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John Lewis-Stempel klärt auf: Das geheime Leben der Eule

Die Waldohreule (Asio otus) ist ausschließlich nachaktiv

Die Waldohreule (Asio otus) ist ausschließlich nachtaktiv. Foto: Norbert Kraas

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Hinter diesem fast unaussprechlichen Namen verbirgt sich das älteste Fossil einer Eule: es ist der früheste Nachweis einer Eule „mit einem Alter von ungefähr 58 Millionen Jahren“. Unglaublich, oder? Und noch viel unglaublicher ist, wie sich Eulen im Laufe von Jahrmillionen an ihr meist nachtaktives Dasein angepasst haben. Aber der Reihe nach.

Der englische Farmer und preisgekrönte Nature Writer John Lewis-Stempel hat ein Buch über Eulen geschrieben. „Das geheime Leben der Eule“ heißt der schmale, sehr schön aufgemachte Band, der bei DuMont erschienen ist. Das Buch ist ein kleiner Schatz und macht uns mit einem Vogel vertraut, den viele von uns wahrscheinlich noch nie in freier Wildbahn gesehen haben. Mir ist jedenfalls noch nie eine Eule im Wald vor die Linse geflogen. Aber nachdem ich das Buch gelesen habe, geht es mir wie Lewis-Stempel, der nach einer Begegnung mit Old Brown, einem Waldkauz in seinem Drei-Morgen-Wald schreibt:

„Ich hingegen hatte keinen dringenderen Wunsch, als Eulen zu beobachten.“

Aber was ist es, was uns so an Eulen fasziniert? Warum haben die Menschen in allen Zeiten und fast allen Kulturen ein ganz besonderes Verhältnis zu diesem Vogel entwickelt, der zum einen als Todesbote gefürchtet wird, zum anderen als Symbol für Klugheit steht?

„Dank ihrer aufrechten Haltung, der großen Augen und des breiten, homo-sapiens-ähnlichen Gesichts ist die Eule leicht zu vermenschlichen (oder in Kuscheltiere zu verwandeln).“

Die Eule ist uns ähnlich, so der Autor und weiter: „wir sind genetisch auf die Anteilnahme am Schicksal unserer Doppelgänger programmiert.“

Und da ist viel dran, wie man in Tübingen vor ein paar Jahren beobachten konnte. Da haben nämlich ein paar Waldohreulen auf einem Parkplatz in einem Wohngebiet auf Bäumen Quartier gemacht und sich tagsüber für ihre nächtlichen Beutezüge ausgeruht. Als sich das rumgesprochen hat, sind Eulenfans und ambitionierte Vogelfotografen von weit her angereist, um sich von den Eulen beobachten zu lassen.

Eulen-Biologie

In drei dicht geschriebenen Kapiteln gliedert sich dieses Buch, und mit jeder Seite lernen wir neue Dinge über diesen besonderen Vogel, der aktiv ist, wenn wir schlafen. Eulen gehören zu den drei Prozent unter den Vögeln, die nach Sonnenuntergang unterwegs sind. Was zugegeben, das Eulen-Watching nicht einfacher macht.

225 verschiedene Eulenarten gibt es weltweit, und sie wiegen zwischen grade mal 47 Gramm (Elfenkauz) und viereinhalb Kilo (Riesenuhu). Dementsprechend ernähren sich diese unterschiedlichen Eulen von unterschiedlichen Beutetieren, die sie praktisch ausschließlich im Zwielicht oder bei Nacht jagen. Und für diese nächtliche Jagd, schreibt der begnadete Naturerzähler Lewis-Stempel, sind sie phantastisch ausgerüstet: manche können ihren Kopf um bis zu 270 Grad drehen, dazu um 90 Grad nach oben oder unten schwenken.

