„Es ist eben nicht so, dass morgen die Welt untergeht.“ Wer hat das gesagt? Nein, nicht der Orangenmann im Weißen Haus, sondern der aktuelle Bundeskanzler, Friedrich Merz. Im April 2023 war das in einem Interview mit der ZEIT, wo er betonte, dass er ausdrücklich nicht die Einschätzung teile, dass uns die Zeit in Sachen Klimaschutz davonlaufe. Eine unglaubliche, wahlkampfgetriebene Behauptung und gleichzeitig eine krasse Fehleinschätzung, die allem widerspricht, was weltweit renommierte Klimaforscher sagen. Denn die Weltgemeinschaft ist gerade dabei, das 1,5-Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz 2015 endgültig zu reißen.
Mit Pflanzen die Welt retten
„Dringend erforderlich wäre aber die Einhaltung der 2-Grad-Grenze, denn jenseits dieser Schwelle drohen gefährliche Kipppunkte, die ein Umsteuern unmöglich machen.“
Das schreibt der promovierte Biologe und Autor Bernhard Kegel in der Einleitung zu seinem neuen Sachbuch „Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen für den Klimawandel“, mit dem er für den Deutschen Sachbuchpreis 2025 nominiert war. Und er geht noch weiter:
„Da weiterhin große Mengen an Treibhausgasen emittiert werden, sieht es im Augenblick jedoch so aus, als würden wir eher auf eine um 3 Grad wärmere Welt zusteuern. Mitteleuropa und anderen Festlandmassen droht demnach bis zum Jahr 2100 eine Erhitzung um bis zu 6 Grad.“
Wer sich wundert, wie aus den 3 Grad nun auf einmal 6 Grad werden, hier die Erklärung: Festland erwärmt sich deshalb stärker, weil Landmassen die Wärme schneller aufnehmen und abgeben als Wasser. Dabei ist die Erwärmung nicht gleichmäßig über alle Regionen. Die Nordhalbkugel weist einen größeren Anteil an Landmasse auf als die Südhalbkugel, deshalb erwärmt sich die Nordhalbkugel stärker als die Südhalbkugel.
Ach komm, davon wird die Welt nicht untergehen, sagen die Klimawandelverharmloser, häufig unterstützt von einer mächtigen Öl- und Gaslobby. Mag ja sein, dass die Welt nicht gleich untergeht, aber es wird ziemlich ungemütlich werden auf unserem Planeten. Weite Teile werden unbewohnbar werden, was zwangsläufig zu Migrationsbewegungen führen wird. Im Südosten der Türkei, in Silopi, wurden vor ein paar Tagen 50,5 Grad Celsius gemessen. Wer kann das aushalten?
Doch zurück zu Bernhard Kegel und seinem Buch „Mit Pflanzen die Welt retten“, das ich gerade mit großem Interesse gelesen und dabei sehr viel gelernt habe. Dass der 1953 in Berlin geborene Autor auch erfolgreich Romane schreibt, merkt man diesem klugen Sachbuch an; der Mann kann schreiben.
Kegel geht in seinem Buch der Frage nach, die ihn als Biologen besonders interessiert: Können wir mit Planzen die Welt retten?
Düster, aber nicht hoffnungslos
Das Buch gliedert sich in sieben Kapitel. In der Einleitung zeichnet Kegel ein düsteres, aber nicht komplett hoffnungsloses Bild in Bezug auf die Erderhitzung und den aktuellen Kohlendioxidausstoß. Von der dringend notwendigen, weltweiten Reduktion der Treibhausgas-Emissionen auf 0 kann leider keine Rede sein. Wir sind längst wieder auf Vor-Corona-Niveau und steuern auf weitere Rekordemissionen zu. Für das Jahr 2024 gehen die Wissenschaftler*innen von Our World in Data (Universität Oxford) von weltweit 37,7 Gigatonnen CO₂ aus. Wir in Deutschland haben 2024 rund 596 Millionen Tonnen CO₂ in die Luft geblasen. Wer sich das nach Ländern und im Verlauf der Jahrhunderte ansehen möchte, kann dies hier tun.
