Autokratien im 21. Jahrhundert
„Jeder von uns hat ein Bild von einem autokratischen Staat im Kopf. An der Spitze steht der Schurke, ihm zur Seite Armee und Polizei, die den Bürgern mit Gewalt droht. Es gibt böse Mittäter und womöglich einige mutige Dissidenten.
Das ist jedoch eine Karikatur, die mit der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts wenig zu tun hat. Autokratien werden nicht von einem einzigen Bösewicht kontrolliert, sondern von raffinierten Netzwerken mit kleptokratischen Strukturen, einem komplexen Sicherheitsapparat aus Armee, Paramilitärs und Polizei sowie technischen Experten, die für Überwachung, Propaganda und Desinformation zuständig sind.“
So beginnt die »Achse der Autokraten« das aktuelle Buch der amerikanischen Historikerin und Journalistin Anne Applebaum, die im Herbst 2024 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat. Klingt ziemlich beunruhigend dieser erster Absatz, und das soll er auch sein. Denn die Lage ist beunruhigend. Weltweit geraten Demokratien immer stärker unter Druck, aktuell auch die älteste, seit 1776 bestehende Demokratie der Welt, die USA. Dort sind gerade ein paar Tech-Milliardäre dabei, mit Hilfe eines willfährigen Präsidenten einen Rechtsstaat in eine Firma exakt nach ihren libertären Vorstellungen umzubauen.
Die Historikerin Applebaum beschäftigt sich seit vielen Jahren mit autoritären Systemen. Für ihre Reportagen und Bücher wurde Applebaum, die in Polen lebt und mit dem polnischen Außenminister Sikorski verheiratet ist, vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Pulitzerpreis. In ihrem aktuellen Buch, das 2024 auf Deutsch erschien, befasst sich die mutige und extrem gut informierte Autorin mit Autokratien und Diktaturen im 21. Jahrhundert. Darunter ideologisch so verschiedene Länder wie Venezuela, China, Nordkorea, Russland, Simbabwe, Belarus, Iran, Syrien. Länder, die auf den ersten Blick wenig gemein haben – außer einer grenzenlosen Verachtung für unsere liberale westliche Ordnung und unsere freiheitliche Lebensweise.
Autokratisches Netzwerk
Wie sich diese Verächter der Demokratie, der Menschenrechte und des Völkerrechts gegenseitig unterstützen – mit Geld, Überwachungstechnologie, Waffen, Trollfabriken, Desinformationskampagnen uvm. – zeigt Applebaum auf 200 Seiten an zahlreichen Fallbeispielen schlüssig auf. Die Autorin beschreibt detailliert, wie sich die brutalen und korrupten Machthaber maßlos bereichern und bei der Bekämpfung ihrer inneren und äußeren Feinde, zu denen auch unsere Demokratie zählt, vor nichts zurückschrecken.
Einmal angefangen, kann man dieses spannende Buch nicht mehr aus der Hand legen, weil es Seite für Seite aufdeckt, wie fantastisch geschmiert das weltweite autokratische Netzwerk funktioniert; leider nicht selten auch unter Duldung westlicher, demokratischer Staaten, die sich nicht energisch genug um dubiose „Geldwaschanlagen“ oder Sanktionsumgehungen kümmern. Die Antworten unserer liberalen Demokratien auf die dramatischen Bedrohungen durch das weltweite autokratische Netzwerk sind zu schwach und werden von Despoten und autokratischen Tech-Oligarchen allenfalls belächelt. Zu beobachten gerade jetzt wieder, wenn die EU offensichtlich nicht in der Lage ist, die sogenannten sozialen Netzwerke (X, Facebook, Instagram, Tiktok) dazu zu bringen, die massenhafte Verbreitung von Propaganda, Gewalt, Desinformation und Fakenews zu unterbinden.
„Freiheitliche Gesellschaften können zerstört werden, von außen genauso wie von innen, durch Kriege und Demagogen. Oder sie können geretten werden – aber nur, wenn die von uns, die in ihnen leben, sich die Mühe machen, sie zu retten.“
Die »Achse der Autokraten« ist ein wichtiges Buch in einer beunruhigenden Zeit. Es ist fundiert recherchiert, schonungslos in der Analyse, klar geschrieben und ein unmissverständlicher Appell an alle demokratischen Staaten und ihre Bürgerinnen und Bürger, aufzuwachen und zu handeln, bevor es zu spät ist.
NK | CK
Buchinformation
Anne Applebaum
Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten
208 Seiten, Hardcover
Siedler Verlag, München, 2024
ISBN 978-3-8275-0176-9
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Die Reden zum Friedenspreis 2024 kann man hier nachhören
Die ARD-Sondersendung vom 20.10.2024 zur Verleihung des Friedenspreises in der Mediathek