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Leonard und Paul – Feelgoodbuch aus Irland

Wie viel sollte man von der Welt in sein Leben lassen? Auch darum geht’s in „Leonard und Paul“

Wie viel sollte man von der Welt in sein Leben lassen? Auch darum geht’s in „Leonard und Paul“

Ich erinnere mich an eine Diskussion in unserem Lesezirkel, bei der es darum ging, wie originell ein Leben sein sollte, um (aufgeschrieben und dann) gelesen zu werden. Ich habe, weil wir so unterschiedlicher Meinung waren, hinterher recherchiert, ob die Originalität eines Textes eine Bedingung für die Bezeichnung als Literatur ist. Literatur natürlich im engeren Sinn als schöngeistiges Schrifttum verstanden. Tatsächlich ist die Originalität ein Kriterium neben vielen anderen wie z. B. Stimmigkeit, Expressivität durch sprachliche Stilmittel, Komplexität, Ambiguität oder Grenzüberschreitung. In der Regel werden von vielen literarischen Texten aber nicht alle Kriterien (gleichermaßen) erfüllt, und zwar ohne dass ihnen gleich ihr litarischer Wert abgesprochen wird.

Vielleicht ist unsere Diskussion damals auch in die verkehrte Richtung gelaufen, weil nicht (unbedingt) der Romanstoff selbst, also das Was, sondern vielmehr (auch) die Betrachtungs- und Darstellungsweise, also das Wie, originell sein kann.

Leonard und Paul

So gesehen würde ich dem Debütroman des Iren Rónán Hession (48) „Leonard und Paul“ eindeutig Originalität bescheinigen. Der im Eigenverlag Woywod & Meurer erschienene Roman erzählt von zwei besten Freunden, Leonard und Paul, die beide Anfang der 30 sind. Beide Männer entsprechen zunächst so gar nicht dem Klischee einer interessanten Hauptfigur, sondern eher ihrem Gegenteil: beide sind schüchtern, introvertiert, sanftmütig und freundlich, aber eher antriebslos. Paul lebt noch bei seinen Eltern, Leonard trauert um seine kürzlich verstorbene Mutter. Auch in ihrer Berufstätigkeit ist zunächst kein Glanz zu erkennen: Leonard ist als Ghostwriter für Kinderenzyklopädien in einem Verlag tätig, und Paul arbeitet gelegentlich als Aushilfspostbote. Und was tun die Freunde, wenn sie sich treffen? Sie spielen Gesellschaftsspiele! Wer sich also vom Romanstoff selbst, dem Was, leiten lässt, der braucht diesen Roman nicht lesen. Allen anderen Lesern, denen das Wie das Wichtige ist, sei dieser Roman jedoch wärmstens empfohlen!

Die Nebenstraßen des Lebens

Wie interessant die Betrachtung der Nebenstraßen des Lebens sein kann und dass diese Nebenstraßen mit unserem eigenen Leben viel mehr zu tun haben als die Wege und Aufgaben der großen Romanhelden, zeigt sich in den vielen unscheinbaren, und doch so klugen Sätzen wie:

… aber die Kunst besteht darin, genau zu erkennen, wie viel von der Welt man in sein Leben lassen kann, ohne davon überwältigt zu werden.

oder:

Geduld gehörte zu seinen (Pauls) Stärken. Geduldig sein hieß, den Dingen ihren Lauf zu lassen und darauf zu vertrauen, dass sich die Dinge ergaben, wie sie sollten, nicht, weil man es so wollte, sondern weil es der natürlichen Ordnung entsprach.

Dass in der Zurückgezogenheit in das Private und in ein paar wenige innige Beziehungen jedoch auch eine Gefahr lauern kann, erkennt Leonard, als er sich für eine Frau ernsthaft zu interessieren beginnt, und dies zu Missverständnissen zwischen den Freunden führt:

Alleinsein und Frieden sind nichts Besonderes mehr, wenn sie keinen Gegenpol haben. In einem hektischen – oder zumindest hektischeren – Alltag bietet die stille Reflexion dem Erleben einen Resonanzraum. Aber das Leben absichtlich vom Erleben abzukoppeln und sich vor seinen Realitäten zu verstecken, nein, das war nichts Besonderes. Das war einfach eine Form der Angst, die zur lebensbeschränkenden Einsamkeit führte, die immer weiter anwuchs, bis sie so groß war, dass sie die Haustür blockierte, Gespräche erstickte und sich wie eine Schallschutzscheibe vor die anderen schob.

Beziehungen sind nie ohne Reibung

Neben Leonard und Paul lernen wir auch noch Pauls Familie kennen, seine sympathischen Eltern, Peter und Helen, und die Schwester Grace, die dabei ist, ihre Hochzeit neben einer fordernden Berufstätigkeit vorzubereiten. Grace ist die Figur, die sicher am meisten dem heutigen Bild eines erfolgreichen Menschen entspricht und die in gewisser Weise einen Gegenpol zu ihrem Bruder bildet. Und natürlich geht es auch in einem von Freundlichkeit und Sanftmut geprägten Umgang nicht ohne Reibung einher. Vielleicht ist es sogar gerade der Umgang mit Kränkungen, der diese Charaktere alle so besonders macht, dass man sie nicht mehr missen möchte.

Humorvoll, witzig, warmherzig

Ähnlich wie in dem von uns besprochenen Roman „Dagegen die Elefanten!“ von Dagmar Leupold betrachtet auch der irische Autor Hession seine Figuren immer liebevoll, auch wenn sie sich aus eigener Sicht lächerlich gemacht haben. Urkomisch ist die Szene mit Paul, der sich im Supermarkt über das abgelaufene Haltbarkeitsdatum einer Pralinendose beschwert.

Dass dieses warmherzige, schön übersetzte Buch zum Liebling der Buchhändler*Innen aus Irland und England wurde, können wir absolut nachempfinden! Dieses Buch ist wohltuend wie ein guter heißer irischer Tee an einem regnerischen Tag draußen an der irischen Westküste.

CK I NK

Leonard und Paul, Ein FeelgoodbuchPS: Das Buch erscheint in Deutschland in einem bis dato unbekannten Verlag, da Rónán Hession, der in Irland auch als Musiker erfolgreich ist, das Buch unbedingt in einem Independent Verlag veröffentlicht haben wollte und nicht bei einem der großen Publikumsverlage. Also haben Frauke Meurer und Torsten Woywood flugs ihren eigenen Verlag gegründet und gemeinsam mit der erfahrenen Übersetzerin Andrea O’Brien das Projekt gestemmt. Der Einsatz hat sich ausgezahlt. Auch deutsche Leserinnen und Leser lieben dieses Feelgoodbuch!

Buchinformation

Rónán Hession
Leonard und Paul
aus dem Irischen English von Andrea O’Brien
WOYWOD & MEURER (Imprint Torsten Woywod Verlag)
ISBN-13: 978-3-00-073756-5

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