Kegel macht unmissverständlich klar, dass wir zum einen die weltweiten Emissionen so schnell wie möglich Richtung Null drücken müssen. Zum anderen müssen wir
„versuchen das Fieber der Welt zu senken, auch wenn das Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte dauern sollte.“ Das heißt, wir müssen auch CO₂ aus der Atmosphäre entnehmen. Das allerdings ist sehr aufwendig und teuer, sehr teuer. Es sind gewaltige Anlagen, die das Spurengas CO₂ aus der Atmosphäre ziehen sollen. Und dann muss das CO₂ noch in den Boden verpresst werden. Auch nicht einfach. Und was es dort anrichtet? Weiß man auch noch nicht.
Der sanfte Weg
In den folgenden Kapiteln konzentriert sich der Biologe aber auf den, wie er es nennt, „sanften“ oder „grünen“ Weg. Denn die wahren Experten der Kohlenstofffixierung sind die Pflanzen. Seit Hunderten von Millionen von Jahren entnehmen sie mittels Photosynthese der Luft Kohlenstoffatome, wachsen dabei und produzieren den für uns lebenswichtigen Sauerstoff. Kegel legt schlüssig dar, dass Pflanzen jeder großtechnischen Lösung zur Entnahme von CO₂ aus der Umwelt überlegen sind. Und:
„Gleichzeitig sind sie entscheidend für die Bewältigung der zweiten großen Zukunftskrise, in der wir uns längst befinden: dem Sterben der Tiere, der Defaunation und dem Schwinden der biologischen Vielfalt. Manche sagen, diese Krise werde uns noch härter treffen.“
Wälder, Moore, Ozeane: diese drei Lebensräume nehmen bei der Bekämpfung des Klimawandels eine zentrale Rollen ein.
Wälder
Jede Pflanze, die wir nicht ausreißen oder fällen, „betreibt Photosynthese und fixiert Kohlenstoff, und natürlich gilt das besonders für große langlebige Pflanzen, für Bäume, und deren komplexe Gemeinschaften, die Wälder.“
Es leuchtet daher ein, dass wir aufhören müssen, Wälder abzuholzen (Regenwald, Mangrovenwälder usw.), und zwar möglichst sofort. Wälder müssen weltweit geschützt und bewahrt werden. Außerdem müssen neue Wälder aufgeforstet werden.
„Klimaschutz beginnt beim Naturschutz.“
Aber der Biologe macht gleich klar: Massive Aufforstung von Millionen, ja Milliarden von Bäumen ohne Plan ist sinnlos, ja zum Teil kontraproduktiv. Es muss genau überlegt und erforscht werden, welche Art von Bäumen wo gepflanzt wird. Kegel bringt Beispiele von gigantischen, misslungenen oder mindestens problematischen Aufforstungsprojekten. Außerdem braucht Aufforstung im großen Stil jede Menge Fläche, passendes Saatgut (was nur sehr aufwendig zu gewinnen ist), viel Wasser und jede Menge Zeit.
„Aufforstung ist also mit Sicherheit kein schneller Weg zur CO₂ Reduktion. Jahrzehnte müssen vergehen, bevor es zu einem deutlichen Effekt kommt; auch deswegen ist die Erhaltung der alten Wälder so wichtig.“
Es ist faszinierend, diesem kritischen, belesenen Autor zu folgen, wie er positive und negative Beispiele bringt, Zahlen und Fakten aus der Forschung einfließen lässt, vorsichtig abwägt, um schließlich zu Empfehlungen zu kommen, wobei er nie den Eindruck vermitteln möchte, er sei der allwissende Experte.
Moore
„O schaurig ist’s übers Moor zu gehn“, heißt es in der Ballade von Annette von Droste-Hülshoff. Moore hatten über viele Jahrhunderte ein ganz schlechtes Image. Also hat man sie entwässert und trocken gelegt, um sie dann landwirtschaftlich nutzen zu können. Ein großer Fehler, wie man heute feststellt. Denn intakte Moore sind gewaltige CO₂-Speicher und ein wichtiger Baustein bei der Bewältigung der Klimakatastrophe.
