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Vater als prägender Mensch

Schuhe bieten nicht nur Füßen Schutz, sondern sind auch Träger von Erinnerungen

Schuhe bieten nicht nur Füßen Schutz, sondern sind auch Träger von Erinnerungen

Es sind die eigenen Eltern, die uns in der Regel am meisten prägen. Das ist so, auch wenn wir das Gefühl haben, gar nicht so viel über den Vater oder die Mutter zu wissen. Ein Gefühl, das sich bei vielen von uns mit zunehmendem Alter verstärkt. Aber in der Zeit, in der wir die Eltern befragen könnten, sind wir häufig nicht interessiert genug. Wir wollen uns von ihnen abgrenzen und suchen andere Einflüsse. Erst die großen Zäsuren im Leben – Heirat, Geburt der eigenen Kinder, Tod eines Elternteils – lassen uns neu über diese Prägungen nachdenken.

So ging es auch Andreas Schäfer, der ein paar Jahre nach dem Tod seines Vaters zu schreiben beginnt,

„um etwas festzuhalten, zu retten, nein, ans Licht zu bringen, noch weiß ich nicht, was und wie genau. Will ich dem Vater also Anerkennung verschaffen – auch vor mir selbst?“

Ein letztes Treffen

Weil der Autor so wenig über seinen Vater zu wissen meint und dieser Unsicherheit Rechnung tragen möchte, gliedert er seine Erzählung „Die Schuhe meines Vaters“, (2022 bei DuMont erschienen), in drei Teile. Im ersten Teil besucht der bereits schwer erkrankte Vater seinen erwachsenen Sohn in Berlin mit noch unklarer Diagnose:

„Wir umarmten uns, ein eingespieltes festes Umfassen des kompakten, eher harten Körpers, in dem sich das Bedürfnis nach Nähe und die Scheu vor ihr die Waage hielten.“

Diesem Besuch kommt im Nachhinein große Bedeutung zu, da es die letzte Begegnung sein wird. Als durchaus sympathischen, dem Leben zugewandten Opa lernen wir den Vater kennen. Und sind von der schlagartigen Abfolge der Ereignisse ebenso getroffen wie der Sohn selbst: der Anruf aus der Frankfurter Klinik, der Schockzustand, die grundsätzlichen Fragen über Leben und Tod, das allmähliche Begreifen des Verlustes, der Schmerz, die Trauer. Nach und nach erfahren wir mehr über das zurückliegende Familienleben – aus Sicht des Sohnes geschildert. Der Ich-Erzähler geht dabei reflektierend und sehr vorsichtig vor. Es ist eine behutsame Annäherung, ein Herantasten an das, was so schwierig zu beschreiben ist, weil es uns selbst so verletzbar macht:

Wie lässt sich von der Scham erzählen?

Abstrakt versucht der Erzähler, sich dem schmerzhaften Gefühl der Scham zu nähern:

„Sie blüht in zahllosen Farben und Formen. Jemand fällt aus der Sicherheit heraus und findet nur unvollständig wieder in sie zurück.

Dem Wissen, dass der Vater leicht zu kränken ist, gesellte sich bald die Erfahrung hinzu, dass Situationen in Anwesenheit des Vaters von einem auf den anderen Moment kippen konnten.“

In einer ersten grandios beschiebenen Schlüsselszene, in der der Sohn dem Vater seine damalige Freundin vorstellt, erleben wir die Willkür, die kaschierte Unsicherheit und verbale Gewalt des Vaters – und auf der anderen Seite das Unbehagen, die Anspannung, die Scham- und Schuldgefühle des Sohnes, unter denen er über den Tod des Vaters hinaus leidet.

„Ich hatte ein eigenes Leben. Aber was spielt das für eine Rolle? Tiefe Ängste kennen keine Zeit.“

Ebenso überzeugend beschrieben ist die zweite, gegensätzlich verlaufende Schlüsselszene, die in einem gemeinsam erlebten Moment der Gelösheit auch eine gewisse Erlösung in sich birgt. Das Durchleben und schriftliche Niederschreiben erleichtern den Schritt, mit dem Abstellen der Beatmungsmaschine den Vater gehen zu lassen. So endet der erste Teil, und die Erzählung hätte als solche hier auch enden können.

