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Freitagsfoto: Handarbeit

Handarbeit mit Gefühl: Entfernen der Sinterhaut an einer Pressform für Diamantschleifwerkzeuge.

Handarbeit mit Gefühl: Entfernen der Sinterhaut an einer Pressform für Diamantschleifwerkzeuge.

Auf meinem Nachttisch liegt zur Zeit „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ des israelischen Autors Yuval Noah Harari. Auf rund 500 Seiten breitet der 1976 geborene, kluge Universalhistoriker die Menschheitsgeschichte in einer Art und Weise aus, dass man Seite für Seite gebannt liest und umschlägt. Das Buch ist dicht geschrieben, unglaublich lehrreich und – keine Selbstverständlichkeit bei Historikern – es liest sich sehr unterhaltend. Wer’s noch nicht gelesen hat, es lohnt sich!

Das aktuelle Buch von Harari heißt „Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen“. Ich habe es noch nicht gelesen, aber so viel sei gesagt: Der Autor beschäftigt sich darin mit der Zukunft unseres Planeten und der unsrigen. Was die Zukunft der Erde angeht, liegt der Schluss nahe, dass wir das bisschen intakte Umwelt, das uns noch geblieben ist, ohne Mühe auch noch kaputt kriegen. Und wie ist es um die Zukunft der Spezies Mensch bestellt? Da sieht es leider auch nicht so rosig aus, wie es uns die Algorithmen-Zauberer der Big Five aus dem Silicon Valley glauben machen wollen. Damit bin ich beim heutigen Freitagsfoto.

update 4. April 2017
Vor ein paar Tagen hat Harari dem Handelsblatt ein längeres Interview gegeben, bei dem schon die Headline ziemlich irritiert: „Die meisten Menschen sind für die Wirtschaft überflüssig.“ Online hier.

Von Hand und mit Gefühl
Auf dem Foto (ein Handportrait: nicht gestellt, nichts retuschiert!) sehen Sie, wie ein Polymechaniker bei der Haefeli Diamantwerkzeugfabrik in Zürich die Sinterhaut an einer Pressform entfernt. Die Sinterhaut entsteht beim Pressen der Diamantschleifwerkzeuge unter hohen Temperaturen. „Das Entfernen der Sinterhaut von der Pressform muss schonend von Hand und mit Gefühl gemacht werden“, sagt Peter Haefeli, „eine Maschine würde da nur unkontrolliert viel Material an den teuren Formen abnehmen.“ Diese Aussage beruhigt mich, aber nur ein wenig.

Arbeit ohne Zukunft?
Schließlich lesen wir fast täglich, dass der unaufhaltsame Siegeszug von Künstlicher Intelligenz, Automatisierung und Robotik mit dem unaufhaltsamen Abstieg von Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verbunden sein könnte. Die Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael Osborne, so schreibt Alexander Hagelüken in einem lesenswerten Essay in der Süddeutschen Zeitung, gehen davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren jeder zweite Arbeitsplatz in den USA durch Digitialisierung und Automatisierung wegfallen wird. In Deutschland wird es ähnlich aussehen. In Japan hat bereits eine Versicherung zu Beginn des Jahres damit begonnen, die ersten Sachbearbeiter durch künstliche Intelligenz zu ersetzen. Keine guten Aussichten, oder?

Yuval Noah Harari spricht übrigens in einem interessanten Beitrag auf Ideas.TED.com vom „Aufstieg der nutzlosen Klasse“. Seine These: So wie die Industrielle Revolution eine große Arbeiterklasse geschaffen hat, so wird die Künstliche Intelligenz (KI) eine Nicht-Arbeiterklasse schaffen. Will heißen: wenn Algorithmen und Roboter alles besser können als wir, dann stehen wir am Ende ziemlich nutzlos da. Es sei denn, wir gehören zu den wenigen, die diese Algorithmen entwickeln dürfen. Und auch die werden mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwann durch Algorithmen ersetzt. Wer weiß das schon?

Bevor dieser Text jetzt aber völlig düster endet, habe ich noch ein Gedicht des wunderbaren amerikanischen Dichters Jack Ridl. Es geht, genau, um Handarbeit.

Hands
My grandfather grew up holding rags,
pounding his fist into the pocket
of a ball glove, gripping a plumb line
for his father who built what anyone
needed. At sixteen, wanting to work on
his own, he lied about his age
and for forty-nine years carried his lunch
to the assembly line where he stood
tightening bolts on air brake after
air brake along the monotonous belt.
I once asked him how he did that all
those years. He looked at me, said,
“I don’t understand. It was only
eight hours a day,” then closed
his fists. Every night after dinner
and a pilsner, he worked some more.
In the summer, he’d turn the clay,
grow tomatoes, turnips, peas,
and potatoes behind borders
of bluebells and English daisies,
and marigolds to keep away the rabbits.
When the weather turned to frost,
he went to the basement where,
until the seeds came in March,
he made perfect picture frames, each
glistening with layers of sweet shellac.
His hands were never bored. Even
in his last years, arthritis locking every
knuckle, he sat in the kitchen carving
wooden houses you could set on a shelf,
one after another, each one different.

aus: Jack Ridl: broken symmetry, Wayne State University Press, 2006, ISBN 978-0814333228. Hören kann man Hands hier.

Gute Zeit, bis bald!

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2 Kommentare

  1. Du hast so recht, lieber Norbert! Es lebe die Handarbeit! Die Natur aller Lebewesen ist, etwas zu tun, denke ich, wofür sind wir sonst so wunderbar mit Allem ausgestattet? Zu stupide und körperlich verschleißend sollte die Arbeit jedoch nicht sein, und man sollte einen Sinn darin sehen können, sonst sind an der Stelle Maschinen doch besser.
    Liebe Grüße, Ava

  2. Lieber Herr Kraas,
    welch Freude, dass Sie Ihre Gedanken mit uns teilen und so viel Anregungen damit geben. Man verfällt in Nachdenklichkeit und kommt gewaltig ins Grübeln.
    Ganz begeistert bin ich auch über die Buchanregung, die ich aufgreifen werde.

    Beste Grüße und vielen Dank,
    Ricarda Fröb

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