„Moore in ihren verschiedenen Erscheinungsformen machen weltweit zwar nur 3 bis 4 Prozent der Landfläche aus (500 Millionen Hektar), speichern durch die kompakte Lagerung aber fast doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder des Planeten zusammen (…)“
Jeder Quadratkilometer Moor, der trockengelegt wird, ist daher eine Katastrophe für das Klima. Der Autor lässt hier, wissenschaftlich belegt, keine Zweifel. Die Moorzerstörung muss aufhören! Denn sobald ein Moor trockengelegt wird, beginnt die Emittierung von CO₂. Die gute Nachricht: Sobald ein Moor wieder vernässt und intakt ist, hört die Emittierung von CO₂ schlagartig auf. Das Moor kann wieder Kohlendioxid einlagern.
Ozeane
Zwei Drittel der Erde sind von Ozeanen bedeckt, und diese gewaltigen Lebensräume sind zum Großteil in einem mehr als beklagenswerten Zustand. Dabei sind Ozeane mit den in ihnen lebenden Pflanzen enorme Kohlenstoffspeicher. Viel mehr noch als Wälder oder Moore. Es sind die Makroalgen, und
„in erster Linie sehr viele mikroskopisch kleine grüne Einzeller. Nicht zuletzt sie haben bewirkt, dass Ozeane bisher ein Drittel des von Menschen emittierten Kohlendioxids aufgenommen haben. Die Kohlenstoffmenge, die in maritimen Organismen und Sedimenten gespeichert ist, übertrifft die an Land um ein Vielfaches.“
„Blue carbon ecosystems“ nennt die Wissenschaft diese Ökosysteme, und für Kegel ist klar: Wir müssen die Ozeane mit ihrer Pflanzen- und Tierwelt schützen, und zwar viel mehr, als wir dies aktuell tun. Vor allem die Mangrovenwälder und Seegraswiesen spielen eine zentrale Rolle bei der Aufnahme und Speicherung großer Mengen CO₂.
Auch in diesem spannenden Kapitel bringt Kegel positive, aber auch problematische Beispiele dafür, wie versucht wird, die Ozeane im Bezug auf CO₂-Speicherung noch besser zu nutzen. Daher gilt auch hier: Der Schutz bestehender Ökosysteme muss Priorität haben, denn Naturschutz ist aktiver Klimaschutz und unverzichtbar, wenn wir die Erderhitzung mindestens bremsen wollen.
Das Buch schließt mit einem Exkurs zur künstlichen Photosynthese, bei der es darum geht, die natürliche Photosynthese (die schon komplex genug ist!) wissenschaftlich im Labor zu optimieren. Hier wird die Lektüre für Nicht-Naturwissenschaftler anspruchsvoller, bleibt aber interessant und lehrreich.
Ohne Planzen wird es nicht gehen
„Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel“ ist ein wichtiger Beitrag zur Klimadiskussion und eine lohnende Lektüre für alle, die genug haben von wenig erhellenden, polemisch geführten Diskussionen im deutschen Talkshow-Tingeltangel. Bernhard Kegel stützt sich auf harte Fakten und neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die er sehr gut lesbar vermittelt. Ein sehr umfangreiches Fußnoten- und Literaturverzeichnis runden das Buch ab.
Ein kluges, lesenswertes Buch, das zum Nachdenken und Handeln anregt.
NK | CK
PS: Es wäre schön, wenn der Verlag ein Freiexemplar ins Kanzleramt senden könnte.
Buchinformation
Bernhard Kegel
Mit Pflanzen die Welt retten. Grüne Lösungen gegen den Klimawandel.
DuMont Buchverlag, Köln, 2024
ISBN: 978-3-8321-6850-6
Hörenswerte Vorlesung von Bernard Kegel zum Thema
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