Die Schuhe meines Vaters

Im zweiten Teil versucht der Sohn-Erzähler, über die Dinge des Vaters mehr über diesen in Erfahrung zu bringen. Denn eigentlich hat er das Gefühl:

„Ich weiß nichts von ihm, und das wird immer so bleiben.“

Wie ist der Vater möglicherweise zu dem Menschen geworden, den der Sohn erlebt hat? Wie wuchs ein Kind auf, das Ende 1936 in eine Berliner Fleischersfamilie hineingeboren wurde?

„Ein Kind erblickt das Licht der Welt, schreit, atmet, lernt laufen, sprechen, denken, urteilen in dieser Luft, in dieser Familie, in dieser nationalsozialistischen Berliner Wirklichkeit.“

Die Großeltern bleiben blass, notgedrungen, da der Vater fast nichts von ihnen erzählt hat, ein Verhalten, das für diese Generation des Vaters nicht untypisch sein dürfte. Die vom Krieg als (Klein-)Kinder Geprägten hat man mit ihren Erlebnissen nicht selten allein gelassen. Und so erfahren wir auch von den Traumata des Vaters als Kleinkind, die gewissermaßen als Erklärung dienen können, aber vom Autor nicht dramaturgisch inszeniert werden. Der Sohn will verstehen und zeichnet deshalb auf, wie es geschehen sein könnte. Die Unterscheidung zwischen Fiktion und dem Wenigen, was er den Dingen als „tatsächlich geschehen“ entnehmen kann, ist ihm dabei wichtig.

Der Sohn verurteilt nicht, weder die Großeltern noch den Vater oder die Trennung der Eltern. Er findet Erklärungen für die Schwächen seines Vaters, stellt dann aber an sich fest, dass diese ihn nicht erlösen:

„Mein Verständnis hatte einen hohen Preis. Ich sah sein Leiden und konnte ihm zugleich seine Ungerechtigkeit nicht verzeihen. Ich verlor die Achtung vor ihm. Ein tiefer Groll begann von mir Besitz zu nehmen.“

Den Wegen nachspüren

Denn Verstehen bedeutet (noch) nicht Verzeihen. Deshalb hat der Autor wohl noch einen dritten Teil angehängt, in dem er den Wegen des Vaters nachspürt, paradoxerweise in Griechenland, der Heimat der Mutter, deren Sprache der Vater nie erlernen wollte.

Der Sohn beschäftigt sich noch immer mit denselben Fragen, und doch erleben wir den Erzähler gereift. Denn er kann die ambivalenten Gefühle nun stehen lassen, kann sogar manch Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Vater benennen:

„Natürlich war ich wie er.“

Die Schuhe meines Vaters ist eine auf sprachlich hohem Niveau, sehr sensible und überzeugende Aufarbeitung einer Vater-Sohn-Beziehung, von der wir sehr angetan waren! Ein großes Dankeschön an dieser Stelle an unseren Tierarzt Dr. Roth, dem wir diesen schönen Buchtipp verdanken!

CK I NK

Buchinformation

Andreas Schäfer
Die Schuhe meines Vaters
Dumont Verlag, 2022
ISBN 978-3-8321-8258-8

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2 Kommentare

  1. … und das Vorgängerbuch „Das Gartenzimmer“ lohnt sich in jedem Fall auch! Geschichte einer Villa im Grunewald, Ehe-Geschichte, historischer Roman—

  2. Tolle Buchbeschreibung, sehr verlockend, mir das Buch auch zu besorgen!
    Dabei fiel mir ein weiteres Vater-Sohn-Buch ein, das ich kürzlich gelesen habe, & das mich sehr beeindruckt hat: Tiziano Terzani „Das Ende ist mein Anfang“, der bekannte Journalist & Autor erzählt, bevor er stirbt, seinem Sohn eus seinem Leben.
    Herzliche Grüße, Ava

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