In der Nacht sind Waldohreulen in der Lage, eine Maus zu erkennen, „wenn die Lichtstärke der einer Kerze in einem Fußballstadion entspricht.“ Man könnte neidisch werden, denn unsere eigene Nachtsichtfähigkeit ist dagegen nur als bemitleidenswert zu bezeichnen. Noch unglaublicher sind die Gehörleistungen der Eule, deren Ohren asymmetrisch am Schädel angebracht sind und mit denen sie jedes Geräusch exakt lokalisieren können.

„Beim Empfangen von Geräuschen können Eulen Zeitunterschiede von nur 30 Millionstel einer Sekunde wahrnehmen.“

Damit sind einige Eulen in der Lage, im Stockdunkeln zu jagen; fast lautlos fliegen können diesen wunderbaren Tiere ja sowieso.

Eulen-Arten

Von der Biologie kommt John Lewis-Stempel zur Beschreibung unserer einheimischen Eulenarten. Zehn Eulen stellt er uns vor, vorangestellt ist jeweils eine sehr schöne Zeichnung der jeweiligen Eulenart.

Der Steinkauz (Athena noctua) war Pallas Athene zugeordnet, der Göttin der Weisheit.

Der Steinkauz (Athena noctua) war Pallas Athene zugeordnet, der Göttin der Weisheit.

Mit einer Flügelspannweite von 160 cm steht dabei der Uhu (Bubo bubo) größenmäßig an der Spitze, entsprechend groß können seine Beutetiere sein: Katzen und Lämmer eingeschlossen. Der Steinkauz hingegen, der grade mal 55 cm Spannweite hat und maximal 190 g wiegt (Weibchen), ernährt sich hauptsächlich von Insekten, die er entweder im Flug erlebt oder am Boden zu Fuß jagt. Und wusstet ihr, dass die Sumpfohreule bis zu 6000 Wühlmäuse pro Jahr vertilgt? Das macht diese Eulenart zum Schädlingsbekämpfer und Helfer der Landwirtschaft, wo die Wühlmaus nicht gern gesehen ist.

Eulen und Mythen

Im letzten Kapitel beschäftigt sich der Autor ausführlich mit dem Verhältnis des Menschen zur Eule.

„Eulen tauchen seit der Steinzeit in jeder wichtigen Kultur auf“

Es geht um Mythen, Sagen, Literatur und den menschlichen Aberglauben, der die Eule seit Jahrtausenden begleitet. Die älteste bekannte Eulendarstellung im Tal der Ardèche wird auf 30000 Jahre datiert. Von Eulen lesen wir bei Shakespeare und in „Harry Potter“, wo uns die Schneeeule Hedwig ebenso verzückt wie die freundliche, kluge Eule in „Pu der Bär“. In der griechischen Antike galt die Eule als Glücksbringer, was auch amerikanische Präsidenten wussten:

„Athenische Eulen bringen Glück – dieser Glaube war so verbreitet, dass sogar US-Präsident Theodore Roosevelt einen Eulen-Talisman aus Athen bei sich trug.“

John Lewis-Stempel: Das geheime Leben der Eule. DuMont BuchverlagBleibt die Frage, warum man sich im Jahr 2023 mit einem Buch über Eulen befassen sollte? Nun: zum einen ist John Lewis-Stempel ein belesener, nie geschwätziger Autor, der erzählen kann; und zum anderen verschafft uns dieser schmale Band eine Verbindung zur Natur, die wir auch in Zeiten von Künstlicher Intelligenz tunlichst nicht verlieren sollten. Und vielleicht regt dieses von Sofia Blind sehr gut übersetzte Eulenporträt die eine oder andere Leserin ja an, selbst einmal im Zwielicht in einem nahen Wald nach Eulen Ausschau zu halten.

NK | CK

Buchinformation

John Lewis-Stempel
Das geheime Leben der Eule
aus dem Englischen von Sofia Blind
112 Seiten, gebundene Ausgabe
DuMont Buchverlag, Köln
ISBN 978-3-8321-8207-6
mit einem Verzeichnis deutscher und internationaler Eulenschutz-Organisationen

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