. (izan hieß das Wort in ihrem Mund) und die nach dem Dreiperiodensystem solange dauerte, wie Eisen der vorherrschende Rohstoff für Werkzeuge und Waffen war. War? Sagte mir nicht das Motorengeräusch, der mich umgebende Stahl, auf den der Regen trommelte: wir leben in der Eisenzeit? Eine vierte Periode nach der dritten ist nicht vorgesehen: kein Plastik-, kein Computer-, kein Kommunikationszeitalter. Eisenzeit! Poralla zeigte mir mit Vaterstolz seine Plastiken. Da hatte ich es vor mir, das Zeitalter, zerlegt in seine anatomischen Klein- und Kleinstelemente vom Baggerzahn bis zum Bolzen, vom brachialen Fräskopf zum schmiedeeisernen Radreifen: Maschinenschrott vorwiegend, Teile eines krafterzeugten-krafterzeugenden Systems, die das Ganze am Laufen, Dampfen: zusammenhielten oder als Werkzeuge dienten, auf-gelesen an Bahndämmen, Schrotthalden, am Strand von Gomera und anderswo, Trouvaillen, Glücks (nicht Zufalls-)funde, die über den Suchenden so viel verraten wie über sich selbst. Er ist auf Stücke aus, die sich fügen können: als Part/Widerpart, Post/Kontrapost in einem Ensemble, das in dramatischem Widerspruch der Formen, Kräfte auf Ausgleich ringt. […]“

So schreibt der Publizist Gerhard Oberlin im Dezember 1992 im Vorwort zu einem schmalen Band, den Karl Poralla gemeinsam mit dem Tübinger Lyriker und Übersetzer Kay Borowsky im Breitenholzer Igelverlag veröffenlicht hat. Borowsky hat sich von Porallas Plastiken zu haikuartigen Vierzeilern inspirieren lassen, die mit den Kunstwerken in Dialog treten. Das kleine Buch ist eine lesens- und sehenswerte Kooperation zweier sympathischer und bescheidener Künstler.

„Gehalten‟ , Eisenplastik von Karl Poralla, die heute sein Grab in Entringen bei Tübingen ziert.

„Gehalten‟ , Eisenplastik von Karl Poralla, die heute sein Grab in Entringen bei Tübingen ziert.

Zu dieser Plastik dichtet Kay Borowsky:

Endlich Morgenlicht,
ein Schwalbenflügel näht
zerstückten Traum zusammen.
Die Haut der Erde glänzt.

Buchinformationen

Nicole Christine Karafyllis (Hrsg.):
Theorien der Lebendsammlung – Pflanzen, Mikroben und Tiere als Biofakte in Genbanken
Verlag Karl Alber, 2018
ISBN: 978-3-495-48975-8

Karl Poralla: Plastiken · Kay Borowsky: Gedichte
Breitenholzer Igelverlag, 1992
ISBN 3-9802434-7-8
(nur noch antiquarisch erhältlich)

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