Permalink

0

Insel am Rand der Welt

„Alles zwischen Meeresgrund und Himmel stand unter dem Schutz dieser siebzigjährigen Frau“

„Alles zwischen Meeresgrund und Himmel stand unter dem Schutz dieser siebzigjährigen Frau“

Insel am Rand der Welt

Wer wünschte sich in dieser Zeit nicht schon mal auf eine einsame Insel, fernab vom Tosen dieser Welt? Der Titel „Insel am Rand der Welt“ des neuen Buchs von James Rebanks, erschienen im Penguin Verlag, scheint also bestens zu passen.

Dennoch stellten wir uns die Frage, warum wir einem englischen Farmer und Schafzüchter um die 50 auf die völlig entlegene norwegische Insel Fjærøy folgen sollten, wo er drei Monate lang zwei älteren Norwegerinnen helfen wird, eine alte, eigentümliche Tradition aufrechtzuerhalten. Bei der Tradition handelt es sich um das Anlocken und den Schutz von Eiderenten, deren kostbare Eiderdaunen von Hand eingesammelt und gesäubert werden, nachdem die Enten mit ihrem Nachwuchs die Insel wieder verlassen haben. Das schien uns, ehrlich gesagt, schon ziemlich spezieller Lesestoff…

Hier nun der Versuch einer Antwort, warum es sich tatsächlich sehr lohnt, „Insel am Rand der Welt“ zu lesen:

Weil dieser Mann, der Ich-Erzähler, eben James Rebanks ist und unglaublich gut erzählen kann, wie er in seinen ersten beiden Büchern (‚Mein Leben als Schäfer“ und „Unser kleiner Hof in den Hügeln“) schon bewiesen hat.

Gefangen im Alltag

Eigentlich ist Rebanks erschöpft und „aus dem Lot“. Er erhofft sich von dieser Auszeit auf der norwegischen Insel eine innere Stärkung, vor allem durch die etwa 70jährige Anna, die er vor Jahren schon einmal getroffen hat und die ihm so gefestigt und zufrieden erschien. Aber dann kommt alles anders, denn Anna geht geschwächt auf die Insel und fällt erstmal wochenlang aus.

„Ich war unruhig. Der Wechsel aus meinem manischen, hektischen Leben in dieses stille Dasein schien mich aus der Bahn zu werfen. Wieder juckte es mich in den Fingern, die Arbeiten auf der Insel gewohnt schnell zu erledigen. Ich wollte Anna Aufgaben abnehmen, etwa Holz hacken oder Sachen ins Haus holen. Ich wollte all das rasch und effektiv erledigen, um dafür gelobt zu werden, mich nützlich gemacht zu haben. Offenbar spürte Anna, dass ich mich eingesperrt fühlte, denn sie sagte, bis zum Eintreffen der Enten dürfe ich überall hin, nur nicht das Ruderboot nehmen. (…) Ich begriff, dass der Glaube, Inseln seien Orte der Freiheit und des Entkommens, purer Einbildung entspringt – eine Insel definiert sich durch Grenzen und Beschränkungen.“

Ein kleines Haus ohne fließend Wasser

Der Erzähler und die zweite, etwas jüngere Norwegerin, Ingrid, die eigentlich nichts von der Anwesenheit des Engländers auf der Insel hält, müssen die anstehenden Arbeiten zu zweit angehen. Es dauert etwas, bis sich das Trio aneinander gewöhnt hat, und die beiden Frauen Vertrauen in Rebanks fassen. An den stürmischen Tagen müssen die drei in dem beengten Inselhaus miteinander klarkommen. Nach und nach erzählen sie einander dann aber aus ihren jeweiligen Leben:

„Anna schien über meine Arbeitskraft hinaus einen Nutzen in mir sehen, das spürte ich. Sie wollte, dass ich über ihre Leute und deren Vergangenheit im Bilde war. Wie jede Generation definierte auch sie sich durch die alten Geschichten, doch die Menschen, die diese Geschichten zu erzählen wussten, starben allmählich aus. Wenn Anna mir an einem der folgenden Tage eine Geschichte erzählte und merkte, dass ich nicht mitschrieb, starrte sie mich an, als hätte ich die Bedeutung des Erzählens nicht erkannt, und sah danach aufs Papier, als wollte sie, dass ich alles festhielt.“

Hier auf dieser Insel unweit vom Polarkreis findet der Erzähler Zeit, über sein Leben nachzudenken, das auch zu Hause in England von rastloser Arbeit auf der Farm geprägt ist. Er lässt uns teilhaben an seinen Entscheidungen und seinen oft ambivalenten Gefühlen und verknüpft dies anschaulich mit seinen Beobachtungen in der Natur:

„Zu Hause war ich es, von dem man Engagement erwartete, auch im Falle von Widrigkeiten, was ich irgendwann leid gewesen war. Ziehende Gänse wechseln sich an der Spitze ab, weil es die kraftraubendste Position ist, alle anderen sind im Windschatten unterwegs, werden also mitgezogen. Sie lassen sich zurückfallen, um verschnaufen zu können, aber so weise sind Menschen nicht. Ich hatte das Gefühl, zu lange die Gans an der Spitze gewesen zu sein. Mich verbraucht zu haben. Hier dagegen konnte ich schlicht Fußsoldat sein und gemeinsam mit Anna und Ingrid handfeste, praktische Arbeiten verrichten, die den Vögeln zugutekamen.“

Dieser grundlegende Rollenwechsel bei der Arbeit erklärt wohl auch, warum Rebanks, der ja auch zu Hause ein sehr naturverbundenes Leben führt, die Distanz zu seinem eigenen Alltag benötigte. Denn jeder weiß aus Erfahrung, wie schwierig es ist, im Alltag aus den gewohnten Rollen auszubrechen. Aber der Autor denkt auch darüber nach, was er durch seine Auszeit anderen, insbesondere seiner Frau Helen zumutet:

„Ich ertappte mich immer öfter bei Gedanken über die Ehe. Es war untypisch für mich, Frau und Kinder zurückzulassen, um an diesen fernen Ort zu reisen. Ich kam mir egoistisch vor. Ich wusste, Helen hatte Mühe, zu Hause den Laden zu schmeißen, vermutlich ging es über ihre Kräfte, alles unter einen Hut zu bekommen. (…) Ich hatte unser Leben selbstverständlich in vieler Hinsicht mitgestaltet – wir hatten ein Farmhaus gebaut, prächtige Schafherden und eine Kuhherde, und ich hatte Bücher geschrieben –, nur wurde ich das Gefühl nicht los, immer stärker Käpt’n Ahab zu gleichen, meinem Wal etwas zu verzweifelt nachgejagt und dabei alle anderen mit über die sieben Meere geschleift zu haben. Das wohlgemeinte Unterfangen, das Leben seiner Nächsten durch Fleiß und Ehrgeiz zu verbessern, kann in etwas umschlagen, das an Besessenheit grenzt und die anderen quält, und diesen Punkt hatte ich vor ein, zwei Jahren erreicht.“

Wir hoffen, wir haben zeigen können, dass „Insel am Rand der Welt“ ein in vielerlei Hinsicht besonderes, unvergleichbares Buch ist: still, ehrlich, poetisch und tiefgründig. Eine entschleunigende und dabei überraschend fesselnde Lektüre!

CK I NK

Buchinformation

Insel am Rand der Welt
James Rebanks
Hardcover 299 Seiten, Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München
ISBN 978-3641331641

#SupportYourLocalBookstore

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner